nebenher schöne Künste und Wissenschaften. Freilich konnte dann ein junger Mensch, der eben aus der Schule kam, nicht gleich in Gesellschaften glänzen; die Damen mußten erst nach und nach ihn abschleifen. Jetzt wird das gute Kind vor allen Dingen nicht durch Studiren ermüdet, alte Sprachen sind überflüßig, schöne Künste die Hauptsache. Die vormals gewöhnlichen Klassen sind abgeschafft, es giebt nur Cours publiques, wo auch Damen und Fremde sich zahlreich versammeln und die ersten Plätze einnehmen; die eigentlichen Zöglinge müssen hinten sitzen, wie die Kanaille bei der gerichtlichen Cere- monie in Figaro's Hochzeit. Durch das süße Geschwätz und das Liebäugeln der Damen werden die Kinder auf die Stunde vorbereitet. Endlich erscheint der galante Professor, nicht mehr ein schwerfälliger Pedant, wie vor- mals; er ist in allen Gesellschaften bekannt, Mitglied aller Lyzeen, artig, gewandt, kurz deliziös. Man empfängt ihn mit frohem Gemurmel, und er zieht den Weihrauch, indem er gebückt durch den Saal geht, be- scheiden in die Nase. Damit nun die Zöglinge lesen lernen, liest der Professor; und was? Eine Satyre von Boileau, oder einen Gesang von Gressets Vert- vert, dann auch wohl ein paar Worte über einen alten Autor. Er will unterhalten, nicht unterrichten gleitet also über alles Ernsthafte hinweg, und schließt endlich mit einer Vorlesung seiner eigenen Verse, unter gewaltigem Händeklatschen der Zuhörer. -- So verfließt das Jahr und die Preise werden ausgetheilt. Das ge- schah vormals mit feierlichem Pomp, jetzt in einer der niedlichsten Gesellschaften. An die Preise wird wenig gedacht. Die Damen finden sich ein, weil es Konzert und Ball giebt. Auf dem letztern glänzen auch
nebenher schoͤne Kuͤnste und Wissenschaften. Freilich konnte dann ein junger Mensch, der eben aus der Schule kam, nicht gleich in Gesellschaften glaͤnzen; die Damen mußten erst nach und nach ihn abschleifen. Jetzt wird das gute Kind vor allen Dingen nicht durch Studiren ermuͤdet, alte Sprachen sind uͤberfluͤßig, schoͤne Kuͤnste die Hauptsache. Die vormals gewoͤhnlichen Klassen sind abgeschafft, es giebt nur Cours publiques, wo auch Damen und Fremde sich zahlreich versammeln und die ersten Plaͤtze einnehmen; die eigentlichen Zoͤglinge muͤssen hinten sitzen, wie die Kanaille bei der gerichtlichen Cere- monie in Figaro's Hochzeit. Durch das suͤße Geschwaͤtz und das Liebaͤugeln der Damen werden die Kinder auf die Stunde vorbereitet. Endlich erscheint der galante Professor, nicht mehr ein schwerfaͤlliger Pedant, wie vor- mals; er ist in allen Gesellschaften bekannt, Mitglied aller Lyzeen, artig, gewandt, kurz delizioͤs. Man empfaͤngt ihn mit frohem Gemurmel, und er zieht den Weihrauch, indem er gebuͤckt durch den Saal geht, be- scheiden in die Nase. Damit nun die Zoͤglinge lesen lernen, liest der Professor; und was? Eine Satyre von Boileau, oder einen Gesang von Gressets Vert- vert, dann auch wohl ein paar Worte uͤber einen alten Autor. Er will unterhalten, nicht unterrichten gleitet also uͤber alles Ernsthafte hinweg, und schließt endlich mit einer Vorlesung seiner eigenen Verse, unter gewaltigem Haͤndeklatschen der Zuhoͤrer. — So verfließt das Jahr und die Preise werden ausgetheilt. Das ge- schah vormals mit feierlichem Pomp, jetzt in einer der niedlichsten Gesellschaften. An die Preise wird wenig gedacht. Die Damen finden sich ein, weil es Konzert und Ball giebt. Auf dem letztern glaͤnzen auch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0180"n="180"/>
nebenher schoͤne Kuͤnste und Wissenschaften. Freilich<lb/>
konnte dann ein junger Mensch, der eben aus der Schule<lb/>
kam, nicht gleich in Gesellschaften glaͤnzen; die Damen<lb/>
mußten erst nach und nach ihn abschleifen. <hirendition="#g">Jetzt</hi> wird<lb/>
das gute Kind vor allen Dingen nicht durch Studiren<lb/>
ermuͤdet, alte Sprachen sind uͤberfluͤßig, schoͤne Kuͤnste<lb/>
die Hauptsache. Die vormals gewoͤhnlichen <hirendition="#g">Klassen</hi><lb/>
sind abgeschafft, es giebt nur Cours publiques, wo auch<lb/>
Damen und Fremde sich zahlreich versammeln und die<lb/>
ersten Plaͤtze einnehmen; die eigentlichen Zoͤglinge muͤssen<lb/>
hinten sitzen, wie die Kanaille bei der gerichtlichen Cere-<lb/>
monie in Figaro's Hochzeit. Durch das suͤße Geschwaͤtz<lb/>
und das Liebaͤugeln der Damen werden die Kinder auf<lb/>
die Stunde vorbereitet. Endlich erscheint der galante<lb/>
Professor, nicht mehr ein schwerfaͤlliger Pedant, wie vor-<lb/>
mals; er ist in allen Gesellschaften bekannt, Mitglied<lb/>
aller Lyzeen, artig, gewandt, kurz <hirendition="#g">delizioͤs.</hi> Man<lb/>
empfaͤngt ihn mit frohem Gemurmel, und er zieht den<lb/>
Weihrauch, indem er gebuͤckt durch den Saal geht, be-<lb/>
scheiden in die Nase. Damit nun die <hirendition="#g">Zoͤglinge lesen</hi><lb/>
lernen, liest der <hirendition="#g">Professor;</hi> und was? Eine Satyre<lb/>
von <hirendition="#g">Boileau,</hi> oder einen Gesang von Gressets Vert-<lb/>
vert, dann auch wohl ein paar Worte uͤber einen alten<lb/>
Autor. Er will unterhalten, nicht unterrichten gleitet<lb/>
also uͤber alles Ernsthafte hinweg, und schließt endlich<lb/>
mit einer Vorlesung <hirendition="#g">seiner eigenen Verse,</hi> unter<lb/>
gewaltigem Haͤndeklatschen der Zuhoͤrer. — So verfließt<lb/>
das Jahr und die Preise werden ausgetheilt. Das ge-<lb/>
schah vormals mit <hirendition="#g">feierlichem Pomp,</hi> jetzt in einer<lb/>
der <hirendition="#g">niedlichsten</hi> Gesellschaften. An die Preise wird<lb/>
wenig gedacht. Die Damen finden sich ein, weil es<lb/>
Konzert und Ball giebt. Auf dem letztern glaͤnzen auch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[180/0180]
nebenher schoͤne Kuͤnste und Wissenschaften. Freilich
konnte dann ein junger Mensch, der eben aus der Schule
kam, nicht gleich in Gesellschaften glaͤnzen; die Damen
mußten erst nach und nach ihn abschleifen. Jetzt wird
das gute Kind vor allen Dingen nicht durch Studiren
ermuͤdet, alte Sprachen sind uͤberfluͤßig, schoͤne Kuͤnste
die Hauptsache. Die vormals gewoͤhnlichen Klassen
sind abgeschafft, es giebt nur Cours publiques, wo auch
Damen und Fremde sich zahlreich versammeln und die
ersten Plaͤtze einnehmen; die eigentlichen Zoͤglinge muͤssen
hinten sitzen, wie die Kanaille bei der gerichtlichen Cere-
monie in Figaro's Hochzeit. Durch das suͤße Geschwaͤtz
und das Liebaͤugeln der Damen werden die Kinder auf
die Stunde vorbereitet. Endlich erscheint der galante
Professor, nicht mehr ein schwerfaͤlliger Pedant, wie vor-
mals; er ist in allen Gesellschaften bekannt, Mitglied
aller Lyzeen, artig, gewandt, kurz delizioͤs. Man
empfaͤngt ihn mit frohem Gemurmel, und er zieht den
Weihrauch, indem er gebuͤckt durch den Saal geht, be-
scheiden in die Nase. Damit nun die Zoͤglinge lesen
lernen, liest der Professor; und was? Eine Satyre
von Boileau, oder einen Gesang von Gressets Vert-
vert, dann auch wohl ein paar Worte uͤber einen alten
Autor. Er will unterhalten, nicht unterrichten gleitet
also uͤber alles Ernsthafte hinweg, und schließt endlich
mit einer Vorlesung seiner eigenen Verse, unter
gewaltigem Haͤndeklatschen der Zuhoͤrer. — So verfließt
das Jahr und die Preise werden ausgetheilt. Das ge-
schah vormals mit feierlichem Pomp, jetzt in einer
der niedlichsten Gesellschaften. An die Preise wird
wenig gedacht. Die Damen finden sich ein, weil es
Konzert und Ball giebt. Auf dem letztern glaͤnzen auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/180>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.