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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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" . . . Das heißt -- ich möchte nicht gern, daß Dein
Chef meine Ablehnung übel auffäßt. Sage ihm also, daß ich
mich in der letzteren Zeit nicht wohl fühle, äußere ihm mein
ganz lebhaftes Bedauern, aus diesem Grunde nicht erscheinen
zu können."

Wenn er nur gewußt hätte, wie angenehm den Fabrik¬
besitzer die Ablehnung berühren würde!

Vierzehn Tage nach dem Einweihungsfest, das glänzend
verlaufen war und über welches sogar einzelne Zeitungen be¬
richteten, machte Franz seinen Eltern eine Mittheilung, die
ihnen vor Erstaunen zuerst die Worte raubte.

"Ich bitte Euch herzlich", begann er, "es mir nicht übel
zu nehmen, wenn ich zum ersten Februar Euer Haus ver¬
lasse. Ich will mich irgendwo bei einer anständigen Familie
möblirt einmiethen. Es ist mir bei Euch zu eng. Ich muß
ein anständiges Zimmer haben, wo ich einmal Freunde empfangen
und sie bewirthen kann . . . Ich bin jetzt erster Korrespondent
bei Urban, genieße sein vollständiges Vertrauen und habe vor¬
läufig soviel Salair, daß ich auszukommen gedenke, ohne Eure
Hülfe in Anspruch zu nehmen. Nur bitte ich, Euch auch
fernerhin mit der Wäsche belästigen zu dürfen . . . Wenn Ihr
mein Streben und meine Stellung kennt, so werdet Ihr mein
Wegziehen nicht übel auffassen. Es geschieht lediglich meiner
Zukunft wegen."

Es war Timpe und seinem Weibe, als ginge nach diesen
feierlich gesprochenen Worten ein Riß durch ihre Seele, als
wehte von ihrem Einzigen ein entkältender Frost zu ihnen her¬
über, als gähnte plötzlich ein Abgrund zwischen ihm und
ihnen, der sie für ewig trennen würde. Er, der kaum selb¬
ständig geworden war, dessen Gehen und Kommen nach der

9 *

„ . . . Das heißt — ich möchte nicht gern, daß Dein
Chef meine Ablehnung übel auffäßt. Sage ihm alſo, daß ich
mich in der letzteren Zeit nicht wohl fühle, äußere ihm mein
ganz lebhaftes Bedauern, aus dieſem Grunde nicht erſcheinen
zu können.“

Wenn er nur gewußt hätte, wie angenehm den Fabrik¬
beſitzer die Ablehnung berühren würde!

Vierzehn Tage nach dem Einweihungsfeſt, das glänzend
verlaufen war und über welches ſogar einzelne Zeitungen be¬
richteten, machte Franz ſeinen Eltern eine Mittheilung, die
ihnen vor Erſtaunen zuerſt die Worte raubte.

„Ich bitte Euch herzlich“, begann er, „es mir nicht übel
zu nehmen, wenn ich zum erſten Februar Euer Haus ver¬
laſſe. Ich will mich irgendwo bei einer anſtändigen Familie
möblirt einmiethen. Es iſt mir bei Euch zu eng. Ich muß
ein anſtändiges Zimmer haben, wo ich einmal Freunde empfangen
und ſie bewirthen kann . . . Ich bin jetzt erſter Korreſpondent
bei Urban, genieße ſein vollſtändiges Vertrauen und habe vor¬
läufig ſoviel Salair, daß ich auszukommen gedenke, ohne Eure
Hülfe in Anſpruch zu nehmen. Nur bitte ich, Euch auch
fernerhin mit der Wäſche beläſtigen zu dürfen . . . Wenn Ihr
mein Streben und meine Stellung kennt, ſo werdet Ihr mein
Wegziehen nicht übel auffaſſen. Es geſchieht lediglich meiner
Zukunft wegen.“

Es war Timpe und ſeinem Weibe, als ginge nach dieſen
feierlich geſprochenen Worten ein Riß durch ihre Seele, als
wehte von ihrem Einzigen ein entkältender Froſt zu ihnen her¬
über, als gähnte plötzlich ein Abgrund zwiſchen ihm und
ihnen, der ſie für ewig trennen würde. Er, der kaum ſelb¬
ſtändig geworden war, deſſen Gehen und Kommen nach der

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[131/0143] „ . . . Das heißt — ich möchte nicht gern, daß Dein Chef meine Ablehnung übel auffäßt. Sage ihm alſo, daß ich mich in der letzteren Zeit nicht wohl fühle, äußere ihm mein ganz lebhaftes Bedauern, aus dieſem Grunde nicht erſcheinen zu können.“ Wenn er nur gewußt hätte, wie angenehm den Fabrik¬ beſitzer die Ablehnung berühren würde! Vierzehn Tage nach dem Einweihungsfeſt, das glänzend verlaufen war und über welches ſogar einzelne Zeitungen be¬ richteten, machte Franz ſeinen Eltern eine Mittheilung, die ihnen vor Erſtaunen zuerſt die Worte raubte. „Ich bitte Euch herzlich“, begann er, „es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich zum erſten Februar Euer Haus ver¬ laſſe. Ich will mich irgendwo bei einer anſtändigen Familie möblirt einmiethen. Es iſt mir bei Euch zu eng. Ich muß ein anſtändiges Zimmer haben, wo ich einmal Freunde empfangen und ſie bewirthen kann . . . Ich bin jetzt erſter Korreſpondent bei Urban, genieße ſein vollſtändiges Vertrauen und habe vor¬ läufig ſoviel Salair, daß ich auszukommen gedenke, ohne Eure Hülfe in Anſpruch zu nehmen. Nur bitte ich, Euch auch fernerhin mit der Wäſche beläſtigen zu dürfen . . . Wenn Ihr mein Streben und meine Stellung kennt, ſo werdet Ihr mein Wegziehen nicht übel auffaſſen. Es geſchieht lediglich meiner Zukunft wegen.“ Es war Timpe und ſeinem Weibe, als ginge nach dieſen feierlich geſprochenen Worten ein Riß durch ihre Seele, als wehte von ihrem Einzigen ein entkältender Froſt zu ihnen her¬ über, als gähnte plötzlich ein Abgrund zwiſchen ihm und ihnen, der ſie für ewig trennen würde. Er, der kaum ſelb¬ ſtändig geworden war, deſſen Gehen und Kommen nach der 9 *

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/143>, abgerufen am 03.05.2024.