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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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und auf der Marterbank viel gelitten. -- Am folgenden Abend
erzählt der kranke Stephanus trotz aller Mahnung des Paulus
"Jch weiß, ich weiß ja", die Geschichte der Treulosigkeit seiner
Gattin, und daran knüpft er die Frage: ob Paulus nie ver-
mählt gewesen. Darauf erzählt der Gefragte seine Liebesge-
schichte, aus der sich schließlich ergibt, daß die von Paulus
geliebte Frau die dem Stephanus seiner Zeit entlaufene Gattin
war, welche, von dem Verführer getrennt, ihr Leben aufrichtig
bereut und die heilige Taufe empfangen hatte. Der Jdentitäts-
nachweis wird durch einen Ring geführt, welchen der Anachoret
von der sterbenden Geliebten erhalten und bisher unter seinem
Felle getragen hat. -- Hiernach haben wir vorerst keinen Anlaß
anzunehmen, daß Paulus einer besonders strengen Askese er-
geben war. Ob wir im Verlauf der Geschichte eine bessere
Meinung von dem Manne in den Fellen erhalten werden?
Eines Tages geht er mit Hermas, dem Sohn des Stephanus,
durch's Gebirge. Unterwegs gibt er dem jungen Manne, der
über die Anachoreten die ebenso rohe als dumme Meinung hegt,
daß sie "wie betende Thiere" leben, und der lieber Soldat
werden möchte, Unterricht im Diskuswerfen. Sie werfen nach
einer Palme. "Beim Silberbogner Apollo und der pfeilfrohen
Artemis, ich erreiche die Palme!" ruft der einst auf der Folter-
bank um seines christlichen Glaubens Willen gemarterte alte
Mann. Als aber der bornirte Hermas die feine Bemerkung
macht: "Der alte Menander ist noch nicht gestorben", kommt
Paulus zur Besinnung und ruft: "Was hab' ich gesagt? Jede
Ader des alten Menschen sei ausgerottet hier innen? Jch Narr,
ich eitler Thor." Homo sum fügen wir im Sinne von Ebers
hinzu. --

Jn der nahen Oase wohnt im Hause des Senators Petrus,
eines Christen, ein römischer dem Mithrascult ergebener gallischer
Centurio, dessen kinderlose Frau Sirona eine Heidin aus Gallien
ist. Während der Abwesenheit des Centurio erscheint eines Abends
der in Sirona verliebte Hermas im Hofe des Senators. Er ist
im vollen Festschmuck eines römischen Offiziers. Das hält ihn
aber nicht ab, als er Gefahr läuft gesehen zu werden, schnell in

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und auf der Marterbank viel gelitten. — Am folgenden Abend
erzählt der kranke Stephanus trotz aller Mahnung des Paulus
„Jch weiß, ich weiß ja‟, die Geſchichte der Treuloſigkeit ſeiner
Gattin, und daran knüpft er die Frage: ob Paulus nie ver-
mählt geweſen. Darauf erzählt der Gefragte ſeine Liebesge-
ſchichte, aus der ſich ſchließlich ergibt, daß die von Paulus
geliebte Frau die dem Stephanus ſeiner Zeit entlaufene Gattin
war, welche, von dem Verführer getrennt, ihr Leben aufrichtig
bereut und die heilige Taufe empfangen hatte. Der Jdentitäts-
nachweis wird durch einen Ring geführt, welchen der Anachoret
von der ſterbenden Geliebten erhalten und bisher unter ſeinem
Felle getragen hat. — Hiernach haben wir vorerſt keinen Anlaß
anzunehmen, daß Paulus einer beſonders ſtrengen Askeſe er-
geben war. Ob wir im Verlauf der Geſchichte eine beſſere
Meinung von dem Manne in den Fellen erhalten werden?
Eines Tages geht er mit Hermas, dem Sohn des Stephanus,
durch’s Gebirge. Unterwegs gibt er dem jungen Manne, der
über die Anachoreten die ebenſo rohe als dumme Meinung hegt,
daß ſie „wie betende Thiere‟ leben, und der lieber Soldat
werden möchte, Unterricht im Diskuswerfen. Sie werfen nach
einer Palme. „Beim Silberbogner Apollo und der pfeilfrohen
Artemis, ich erreiche die Palme!‟ ruft der einſt auf der Folter-
bank um ſeines chriſtlichen Glaubens Willen gemarterte alte
Mann. Als aber der bornirte Hermas die feine Bemerkung
macht: „Der alte Menander iſt noch nicht geſtorben‟, kommt
Paulus zur Beſinnung und ruft: „Was hab’ ich geſagt? Jede
Ader des alten Menſchen ſei ausgerottet hier innen? Jch Narr,
ich eitler Thor.‟ Homo sum fügen wir im Sinne von Ebers
hinzu. —

Jn der nahen Oaſe wohnt im Hauſe des Senators Petrus,
eines Chriſten, ein römiſcher dem Mithrascult ergebener galliſcher
Centurio, deſſen kinderloſe Frau Sirona eine Heidin aus Gallien
iſt. Während der Abweſenheit des Centurio erſcheint eines Abends
der in Sirona verliebte Hermas im Hofe des Senators. Er iſt
im vollen Feſtſchmuck eines römiſchen Offiziers. Das hält ihn
aber nicht ab, als er Gefahr läuft geſehen zu werden, ſchnell in

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[19 211/0019] und auf der Marterbank viel gelitten. — Am folgenden Abend erzählt der kranke Stephanus trotz aller Mahnung des Paulus „Jch weiß, ich weiß ja‟, die Geſchichte der Treuloſigkeit ſeiner Gattin, und daran knüpft er die Frage: ob Paulus nie ver- mählt geweſen. Darauf erzählt der Gefragte ſeine Liebesge- ſchichte, aus der ſich ſchließlich ergibt, daß die von Paulus geliebte Frau die dem Stephanus ſeiner Zeit entlaufene Gattin war, welche, von dem Verführer getrennt, ihr Leben aufrichtig bereut und die heilige Taufe empfangen hatte. Der Jdentitäts- nachweis wird durch einen Ring geführt, welchen der Anachoret von der ſterbenden Geliebten erhalten und bisher unter ſeinem Felle getragen hat. — Hiernach haben wir vorerſt keinen Anlaß anzunehmen, daß Paulus einer beſonders ſtrengen Askeſe er- geben war. Ob wir im Verlauf der Geſchichte eine beſſere Meinung von dem Manne in den Fellen erhalten werden? Eines Tages geht er mit Hermas, dem Sohn des Stephanus, durch’s Gebirge. Unterwegs gibt er dem jungen Manne, der über die Anachoreten die ebenſo rohe als dumme Meinung hegt, daß ſie „wie betende Thiere‟ leben, und der lieber Soldat werden möchte, Unterricht im Diskuswerfen. Sie werfen nach einer Palme. „Beim Silberbogner Apollo und der pfeilfrohen Artemis, ich erreiche die Palme!‟ ruft der einſt auf der Folter- bank um ſeines chriſtlichen Glaubens Willen gemarterte alte Mann. Als aber der bornirte Hermas die feine Bemerkung macht: „Der alte Menander iſt noch nicht geſtorben‟, kommt Paulus zur Beſinnung und ruft: „Was hab’ ich geſagt? Jede Ader des alten Menſchen ſei ausgerottet hier innen? Jch Narr, ich eitler Thor.‟ Homo sum fügen wir im Sinne von Ebers hinzu. — Jn der nahen Oaſe wohnt im Hauſe des Senators Petrus, eines Chriſten, ein römiſcher dem Mithrascult ergebener galliſcher Centurio, deſſen kinderloſe Frau Sirona eine Heidin aus Gallien iſt. Während der Abweſenheit des Centurio erſcheint eines Abends der in Sirona verliebte Hermas im Hofe des Senators. Er iſt im vollen Feſtſchmuck eines römiſchen Offiziers. Das hält ihn aber nicht ab, als er Gefahr läuft geſehen zu werden, ſchnell in 2 *

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 19 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/19>, abgerufen am 26.04.2024.