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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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fabrikanten in der Köpnickerstraße bemerkbar. Ihr auffallend
kleines Gesicht zeigte so gesunde, rothe Wangen, daß man
es erst mit einiger Mühe aus dem Gewirr von gleich¬
farbigen Spitzen und Busenschleifen heraus erkennen
konnte. Wenn sie sprach, lispelte sie nur, so daß die
meisten ihrer Worte verloren gingen und sie aus alter
Angewohnheit, ohne daß sie gefragt wurde, jeden Satz,
dreimal wiederholte. Der große, mit Federn besetzte
Atlasfächer bewegte sich schwirrend wie ein Riesenschmetter¬
ling auf und ab, wobei in den weiten Aermeln ein sehr
knöcherner Unterarm sich zeigte, der den stillen Kummer
ihres Gemahls bildete. Dieser selbst, ein hagerer, langer
Herr, der, bevor er in das Gespräch sich mischte, seine Frau
ausreden ließ, stand hinter ihr, auf die hohe Lehne eines ge¬
schnitzten Stuhles gestützt, und nickte sehr verbindlich nach
jedem Worte, das Frau Urban zu ihm sprach, sodaß auf die
Dauer die Aehnlichkeit mit einem riesigen Spaßvogel des
Berliner Weihnachtsmarktes nicht ausgeschlossen bleiben
konnte. Er hielt sich äußerst zurück und wagte selten eine
eigene Meinung. Eingeweihte behaupteten, diese Neutralität
hinge mit der Thatsache zusammen, daß Frau Kirchberg, ge¬
wordene Frau Urban, eine erste Hypothek auf seinem Grund¬
stück besitze, deren Kündigung jeden Tag erfolgen könne.

Außerdem gehörten zu diesem Cercle noch drei andere
Ehepaare: ein sehr vermögender Weingroßhändler nebst
Frau, dem man sein Gewerbe sehr deutlich an der Nase ansah.
und welcher bei jeder neuen Zusammenkunft die heilige Ver¬
sicherung bereit hatte, daß Paris, wo er einige Jahre gelebt
hatte, unbestreitbar die großartigste Stadt der Welt sei; ein
korpulenter, sehr für Kunst schwärmender Rentier mit einer

fabrikanten in der Köpnickerſtraße bemerkbar. Ihr auffallend
kleines Geſicht zeigte ſo geſunde, rothe Wangen, daß man
es erſt mit einiger Mühe aus dem Gewirr von gleich¬
farbigen Spitzen und Buſenſchleifen heraus erkennen
konnte. Wenn ſie ſprach, liſpelte ſie nur, ſo daß die
meiſten ihrer Worte verloren gingen und ſie aus alter
Angewohnheit, ohne daß ſie gefragt wurde, jeden Satz,
dreimal wiederholte. Der große, mit Federn beſetzte
Atlasfächer bewegte ſich ſchwirrend wie ein Rieſenſchmetter¬
ling auf und ab, wobei in den weiten Aermeln ein ſehr
knöcherner Unterarm ſich zeigte, der den ſtillen Kummer
ihres Gemahls bildete. Dieſer ſelbſt, ein hagerer, langer
Herr, der, bevor er in das Geſpräch ſich miſchte, ſeine Frau
ausreden ließ, ſtand hinter ihr, auf die hohe Lehne eines ge¬
ſchnitzten Stuhles geſtützt, und nickte ſehr verbindlich nach
jedem Worte, das Frau Urban zu ihm ſprach, ſodaß auf die
Dauer die Aehnlichkeit mit einem rieſigen Spaßvogel des
Berliner Weihnachtsmarktes nicht ausgeſchloſſen bleiben
konnte. Er hielt ſich äußerſt zurück und wagte ſelten eine
eigene Meinung. Eingeweihte behaupteten, dieſe Neutralität
hinge mit der Thatſache zuſammen, daß Frau Kirchberg, ge¬
wordene Frau Urban, eine erſte Hypothek auf ſeinem Grund¬
ſtück beſitze, deren Kündigung jeden Tag erfolgen könne.

Außerdem gehörten zu dieſem Cercle noch drei andere
Ehepaare: ein ſehr vermögender Weingroßhändler nebſt
Frau, dem man ſein Gewerbe ſehr deutlich an der Naſe anſah.
und welcher bei jeder neuen Zuſammenkunft die heilige Ver¬
ſicherung bereit hatte, daß Paris, wo er einige Jahre gelebt
hatte, unbeſtreitbar die großartigſte Stadt der Welt ſei; ein
korpulenter, ſehr für Kunſt ſchwärmender Rentier mit einer

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[110/0122] fabrikanten in der Köpnickerſtraße bemerkbar. Ihr auffallend kleines Geſicht zeigte ſo geſunde, rothe Wangen, daß man es erſt mit einiger Mühe aus dem Gewirr von gleich¬ farbigen Spitzen und Buſenſchleifen heraus erkennen konnte. Wenn ſie ſprach, liſpelte ſie nur, ſo daß die meiſten ihrer Worte verloren gingen und ſie aus alter Angewohnheit, ohne daß ſie gefragt wurde, jeden Satz, dreimal wiederholte. Der große, mit Federn beſetzte Atlasfächer bewegte ſich ſchwirrend wie ein Rieſenſchmetter¬ ling auf und ab, wobei in den weiten Aermeln ein ſehr knöcherner Unterarm ſich zeigte, der den ſtillen Kummer ihres Gemahls bildete. Dieſer ſelbſt, ein hagerer, langer Herr, der, bevor er in das Geſpräch ſich miſchte, ſeine Frau ausreden ließ, ſtand hinter ihr, auf die hohe Lehne eines ge¬ ſchnitzten Stuhles geſtützt, und nickte ſehr verbindlich nach jedem Worte, das Frau Urban zu ihm ſprach, ſodaß auf die Dauer die Aehnlichkeit mit einem rieſigen Spaßvogel des Berliner Weihnachtsmarktes nicht ausgeſchloſſen bleiben konnte. Er hielt ſich äußerſt zurück und wagte ſelten eine eigene Meinung. Eingeweihte behaupteten, dieſe Neutralität hinge mit der Thatſache zuſammen, daß Frau Kirchberg, ge¬ wordene Frau Urban, eine erſte Hypothek auf ſeinem Grund¬ ſtück beſitze, deren Kündigung jeden Tag erfolgen könne. Außerdem gehörten zu dieſem Cercle noch drei andere Ehepaare: ein ſehr vermögender Weingroßhändler nebſt Frau, dem man ſein Gewerbe ſehr deutlich an der Naſe anſah. und welcher bei jeder neuen Zuſammenkunft die heilige Ver¬ ſicherung bereit hatte, daß Paris, wo er einige Jahre gelebt hatte, unbeſtreitbar die großartigſte Stadt der Welt ſei; ein korpulenter, ſehr für Kunſt ſchwärmender Rentier mit einer

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/122>, abgerufen am 25.11.2024.