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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Während Frau Karoline bereits in der Wohnstube saß,
schritt Johannes, behaglich aus seiner Pfeife rauchend, noch
im Gärtchen auf und ab. Die eindringlichen Worte des
Altgesellen gingen ihm durch den Kopf; nicht minder die
nächtliche Heldenthat seines Sohnes. Zum ersten Male hatte
er die Ueberzeugung, daß sich Franz nicht auf dem rechten
Wege befinde. Etwas wie eine dunkle Ahnung stieg in ihm
auf, daß sein Stammhalter ihm noch großen Kummer be¬
reiten werde. Jener unbeschreibliche Zwiespalt der Empfin¬
dungen, der die Vernunft mit dem Herzen streiten läßt, kam
über ihn. Sein väterlicher Stolz bäumte sich auf bei dem Ge¬
danken, daß alle seine und seines Weibes Liebe für seinen
Einzigen umsonst gewesen sein könne, daß er dereinst nicht die
Dankbarkeit finden werde, die er erwartete. Mißtrauen gegen
sich selbst erfüllte ihn, er kam aus einer Stimmung in die
andere. Aber weshalb zerbrach er sich den Kopf, trug er sich
mit peinlichen Gedanken? War der Zukunft nicht alles
vorbehalten? Und wer konnte sie entschleiern? . . . Das
vermochte weder der Großvater, Thomas Beyer, noch er . . .
Dann trat diese Zukunft wieder sonnig vor sein geistiges
Auge. Wie kam sein Sohn dazu, sich solchen Hirngespensten
hinzugeben, die in der Behauptung enthalten waren: er
würde der Eidam Urbans werden? Gewiß war das nur ein
Ausfluß der Bierlaune; und doch, konnte er, Johannes Timpe,
wissen, was hinter seinem Rücken vorging? War Franz
nicht ein stattlicher Mensch, hatte er nicht eine ausgezeichnete
Schulbildung erhalten, hatte Urban ihn nicht so außerordent¬
lich gelobt?

Johannes Timpe lächelte still vergnügt vor sich hin, wie
ein Mann es zu thun pflegt, der sich in rosigen Träumen

Während Frau Karoline bereits in der Wohnſtube ſaß,
ſchritt Johannes, behaglich aus ſeiner Pfeife rauchend, noch
im Gärtchen auf und ab. Die eindringlichen Worte des
Altgeſellen gingen ihm durch den Kopf; nicht minder die
nächtliche Heldenthat ſeines Sohnes. Zum erſten Male hatte
er die Ueberzeugung, daß ſich Franz nicht auf dem rechten
Wege befinde. Etwas wie eine dunkle Ahnung ſtieg in ihm
auf, daß ſein Stammhalter ihm noch großen Kummer be¬
reiten werde. Jener unbeſchreibliche Zwieſpalt der Empfin¬
dungen, der die Vernunft mit dem Herzen ſtreiten läßt, kam
über ihn. Sein väterlicher Stolz bäumte ſich auf bei dem Ge¬
danken, daß alle ſeine und ſeines Weibes Liebe für ſeinen
Einzigen umſonſt geweſen ſein könne, daß er dereinſt nicht die
Dankbarkeit finden werde, die er erwartete. Mißtrauen gegen
ſich ſelbſt erfüllte ihn, er kam aus einer Stimmung in die
andere. Aber weshalb zerbrach er ſich den Kopf, trug er ſich
mit peinlichen Gedanken? War der Zukunft nicht alles
vorbehalten? Und wer konnte ſie entſchleiern? . . . Das
vermochte weder der Großvater, Thomas Beyer, noch er . . .
Dann trat dieſe Zukunft wieder ſonnig vor ſein geiſtiges
Auge. Wie kam ſein Sohn dazu, ſich ſolchen Hirngeſpenſten
hinzugeben, die in der Behauptung enthalten waren: er
würde der Eidam Urbans werden? Gewiß war das nur ein
Ausfluß der Bierlaune; und doch, konnte er, Johannes Timpe,
wiſſen, was hinter ſeinem Rücken vorging? War Franz
nicht ein ſtattlicher Menſch, hatte er nicht eine ausgezeichnete
Schulbildung erhalten, hatte Urban ihn nicht ſo außerordent¬
lich gelobt?

Johannes Timpe lächelte ſtill vergnügt vor ſich hin, wie
ein Mann es zu thun pflegt, der ſich in roſigen Träumen

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[91/0103] Während Frau Karoline bereits in der Wohnſtube ſaß, ſchritt Johannes, behaglich aus ſeiner Pfeife rauchend, noch im Gärtchen auf und ab. Die eindringlichen Worte des Altgeſellen gingen ihm durch den Kopf; nicht minder die nächtliche Heldenthat ſeines Sohnes. Zum erſten Male hatte er die Ueberzeugung, daß ſich Franz nicht auf dem rechten Wege befinde. Etwas wie eine dunkle Ahnung ſtieg in ihm auf, daß ſein Stammhalter ihm noch großen Kummer be¬ reiten werde. Jener unbeſchreibliche Zwieſpalt der Empfin¬ dungen, der die Vernunft mit dem Herzen ſtreiten läßt, kam über ihn. Sein väterlicher Stolz bäumte ſich auf bei dem Ge¬ danken, daß alle ſeine und ſeines Weibes Liebe für ſeinen Einzigen umſonſt geweſen ſein könne, daß er dereinſt nicht die Dankbarkeit finden werde, die er erwartete. Mißtrauen gegen ſich ſelbſt erfüllte ihn, er kam aus einer Stimmung in die andere. Aber weshalb zerbrach er ſich den Kopf, trug er ſich mit peinlichen Gedanken? War der Zukunft nicht alles vorbehalten? Und wer konnte ſie entſchleiern? . . . Das vermochte weder der Großvater, Thomas Beyer, noch er . . . Dann trat dieſe Zukunft wieder ſonnig vor ſein geiſtiges Auge. Wie kam ſein Sohn dazu, ſich ſolchen Hirngeſpenſten hinzugeben, die in der Behauptung enthalten waren: er würde der Eidam Urbans werden? Gewiß war das nur ein Ausfluß der Bierlaune; und doch, konnte er, Johannes Timpe, wiſſen, was hinter ſeinem Rücken vorging? War Franz nicht ein ſtattlicher Menſch, hatte er nicht eine ausgezeichnete Schulbildung erhalten, hatte Urban ihn nicht ſo außerordent¬ lich gelobt? Johannes Timpe lächelte ſtill vergnügt vor ſich hin, wie ein Mann es zu thun pflegt, der ſich in roſigen Träumen

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/103>, abgerufen am 24.11.2024.