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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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gewisses instinktives Gefühl der Zusammengehörigkeit,
das den kleinen Chef und seinen in die Höhe geschossenen
Lehrling leitete, bei jeder Gelegenheit ihre Weisheit
auszutauschen und wie zwei Menschen zu verkehren, deren
Zuneigung den Unterschied der Jahre und den Abstand ihrer
sozialen Stellung vergessen macht.

So war es denn erklärlich, wenn Urban Franzens Ein¬
treten mit einem kleinen Artilleriefeuer von Worten begrüßte,
das hauptsächlich darauf hinauszielte, aus dem jungen Manne
eine gewichtige Person zu machen. Das rothseidene Taschen¬
tuch wie eine Flagge in der Hand schwingend, eilte er ihm
sofort entgegen, nahm ihn unter den Arm und schritt auf die
fremden Herrschaften zu, um ihn vorzustellen. Und Franz,
der diese Auszeichnung zu schätzen wußte und dadurch sicher
gemacht wurde, verbeugte sich vor den Damen sehr galant,
lächelte verbindlich und küßte der Frau vom Hause die Hand.
Jedesmal, wenn er wieder zurückschnellte und sich
emporgerichtet hatte, betrachtete er kokett die Spitzen
seiner glattsitzenden Handschuhe und gab sich die
möglichste Mühe, mit einer Augenverrenkung die Wieder¬
spiegelung seines eigenen Ich's in einem Krystalltrumeau
zu erhaschen, der hinter ihm das Bild des Abends zurück¬
strahlte.

Sämmtliche Anwesende saßen zerstreut in dem großen
Salon umher; die jungen Leute etwas entfernt in den
äußersten Ecken und die älteren im Halbkreis um Frau
Urban, die ganz in schwarze Seide gekleidet, äußerst im¬
ponirend sich ausnahm. Zu ihrer Rechten sitzend, in eine
bauschige, blaßrothe Robe gehüllt, die den Lehnstuhl förmlich
vergrub, machte sich Frau Ramm, die Gattin des Dachpappen¬

gewiſſes inſtinktives Gefühl der Zuſammengehörigkeit,
das den kleinen Chef und ſeinen in die Höhe geſchoſſenen
Lehrling leitete, bei jeder Gelegenheit ihre Weisheit
auszutauſchen und wie zwei Menſchen zu verkehren, deren
Zuneigung den Unterſchied der Jahre und den Abſtand ihrer
ſozialen Stellung vergeſſen macht.

So war es denn erklärlich, wenn Urban Franzens Ein¬
treten mit einem kleinen Artilleriefeuer von Worten begrüßte,
das hauptſächlich darauf hinauszielte, aus dem jungen Manne
eine gewichtige Perſon zu machen. Das rothſeidene Taſchen¬
tuch wie eine Flagge in der Hand ſchwingend, eilte er ihm
ſofort entgegen, nahm ihn unter den Arm und ſchritt auf die
fremden Herrſchaften zu, um ihn vorzuſtellen. Und Franz,
der dieſe Auszeichnung zu ſchätzen wußte und dadurch ſicher
gemacht wurde, verbeugte ſich vor den Damen ſehr galant,
lächelte verbindlich und küßte der Frau vom Hauſe die Hand.
Jedesmal, wenn er wieder zurückſchnellte und ſich
emporgerichtet hatte, betrachtete er kokett die Spitzen
ſeiner glattſitzenden Handſchuhe und gab ſich die
möglichſte Mühe, mit einer Augenverrenkung die Wieder¬
ſpiegelung ſeines eigenen Ich's in einem Kryſtalltrumeau
zu erhaſchen, der hinter ihm das Bild des Abends zurück¬
ſtrahlte.

Sämmtliche Anweſende ſaßen zerſtreut in dem großen
Salon umher; die jungen Leute etwas entfernt in den
äußerſten Ecken und die älteren im Halbkreis um Frau
Urban, die ganz in ſchwarze Seide gekleidet, äußerſt im¬
ponirend ſich ausnahm. Zu ihrer Rechten ſitzend, in eine
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[109/0121] gewiſſes inſtinktives Gefühl der Zuſammengehörigkeit, das den kleinen Chef und ſeinen in die Höhe geſchoſſenen Lehrling leitete, bei jeder Gelegenheit ihre Weisheit auszutauſchen und wie zwei Menſchen zu verkehren, deren Zuneigung den Unterſchied der Jahre und den Abſtand ihrer ſozialen Stellung vergeſſen macht. So war es denn erklärlich, wenn Urban Franzens Ein¬ treten mit einem kleinen Artilleriefeuer von Worten begrüßte, das hauptſächlich darauf hinauszielte, aus dem jungen Manne eine gewichtige Perſon zu machen. Das rothſeidene Taſchen¬ tuch wie eine Flagge in der Hand ſchwingend, eilte er ihm ſofort entgegen, nahm ihn unter den Arm und ſchritt auf die fremden Herrſchaften zu, um ihn vorzuſtellen. Und Franz, der dieſe Auszeichnung zu ſchätzen wußte und dadurch ſicher gemacht wurde, verbeugte ſich vor den Damen ſehr galant, lächelte verbindlich und küßte der Frau vom Hauſe die Hand. Jedesmal, wenn er wieder zurückſchnellte und ſich emporgerichtet hatte, betrachtete er kokett die Spitzen ſeiner glattſitzenden Handſchuhe und gab ſich die möglichſte Mühe, mit einer Augenverrenkung die Wieder¬ ſpiegelung ſeines eigenen Ich's in einem Kryſtalltrumeau zu erhaſchen, der hinter ihm das Bild des Abends zurück¬ ſtrahlte. Sämmtliche Anweſende ſaßen zerſtreut in dem großen Salon umher; die jungen Leute etwas entfernt in den äußerſten Ecken und die älteren im Halbkreis um Frau Urban, die ganz in ſchwarze Seide gekleidet, äußerſt im¬ ponirend ſich ausnahm. Zu ihrer Rechten ſitzend, in eine bauſchige, blaßrothe Robe gehüllt, die den Lehnſtuhl förmlich vergrub, machte ſich Frau Ramm, die Gattin des Dachpappen¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/121>, abgerufen am 03.05.2024.