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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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Die neue Frömmigkeit scheint mir, wie Alles in
Paris, nur eine Mode. Jch habe einem feierlichen Hoch-
amte in der Kirche notre Dame beigewohnt, die gedrängt
voll war; ich habe das Volk genau beobachtet, es gab
nur wenige Andächtige darunter, fast Alle hatten ihre
Schauspielgesichter mitgebracht. Die Vokal-Musik war
ziemlich gut, für die große Kirche aber doch wohl nicht
stark genug. Der Einlaß auf der Emporkirche kostete
5 Sous. An den Pfeilern hiengen Tafeln, auf welchen
die Taxen der zu vermiethenden Stühle zu lesen waren.
Bei einem Te Deum fand ich sie am theuersten, viel-
leicht, weil ein Te Deum gewöhnlich sehr theuer erkauft
wird. Uebrigens hörte ich zum Erstenmal in Paris eine
Glocke, denn dieser berühmten alten Kirche hat man
eine (den sogenannten Bourdon) gelassen, die einen
herrlichen Klang hat.

Ludwig XVJ. und Marat, kurz, alle die ehr-
würdigen und nichtswürdigen Schlachtopfer der Revolu-
tion, sind schon so ganz vergessen, daß alle meine Mühe,
den Magdalenen- Kirchhof, (wo sie begraben lie-
gen,) aufzufinden, vergebens war. Der Eine wies mich
dahin, der Andere dorthin; mein Lohnlaquay wollte von
gar Nichts wissen. Endlich hieß es, der Kirchhof sey
an einen Schlosser verkauft, der einen Garten daraus ge-
macht habe. Sogleich fuhr ich zu dem Schlosser, er
war nicht zu Hause; die Leute im Hause wußten nicht
recht, ob die Angabe wahr sey, meynten aber auf jeden
Fall, es sey in ihrem Garten keine Spur mehr von Grä-
bern, denn der Kalk, mit dem man die Leichen verschüt-
tet, habe Alles verzehrt. Kurz, ich mußte wieder ab-

Die neue Froͤmmigkeit scheint mir, wie Alles in
Paris, nur eine Mode. Jch habe einem feierlichen Hoch-
amte in der Kirche notre Dame beigewohnt, die gedraͤngt
voll war; ich habe das Volk genau beobachtet, es gab
nur wenige Andaͤchtige darunter, fast Alle hatten ihre
Schauspielgesichter mitgebracht. Die Vokal-Musik war
ziemlich gut, fuͤr die große Kirche aber doch wohl nicht
stark genug. Der Einlaß auf der Emporkirche kostete
5 Sous. An den Pfeilern hiengen Tafeln, auf welchen
die Taxen der zu vermiethenden Stuͤhle zu lesen waren.
Bei einem Te Deum fand ich sie am theuersten, viel-
leicht, weil ein Te Deum gewoͤhnlich sehr theuer erkauft
wird. Uebrigens hoͤrte ich zum Erstenmal in Paris eine
Glocke, denn dieser beruͤhmten alten Kirche hat man
eine (den sogenannten Bourdon) gelassen, die einen
herrlichen Klang hat.

Ludwig XVJ. und Marat, kurz, alle die ehr-
wuͤrdigen und nichtswuͤrdigen Schlachtopfer der Revolu-
tion, sind schon so ganz vergessen, daß alle meine Muͤhe,
den Magdalenen- Kirchhof, (wo sie begraben lie-
gen,) aufzufinden, vergebens war. Der Eine wies mich
dahin, der Andere dorthin; mein Lohnlaquay wollte von
gar Nichts wissen. Endlich hieß es, der Kirchhof sey
an einen Schlosser verkauft, der einen Garten daraus ge-
macht habe. Sogleich fuhr ich zu dem Schlosser, er
war nicht zu Hause; die Leute im Hause wußten nicht
recht, ob die Angabe wahr sey, meynten aber auf jeden
Fall, es sey in ihrem Garten keine Spur mehr von Graͤ-
bern, denn der Kalk, mit dem man die Leichen verschuͤt-
tet, habe Alles verzehrt. Kurz, ich mußte wieder ab-

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[183/0183] Die neue Froͤmmigkeit scheint mir, wie Alles in Paris, nur eine Mode. Jch habe einem feierlichen Hoch- amte in der Kirche notre Dame beigewohnt, die gedraͤngt voll war; ich habe das Volk genau beobachtet, es gab nur wenige Andaͤchtige darunter, fast Alle hatten ihre Schauspielgesichter mitgebracht. Die Vokal-Musik war ziemlich gut, fuͤr die große Kirche aber doch wohl nicht stark genug. Der Einlaß auf der Emporkirche kostete 5 Sous. An den Pfeilern hiengen Tafeln, auf welchen die Taxen der zu vermiethenden Stuͤhle zu lesen waren. Bei einem Te Deum fand ich sie am theuersten, viel- leicht, weil ein Te Deum gewoͤhnlich sehr theuer erkauft wird. Uebrigens hoͤrte ich zum Erstenmal in Paris eine Glocke, denn dieser beruͤhmten alten Kirche hat man eine (den sogenannten Bourdon) gelassen, die einen herrlichen Klang hat. Ludwig XVJ. und Marat, kurz, alle die ehr- wuͤrdigen und nichtswuͤrdigen Schlachtopfer der Revolu- tion, sind schon so ganz vergessen, daß alle meine Muͤhe, den Magdalenen- Kirchhof, (wo sie begraben lie- gen,) aufzufinden, vergebens war. Der Eine wies mich dahin, der Andere dorthin; mein Lohnlaquay wollte von gar Nichts wissen. Endlich hieß es, der Kirchhof sey an einen Schlosser verkauft, der einen Garten daraus ge- macht habe. Sogleich fuhr ich zu dem Schlosser, er war nicht zu Hause; die Leute im Hause wußten nicht recht, ob die Angabe wahr sey, meynten aber auf jeden Fall, es sey in ihrem Garten keine Spur mehr von Graͤ- bern, denn der Kalk, mit dem man die Leichen verschuͤt- tet, habe Alles verzehrt. Kurz, ich mußte wieder ab-

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/183>, abgerufen am 21.11.2024.