Kotzebue, August von: Der Rehbock oder die Schuldlosen Schuldbewußten. Leipzig, 1815.
täuscht, so beschloß ich bei der zweiten Wahl ganz ohne alle Ueberlegung, ohne alle Rück- sichten zu verfahren; blos eine Physiognomie zu suchen, die mich freundlich anspräche, und der Stimme meines Herzens zu folgen, wenn es unbefragt und laut mir zuriefe: der Geist, der in diesen Zügen wohnt, ist mit dem deini- gen verschwistert. Baronin. Aber lieber Herr, da könn- ten Sie doch verzweifelt betrogen werden. Bar. Seltner durch ein rasches Gefühl, durch den Instinkt der Liebe, als durch die abwägende Vernunft. Kurz Gretchen, als ich dich erblickte, da war mir's - wenn gleich meine Augen dich zum Erstenmale sa- hen - als hätte dich mein Herz schon längst gekannt und plötzlich stand es fest vor meiner Seele: diese wird mein Weib. Baronin. Das wäre wohl eine Ehre für mich; aber in unserm Dorfe geht es nicht
täuscht, so beschloß ich bei der zweiten Wahl ganz ohne alle Ueberlegung, ohne alle Ruͤck- sichten zu verfahren; blos eine Physiognomie zu suchen, die mich freundlich anspraͤche, und der Stimme meines Herzens zu folgen, wenn es unbefragt und laut mir zuriefe: der Geist, der in diesen Zuͤgen wohnt, ist mit dem deini- gen verschwistert. Baronin. Aber lieber Herr, da koͤnn- ten Sie doch verzweifelt betrogen werden. Bar. Seltner durch ein rasches Gefuͤhl, durch den Instinkt der Liebe, als durch die abwaͤgende Vernunft. Kurz Gretchen, als ich dich erblickte, da war mir's – wenn gleich meine Augen dich zum Erstenmale sa- hen – als haͤtte dich mein Herz schon laͤngst gekannt und ploͤtzlich stand es fest vor meiner Seele: diese wird mein Weib. Baronin. Das waͤre wohl eine Ehre fuͤr mich; aber in unserm Dorfe geht es nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#BA"> <p><pb facs="#f0094" n="88"/> täuscht, so beschloß ich bei der zweiten Wahl<lb/> ganz ohne alle Ueberlegung, ohne alle Ruͤck-<lb/> sichten zu verfahren; blos eine Physiognomie<lb/> zu suchen, die mich freundlich anspraͤche, und<lb/> der Stimme meines Herzens zu folgen, wenn<lb/> es unbefragt und laut mir zuriefe: der Geist,<lb/> der in diesen Zuͤgen wohnt, ist mit dem deini-<lb/> gen verschwistert.</p> </sp> <sp who="#BAR"> <speaker>Baronin.</speaker> <p> Aber lieber Herr, da koͤnn-<lb/> ten Sie doch verzweifelt betrogen werden.</p> </sp> <sp who="#BA"> <speaker>Bar.</speaker> <p> Seltner durch ein rasches Gefuͤhl,<lb/> durch den Instinkt der Liebe, als durch die<lb/> abwaͤgende Vernunft. Kurz Gretchen, als<lb/> ich dich erblickte, da war mir's – wenn<lb/> gleich meine Augen dich zum Erstenmale sa-<lb/> hen – als haͤtte dich mein Herz schon laͤngst<lb/> gekannt und ploͤtzlich stand es fest vor meiner<lb/> Seele: diese wird mein Weib.</p> </sp> <sp who="#BAR"> <speaker>Baronin.</speaker> <p> Das waͤre wohl eine Ehre<lb/> fuͤr mich; aber in unserm Dorfe geht es nicht </p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0094]
täuscht, so beschloß ich bei der zweiten Wahl
ganz ohne alle Ueberlegung, ohne alle Ruͤck-
sichten zu verfahren; blos eine Physiognomie
zu suchen, die mich freundlich anspraͤche, und
der Stimme meines Herzens zu folgen, wenn
es unbefragt und laut mir zuriefe: der Geist,
der in diesen Zuͤgen wohnt, ist mit dem deini-
gen verschwistert.
Baronin. Aber lieber Herr, da koͤnn-
ten Sie doch verzweifelt betrogen werden.
Bar. Seltner durch ein rasches Gefuͤhl,
durch den Instinkt der Liebe, als durch die
abwaͤgende Vernunft. Kurz Gretchen, als
ich dich erblickte, da war mir's – wenn
gleich meine Augen dich zum Erstenmale sa-
hen – als haͤtte dich mein Herz schon laͤngst
gekannt und ploͤtzlich stand es fest vor meiner
Seele: diese wird mein Weib.
Baronin. Das waͤre wohl eine Ehre
fuͤr mich; aber in unserm Dorfe geht es nicht
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Zitationshilfe: | Kotzebue, August von: Der Rehbock oder die Schuldlosen Schuldbewußten. Leipzig, 1815, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_rehbock_1815/94>, abgerufen am 21.07.2024. |