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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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die Zöglinge vorzüglich, und man prophezeiht, daß die-
ser oder jener bald ein großer Tänzer seyn werde.

Diese Art von Feierlichkeiten ist noch bedenklicher
in den Mädchen-Pensionen. Da werden auch Schau-
spiele aufgeführt, wo die Mädchen die reizende Blödig-
keit der Unschuld unterdrücken, um durch kühne Grazie
mit den erfahrensten Frauen in der Koketterie zu wettei-
fern. -- Vormals würde ein junges Frauenzimmer es
sehr übel genommen haben, wenn man von ihm gesagt
hätte: Es tanze wie auf dem Theater; jetzt ist das das
einzige einer guten Tänzerinn würdige Lob.

Auch Kunstkennerinnen sind jetzt die heran-
wachsenden Schönen. Ein Mädchen von höchstens 15
Jahren steht vor Davids Gemälde und betrachtet den
Sabiner, der splitternackend vor ihr steht, aufmerksam
durch ihre Lorgnette, sie spricht von dieser Muskel, die
gut pronunzirt, von jener, die es nicht sey; sie spricht
von der Tibia, dem Abdomen, und Gott weis wovon
sonst noch. -- Da man die artige Ziererei, den Fächer
vor die Augen zu halten, nicht ganz hat wollen abkom-
men lassen, und sie dennoch beschwerlich gefunden hat,
so hat man den Ausweg ergriffen, die Lorgnette in
den Fächerstäben anzubringen, wodurch Allem abgehol-
fen ist.

Mutter und Tochter sind jetzt ganz gleich gekleidet,
dutzen sich, und wenn sie disputiren, giebt keine nach.
Beide tanzen die Gavotte, singen, spielen Karten, fah-
ren einzeln nach Haus, begehen Thorheiten, bekennen
sie einander, beide befehlen im Hause; das Einzige,
wodurch sie sich unterscheiden, ist: Die Mutter trägt
Diamanten im Haare, und die Tochter Blumen.

die Zoͤglinge vorzuͤglich, und man prophezeiht, daß die-
ser oder jener bald ein großer Taͤnzer seyn werde.

Diese Art von Feierlichkeiten ist noch bedenklicher
in den Maͤdchen-Pensionen. Da werden auch Schau-
spiele aufgefuͤhrt, wo die Maͤdchen die reizende Bloͤdig-
keit der Unschuld unterdruͤcken, um durch kuͤhne Grazie
mit den erfahrensten Frauen in der Koketterie zu wettei-
fern. — Vormals wuͤrde ein junges Frauenzimmer es
sehr uͤbel genommen haben, wenn man von ihm gesagt
haͤtte: Es tanze wie auf dem Theater; jetzt ist das das
einzige einer guten Taͤnzerinn wuͤrdige Lob.

Auch Kunstkennerinnen sind jetzt die heran-
wachsenden Schoͤnen. Ein Maͤdchen von hoͤchstens 15
Jahren steht vor Davids Gemaͤlde und betrachtet den
Sabiner, der splitternackend vor ihr steht, aufmerksam
durch ihre Lorgnette, sie spricht von dieser Muskel, die
gut pronunzirt, von jener, die es nicht sey; sie spricht
von der Tibia, dem Abdomen, und Gott weis wovon
sonst noch. — Da man die artige Ziererei, den Faͤcher
vor die Augen zu halten, nicht ganz hat wollen abkom-
men lassen, und sie dennoch beschwerlich gefunden hat,
so hat man den Ausweg ergriffen, die Lorgnette in
den Faͤcherstaͤben anzubringen, wodurch Allem abgehol-
fen ist.

Mutter und Tochter sind jetzt ganz gleich gekleidet,
dutzen sich, und wenn sie disputiren, giebt keine nach.
Beide tanzen die Gavotte, singen, spielen Karten, fah-
ren einzeln nach Haus, begehen Thorheiten, bekennen
sie einander, beide befehlen im Hause; das Einzige,
wodurch sie sich unterscheiden, ist: Die Mutter traͤgt
Diamanten im Haare, und die Tochter Blumen.

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[181/0181] die Zoͤglinge vorzuͤglich, und man prophezeiht, daß die- ser oder jener bald ein großer Taͤnzer seyn werde. Diese Art von Feierlichkeiten ist noch bedenklicher in den Maͤdchen-Pensionen. Da werden auch Schau- spiele aufgefuͤhrt, wo die Maͤdchen die reizende Bloͤdig- keit der Unschuld unterdruͤcken, um durch kuͤhne Grazie mit den erfahrensten Frauen in der Koketterie zu wettei- fern. — Vormals wuͤrde ein junges Frauenzimmer es sehr uͤbel genommen haben, wenn man von ihm gesagt haͤtte: Es tanze wie auf dem Theater; jetzt ist das das einzige einer guten Taͤnzerinn wuͤrdige Lob. Auch Kunstkennerinnen sind jetzt die heran- wachsenden Schoͤnen. Ein Maͤdchen von hoͤchstens 15 Jahren steht vor Davids Gemaͤlde und betrachtet den Sabiner, der splitternackend vor ihr steht, aufmerksam durch ihre Lorgnette, sie spricht von dieser Muskel, die gut pronunzirt, von jener, die es nicht sey; sie spricht von der Tibia, dem Abdomen, und Gott weis wovon sonst noch. — Da man die artige Ziererei, den Faͤcher vor die Augen zu halten, nicht ganz hat wollen abkom- men lassen, und sie dennoch beschwerlich gefunden hat, so hat man den Ausweg ergriffen, die Lorgnette in den Faͤcherstaͤben anzubringen, wodurch Allem abgehol- fen ist. Mutter und Tochter sind jetzt ganz gleich gekleidet, dutzen sich, und wenn sie disputiren, giebt keine nach. Beide tanzen die Gavotte, singen, spielen Karten, fah- ren einzeln nach Haus, begehen Thorheiten, bekennen sie einander, beide befehlen im Hause; das Einzige, wodurch sie sich unterscheiden, ist: Die Mutter traͤgt Diamanten im Haare, und die Tochter Blumen.

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/181>, abgerufen am 21.11.2024.