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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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sächlichkeit in direktem Widerspruch stehenden Liebesscene auf der
Hand. Wie kurz, aber wie gehaltreich weiß dagegen ein Dichter
von wahrem Beruf eine Scene zu gestalten, in welcher das Ge-
fühl, der Besitz den Gedanken nur in ganz geringem Maße zu
Worte kommen läßt. Wie wiegt beispielsweise das Schweigen,
die Einsilbigkeit in Björnsons schöner Novelle "Synnöve
Solbakken
" das Plaudern und das Redestellen der Sappho
auf. --

Nachdem Bartja von Babylon nach Egypten zurückgekehrt
ist, "feierte" er mit Sappho ein Wiedersehen, bei welchem "die
Jungfrau in der ersten Stunde keine Worte für ihre Wonne und
Dankbarkeit finden konnte". Auch in der Akanthus-Laube, da
Sappho an das Herz des treuen Wiedergekehrten gesunken war,
"sprachen sie lange kein Wort", sie sahen nicht Mond noch Sterne,
sie hörten nicht die Nachtigall, sie fühlten nicht den fallenden Thau.
Endlich faßte Bartja beide Hände seiner Geliebten, schaute sie aber
noch lange sprachlos an. Ganz zuletzt bricht jedoch der Strom
der Jamben los und Sappho erzählt davon, was die lebens-
kluge, erfahrungsreiche Großmutter ihr an's Herz gelegt hat.
So z. B. "Du kannst dem Manne, dem dein Herz gehört, den
du für höher als dich selber hältst, weil du ihn eben liebst, nicht
besser dienen und deine Treue ihm nicht schöner zeigen, als wenn
du deinen Geist und dein Gemüth, so hoch es nur in deinen
Kräften steht, veredelst. Was du auch Schönes, Gutes neu er-
lernst, das wird für deinen Liebsten zum Geschenk, denn gibst du
ihm dein ganzes Wesen hin, empfängt er deine Tugenden mit
dir. Doch träumend hat noch Niemand Sieg erkämpft. Der
Labethau der Tugendblume nennt sich Schweiß!" Nach dieser
Probe wird man sich denken können, welche Traurede die redselige
Großmutter am Hochzeitstage des Bartja und der Sappho ge-
halten hat. Man wird sich auch denken können, daß rationalistische
Prediger des "Protestantenvereins" sich Rathes holen
können bei jener Alten, die sich zu der geschmackvollen Sentenz
verstiegen hat: "Der Labethau der Tugendblume nennt
sich Schweiß.
" (Band III, S. 95.)

Die Ebers'schen Jamben müssen übrigens bei vielen Lesern

ſächlichkeit in direktem Widerſpruch ſtehenden Liebesſcene auf der
Hand. Wie kurz, aber wie gehaltreich weiß dagegen ein Dichter
von wahrem Beruf eine Scene zu geſtalten, in welcher das Ge-
fühl, der Beſitz den Gedanken nur in ganz geringem Maße zu
Worte kommen läßt. Wie wiegt beiſpielsweiſe das Schweigen,
die Einſilbigkeit in Björnſons ſchöner Novelle „Synnöve
Solbakken
‟ das Plaudern und das Redeſtellen der Sappho
auf. —

Nachdem Bartja von Babylon nach Egypten zurückgekehrt
iſt, „feierte‟ er mit Sappho ein Wiederſehen, bei welchem „die
Jungfrau in der erſten Stunde keine Worte für ihre Wonne und
Dankbarkeit finden konnte‟. Auch in der Akanthus-Laube, da
Sappho an das Herz des treuen Wiedergekehrten geſunken war,
„ſprachen ſie lange kein Wort‟, ſie ſahen nicht Mond noch Sterne,
ſie hörten nicht die Nachtigall, ſie fühlten nicht den fallenden Thau.
Endlich faßte Bartja beide Hände ſeiner Geliebten, ſchaute ſie aber
noch lange ſprachlos an. Ganz zuletzt bricht jedoch der Strom
der Jamben los und Sappho erzählt davon, was die lebens-
kluge, erfahrungsreiche Großmutter ihr an’s Herz gelegt hat.
So z. B. „Du kannſt dem Manne, dem dein Herz gehört, den
du für höher als dich ſelber hältſt, weil du ihn eben liebſt, nicht
beſſer dienen und deine Treue ihm nicht ſchöner zeigen, als wenn
du deinen Geiſt und dein Gemüth, ſo hoch es nur in deinen
Kräften ſteht, veredelſt. Was du auch Schönes, Gutes neu er-
lernſt, das wird für deinen Liebſten zum Geſchenk, denn gibſt du
ihm dein ganzes Weſen hin, empfängt er deine Tugenden mit
dir. Doch träumend hat noch Niemand Sieg erkämpft. Der
Labethau der Tugendblume nennt ſich Schweiß!‟ Nach dieſer
Probe wird man ſich denken können, welche Traurede die redſelige
Großmutter am Hochzeitstage des Bartja und der Sappho ge-
halten hat. Man wird ſich auch denken können, daß rationaliſtiſche
Prediger des „Proteſtantenvereins‟ ſich Rathes holen
können bei jener Alten, die ſich zu der geſchmackvollen Sentenz
verſtiegen hat: „Der Labethau der Tugendblume nennt
ſich Schweiß.
‟ (Band III, S. 95.)

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[11 203/0011] ſächlichkeit in direktem Widerſpruch ſtehenden Liebesſcene auf der Hand. Wie kurz, aber wie gehaltreich weiß dagegen ein Dichter von wahrem Beruf eine Scene zu geſtalten, in welcher das Ge- fühl, der Beſitz den Gedanken nur in ganz geringem Maße zu Worte kommen läßt. Wie wiegt beiſpielsweiſe das Schweigen, die Einſilbigkeit in Björnſons ſchöner Novelle „Synnöve Solbakken‟ das Plaudern und das Redeſtellen der Sappho auf. — Nachdem Bartja von Babylon nach Egypten zurückgekehrt iſt, „feierte‟ er mit Sappho ein Wiederſehen, bei welchem „die Jungfrau in der erſten Stunde keine Worte für ihre Wonne und Dankbarkeit finden konnte‟. Auch in der Akanthus-Laube, da Sappho an das Herz des treuen Wiedergekehrten geſunken war, „ſprachen ſie lange kein Wort‟, ſie ſahen nicht Mond noch Sterne, ſie hörten nicht die Nachtigall, ſie fühlten nicht den fallenden Thau. Endlich faßte Bartja beide Hände ſeiner Geliebten, ſchaute ſie aber noch lange ſprachlos an. Ganz zuletzt bricht jedoch der Strom der Jamben los und Sappho erzählt davon, was die lebens- kluge, erfahrungsreiche Großmutter ihr an’s Herz gelegt hat. So z. B. „Du kannſt dem Manne, dem dein Herz gehört, den du für höher als dich ſelber hältſt, weil du ihn eben liebſt, nicht beſſer dienen und deine Treue ihm nicht ſchöner zeigen, als wenn du deinen Geiſt und dein Gemüth, ſo hoch es nur in deinen Kräften ſteht, veredelſt. Was du auch Schönes, Gutes neu er- lernſt, das wird für deinen Liebſten zum Geſchenk, denn gibſt du ihm dein ganzes Weſen hin, empfängt er deine Tugenden mit dir. Doch träumend hat noch Niemand Sieg erkämpft. Der Labethau der Tugendblume nennt ſich Schweiß!‟ Nach dieſer Probe wird man ſich denken können, welche Traurede die redſelige Großmutter am Hochzeitstage des Bartja und der Sappho ge- halten hat. Man wird ſich auch denken können, daß rationaliſtiſche Prediger des „Proteſtantenvereins‟ ſich Rathes holen können bei jener Alten, die ſich zu der geſchmackvollen Sentenz verſtiegen hat: „Der Labethau der Tugendblume nennt ſich Schweiß.‟ (Band III, S. 95.) Die Ebers’ſchen Jamben müſſen übrigens bei vielen Leſern

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 11 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/11>, abgerufen am 25.04.2024.