Er glaubt in allem Ernste, daß Newton nur ein Char- latan gewesen. Das Gesetz der Attraktion läugnet er ganz; die Schwerkraft ist, nach ihm, nur ein Druck der Luft. -- Er ist noch immer ein sehr lebhafter alter Mann, der nie vor zwei Uhr Morgens schlafen geht. Acht fer- tige Schauspiele habe ich bei ihm im Manuskripte gese- hen, von welchen auch einige vom französischen Theater angenommen, aber noch nicht gespielt worden.
Ein gewißer Texier kündigte, während meiner An- wesenheit, Vorlesungen von englischen und französischen übersetzten Stücken an, und machte den Anfang mit She- ridans Lästerschule, wobei ich gegenwärtig war. Er hatte ein sehr artiges Lokal im Sallon des etrangers ge- wählt, auch war die Versammlung glänzend, aber nicht zahlreich. Er liest sehr gut, wird jedoch schwerlich sein Glück auf diese Weise machen: denn theils kann der Fran- zose diesen treu übertragenen englischen Produkten kei- nen Geschmack abgewinnen, theils hat Niemand Geduld, vier Stunden lang, von 8 bis 12 Uhr Abends, vorleseu zu hören. Auch ist der Preis von einem Laubthaler eben nicht gering. Jn England soll Texier viel Geld mit Vor- lesung französischer Stücke verdient haben. Das will ich eher glauben. Jn Frankreich wollt' ich ihm rathen, lie- ber Schauspieler zu werden: denn da seine Deklamation und sein Minenspiel in der That vortrefflich sind, so wür- de er einen der ersten Plätze ausfüllen können.
Anekdoten aus der Schreckenszeit hört man noch überall. Es wäre gut, wenn ein verständiger Mann sie sammelte, doch nur solche aufzeichnete, die dem Erzähler selbst begegnet sind: denn auch hier sieht es mit der hi-
Er glaubt in allem Ernste, daß Newton nur ein Char- latan gewesen. Das Gesetz der Attraktion laͤugnet er ganz; die Schwerkraft ist, nach ihm, nur ein Druck der Luft. — Er ist noch immer ein sehr lebhafter alter Mann, der nie vor zwei Uhr Morgens schlafen geht. Acht fer- tige Schauspiele habe ich bei ihm im Manuskripte gese- hen, von welchen auch einige vom franzoͤsischen Theater angenommen, aber noch nicht gespielt worden.
Ein gewißer Texier kuͤndigte, waͤhrend meiner An- wesenheit, Vorlesungen von englischen und franzoͤsischen uͤbersetzten Stuͤcken an, und machte den Anfang mit She- ridans Laͤsterschule, wobei ich gegenwaͤrtig war. Er hatte ein sehr artiges Lokal im Sallon des étrangers ge- waͤhlt, auch war die Versammlung glaͤnzend, aber nicht zahlreich. Er liest sehr gut, wird jedoch schwerlich sein Gluͤck auf diese Weise machen: denn theils kann der Fran- zose diesen treu uͤbertragenen englischen Produkten kei- nen Geschmack abgewinnen, theils hat Niemand Geduld, vier Stunden lang, von 8 bis 12 Uhr Abends, vorleseu zu hoͤren. Auch ist der Preis von einem Laubthaler eben nicht gering. Jn England soll Texier viel Geld mit Vor- lesung franzoͤsischer Stuͤcke verdient haben. Das will ich eher glauben. Jn Frankreich wollt' ich ihm rathen, lie- ber Schauspieler zu werden: denn da seine Deklamation und sein Minenspiel in der That vortrefflich sind, so wuͤr- de er einen der ersten Plaͤtze ausfuͤllen koͤnnen.
Anekdoten aus der Schreckenszeit hoͤrt man noch uͤberall. Es waͤre gut, wenn ein verstaͤndiger Mann sie sammelte, doch nur solche aufzeichnete, die dem Erzaͤhler selbst begegnet sind: denn auch hier sieht es mit der hi-
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Er glaubt in allem Ernste, daß Newton nur ein Char-
latan gewesen. Das Gesetz der Attraktion laͤugnet er
ganz; die Schwerkraft ist, nach ihm, nur ein Druck der
Luft. — Er ist noch immer ein sehr lebhafter alter Mann,
der nie vor zwei Uhr Morgens schlafen geht. Acht fer-
tige Schauspiele habe ich bei ihm im Manuskripte gese-
hen, von welchen auch einige vom franzoͤsischen Theater
angenommen, aber noch nicht gespielt worden.
Ein gewißer Texier kuͤndigte, waͤhrend meiner An-
wesenheit, Vorlesungen von englischen und franzoͤsischen
uͤbersetzten Stuͤcken an, und machte den Anfang mit She-
ridans Laͤsterschule, wobei ich gegenwaͤrtig war. Er
hatte ein sehr artiges Lokal im Sallon des étrangers ge-
waͤhlt, auch war die Versammlung glaͤnzend, aber nicht
zahlreich. Er liest sehr gut, wird jedoch schwerlich sein
Gluͤck auf diese Weise machen: denn theils kann der Fran-
zose diesen treu uͤbertragenen englischen Produkten kei-
nen Geschmack abgewinnen, theils hat Niemand Geduld,
vier Stunden lang, von 8 bis 12 Uhr Abends, vorleseu
zu hoͤren. Auch ist der Preis von einem Laubthaler eben
nicht gering. Jn England soll Texier viel Geld mit Vor-
lesung franzoͤsischer Stuͤcke verdient haben. Das will ich
eher glauben. Jn Frankreich wollt' ich ihm rathen, lie-
ber Schauspieler zu werden: denn da seine Deklamation
und sein Minenspiel in der That vortrefflich sind, so wuͤr-
de er einen der ersten Plaͤtze ausfuͤllen koͤnnen.
Anekdoten aus der Schreckenszeit hoͤrt man noch
uͤberall. Es waͤre gut, wenn ein verstaͤndiger Mann sie
sammelte, doch nur solche aufzeichnete, die dem Erzaͤhler
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/168>, abgerufen am 16.02.2025.
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