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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Minute berechnet wurde, wollte ihr Heim verlassen, um sich
bei wildfremden Menschen ein neues zu suchen . . . Und gewiß
nur, weil er plötzlich ein großer Herr geworden war, den
dies alte Haus nicht mehr fein genug dünkte. Oh, darüber
konnte er sie nicht täuschen!

Als die Blicke der beiden Alten sich begegneten, las
Jedes von dem Gesicht des Anderen die gleiche Meinung ab.
Frau Karoline vermochte das Ungeheuerliche am wenigsten
zu begreifen. Sie dachte weniger an den Schmerz der
Trennung (war Franz doch nicht aus der Welt, konnte er
sie doch nach wie vor jeden Tag besuchen), als daran,
welchen leiblichen Gefahren er entgegen gehen könne. Wie
schlecht würde der Kaffee des Morgens sein, wie mangelhaft
das Bett, wie unaufmerksam die Bedienung, wie oft würde
man ihn die Zeit verschlafen lassen! Sie wurde erst einiger¬
maßen beruhigt, als Franz die Versicherung abgab, er würde
nach wie vor zum Mittagstisch kommen.

Johannes Timpe faßte die Angelegenheit, nachdem der
erste Schreck sich gelegt hatte, weniger tragisch auf. Kam
doch in erster Linie dabei wieder die Stellung und das
Glück seines Sohnes in Frage. Der Junge hatte am Ende
nicht ganz unrecht: hier war Alles altmodisch, eckig und
winklig, wenig geschaffen zur Aufnahme von Besuchen,
und zum lustigen Beisammensein junger fröhlicher Leute.

So dauerte es denn nicht lange und man fügte sich in
das Unvermeidliche. Der Großvater wurde erst in der letzten
Stunde davon benachrichtigt. Der Sechsundachtzigjährige
lachte leicht auf und sagte mit leisem Spott:

"So muß es kommen, sagt Neumann! . . . Jetzt ist er
flügge geworden, kann sich sein Brod verdienen, da geht's

Minute berechnet wurde, wollte ihr Heim verlaſſen, um ſich
bei wildfremden Menſchen ein neues zu ſuchen . . . Und gewiß
nur, weil er plötzlich ein großer Herr geworden war, den
dies alte Haus nicht mehr fein genug dünkte. Oh, darüber
konnte er ſie nicht täuſchen!

Als die Blicke der beiden Alten ſich begegneten, las
Jedes von dem Geſicht des Anderen die gleiche Meinung ab.
Frau Karoline vermochte das Ungeheuerliche am wenigſten
zu begreifen. Sie dachte weniger an den Schmerz der
Trennung (war Franz doch nicht aus der Welt, konnte er
ſie doch nach wie vor jeden Tag beſuchen), als daran,
welchen leiblichen Gefahren er entgegen gehen könne. Wie
ſchlecht würde der Kaffee des Morgens ſein, wie mangelhaft
das Bett, wie unaufmerkſam die Bedienung, wie oft würde
man ihn die Zeit verſchlafen laſſen! Sie wurde erſt einiger¬
maßen beruhigt, als Franz die Verſicherung abgab, er würde
nach wie vor zum Mittagstiſch kommen.

Johannes Timpe faßte die Angelegenheit, nachdem der
erſte Schreck ſich gelegt hatte, weniger tragiſch auf. Kam
doch in erſter Linie dabei wieder die Stellung und das
Glück ſeines Sohnes in Frage. Der Junge hatte am Ende
nicht ganz unrecht: hier war Alles altmodiſch, eckig und
winklig, wenig geſchaffen zur Aufnahme von Beſuchen,
und zum luſtigen Beiſammenſein junger fröhlicher Leute.

So dauerte es denn nicht lange und man fügte ſich in
das Unvermeidliche. Der Großvater wurde erſt in der letzten
Stunde davon benachrichtigt. Der Sechsundachtzigjährige
lachte leicht auf und ſagte mit leiſem Spott:

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[132/0144] Minute berechnet wurde, wollte ihr Heim verlaſſen, um ſich bei wildfremden Menſchen ein neues zu ſuchen . . . Und gewiß nur, weil er plötzlich ein großer Herr geworden war, den dies alte Haus nicht mehr fein genug dünkte. Oh, darüber konnte er ſie nicht täuſchen! Als die Blicke der beiden Alten ſich begegneten, las Jedes von dem Geſicht des Anderen die gleiche Meinung ab. Frau Karoline vermochte das Ungeheuerliche am wenigſten zu begreifen. Sie dachte weniger an den Schmerz der Trennung (war Franz doch nicht aus der Welt, konnte er ſie doch nach wie vor jeden Tag beſuchen), als daran, welchen leiblichen Gefahren er entgegen gehen könne. Wie ſchlecht würde der Kaffee des Morgens ſein, wie mangelhaft das Bett, wie unaufmerkſam die Bedienung, wie oft würde man ihn die Zeit verſchlafen laſſen! Sie wurde erſt einiger¬ maßen beruhigt, als Franz die Verſicherung abgab, er würde nach wie vor zum Mittagstiſch kommen. Johannes Timpe faßte die Angelegenheit, nachdem der erſte Schreck ſich gelegt hatte, weniger tragiſch auf. Kam doch in erſter Linie dabei wieder die Stellung und das Glück ſeines Sohnes in Frage. Der Junge hatte am Ende nicht ganz unrecht: hier war Alles altmodiſch, eckig und winklig, wenig geſchaffen zur Aufnahme von Beſuchen, und zum luſtigen Beiſammenſein junger fröhlicher Leute. So dauerte es denn nicht lange und man fügte ſich in das Unvermeidliche. Der Großvater wurde erſt in der letzten Stunde davon benachrichtigt. Der Sechsundachtzigjährige lachte leicht auf und ſagte mit leiſem Spott: „So muß es kommen, ſagt Neumann! . . . Jetzt iſt er flügge geworden, kann ſich ſein Brod verdienen, da geht's

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/144>, abgerufen am 22.11.2024.