Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.getragen haben soll, und wohl die meisten Leser, wie mich, Mercier, der Verfasser des tableau de Paris, des getragen haben soll, und wohl die meisten Leser, wie mich, Mercier, der Verfasser des tableau de Paris, des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0167" n="167"/> getragen haben soll, und wohl die meisten Leser, wie mich,<lb/> ruͤhren wird. Sie spielte das Klavier, ihr Geliebter ak-<lb/> kompagnirte ihr oft auf der Harfe. Er starb. Seine<lb/> Harfe war in ihrem Zimmer geblieben. Aus der ersten<lb/> Verzweiflung versank sie in tiefe Schwermuth, und es<lb/> waͤhrte lange, ehe sie sich entschließen konnte, sich wie-<lb/> der an ihr Klavier zu setzen. Endlich that sie es, griff<lb/> einige Akkorde, und horch! die gleichgestimmte Harfe<lb/><hi rendition="#g">toͤnte mit!</hi> Anfangs uͤberlief ein heimlicher Schauder<lb/> das gute Maͤdchen, aber bald empfand sie bloß eine<lb/> freundliche Wehmuth. Sie war fest uͤberzeugt, daß der<lb/> Geist ihres Geliebten aus den Saiten der Harfe lispele;<lb/> das Klavier war nun ihr einziger Trost: denn nur da<lb/> fand sie die erfreuliche Gewißheit, daß der Geliebte noch<lb/> um sie schwebe. — Einst trat Einer von den herzlosen<lb/> Menschen, die Alles wissen und Alles erklaͤren, zu ihr<lb/> ins Zimmer — das Maͤdchen gab ihm einen Wink, still<lb/> zu seyn: denn die liebe Harfe toͤnte gerade so vernehmlich<lb/> — er erfuhr, welch' ein lieblicher Wahn sie taͤusche, lach-<lb/> te, und bewies ihr hochgelahrt aus der Experimentalphy-<lb/> sik, daß das ganz natuͤrlich zugehe. Von Stunde an<lb/> wurde das Maͤdchen schwermuͤthig, und starb bald nach-<lb/> her. — O ihr wohlweise Menschen! die ihr so man-<lb/> chen suͤßen, begluͤckenden Wahn uns raubt, ohne etwas<lb/> Troͤstendes an die Stelle setzen zu koͤnnen, ist es euch<lb/> dann nicht moͤglich, eure Weisheit fuͤr euch zu behalten?<lb/> muͤßt ihr dann durchaus dem Kitzel, mit hoͤherer Einsicht<lb/> zu prahlen, die Ruhe zufriedener Menschen opfern?</p><lb/> <p>Mercier, der Verfasser des tableau de Paris, des<lb/> Essighaͤndlers u. s. w. ist durch Gutmuͤthigkeit und Para-<lb/> doxen ein angenehmer und unterhaltender Gesellschafter.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [167/0167]
getragen haben soll, und wohl die meisten Leser, wie mich,
ruͤhren wird. Sie spielte das Klavier, ihr Geliebter ak-
kompagnirte ihr oft auf der Harfe. Er starb. Seine
Harfe war in ihrem Zimmer geblieben. Aus der ersten
Verzweiflung versank sie in tiefe Schwermuth, und es
waͤhrte lange, ehe sie sich entschließen konnte, sich wie-
der an ihr Klavier zu setzen. Endlich that sie es, griff
einige Akkorde, und horch! die gleichgestimmte Harfe
toͤnte mit! Anfangs uͤberlief ein heimlicher Schauder
das gute Maͤdchen, aber bald empfand sie bloß eine
freundliche Wehmuth. Sie war fest uͤberzeugt, daß der
Geist ihres Geliebten aus den Saiten der Harfe lispele;
das Klavier war nun ihr einziger Trost: denn nur da
fand sie die erfreuliche Gewißheit, daß der Geliebte noch
um sie schwebe. — Einst trat Einer von den herzlosen
Menschen, die Alles wissen und Alles erklaͤren, zu ihr
ins Zimmer — das Maͤdchen gab ihm einen Wink, still
zu seyn: denn die liebe Harfe toͤnte gerade so vernehmlich
— er erfuhr, welch' ein lieblicher Wahn sie taͤusche, lach-
te, und bewies ihr hochgelahrt aus der Experimentalphy-
sik, daß das ganz natuͤrlich zugehe. Von Stunde an
wurde das Maͤdchen schwermuͤthig, und starb bald nach-
her. — O ihr wohlweise Menschen! die ihr so man-
chen suͤßen, begluͤckenden Wahn uns raubt, ohne etwas
Troͤstendes an die Stelle setzen zu koͤnnen, ist es euch
dann nicht moͤglich, eure Weisheit fuͤr euch zu behalten?
muͤßt ihr dann durchaus dem Kitzel, mit hoͤherer Einsicht
zu prahlen, die Ruhe zufriedener Menschen opfern?
Mercier, der Verfasser des tableau de Paris, des
Essighaͤndlers u. s. w. ist durch Gutmuͤthigkeit und Para-
doxen ein angenehmer und unterhaltender Gesellschafter.
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