hatte ich mir den Schauspieler La-Rive immer als einen alten Mann vorgestellt, weil ich wußte, er habe sich in Ruhe gesetzt; aber nichts Weniger. Er ist ein Mann von etwas über 40 Jahren, der, um das Leben zu ge- nießen, ein kleines Gut, Montlignon, nahe bei dem Thale von Montmorency, gekauft, und dort eine mine- ralische Quelle entdeckt hat, die als sehr magenstärkend allen Leckermäulern empfohlen wird. Er will an dieser Quelle ein Dorf anlegen, und erboth sich, als ich in Pa- ris war, für 15000 Franken, ein für allemal bezahlt, Jedem, dem es beliebe, ein allerliebstes Haus zu bauen, und einen artigen Garten zu geben. Jch habe nicht ge- hört, ob sein Projekt Eingang gefunden hat.
Bei allen den Vortheilen, die der französische Schau- spieler genießt, hat er weit weniger Arbeit als der teut- sche: denn man fodert nicht so oft neue Stücke von ihm. Hingegen muß man gestehen, daß er sich zehenmal mehr Mühe giebt, ein neues Stück gut und rund einzustudie- ren, Dreißig Proben werden gewöhnlich, alle mit der größten Ordnung, gehalten, (in Teutschland zwei bis drei) der Verfasser ist, wenn er will, immer gegenwär- tig. Bei der letzten Probe, selbst wenn das Stück schon angekündigt ist, hat er das Recht, ein Veto von sich zu geben, und zu erklären: es geht noch nicht, es muß noch öfter probirt werden. Auch wollte ich keiner Bühne ra- then, ohne Einwilligung des Verfassers, auch nur ein Wort an seinem Werke zu ändern. Lauter Beweise ge- genseitiger Achtung und zarter Behandlung, von denen man in Teutschland nur da, wo der wackre Jffland an der Spitze steht, einen Begriff hat.
Der Minister des Jnnern, Chaptal, war bekannt-
hatte ich mir den Schauspieler La-Rive immer als einen alten Mann vorgestellt, weil ich wußte, er habe sich in Ruhe gesetzt; aber nichts Weniger. Er ist ein Mann von etwas uͤber 40 Jahren, der, um das Leben zu ge- nießen, ein kleines Gut, Montlignon, nahe bei dem Thale von Montmorency, gekauft, und dort eine mine- ralische Quelle entdeckt hat, die als sehr magenstaͤrkend allen Leckermaͤulern empfohlen wird. Er will an dieser Quelle ein Dorf anlegen, und erboth sich, als ich in Pa- ris war, fuͤr 15000 Franken, ein fuͤr allemal bezahlt, Jedem, dem es beliebe, ein allerliebstes Haus zu bauen, und einen artigen Garten zu geben. Jch habe nicht ge- hoͤrt, ob sein Projekt Eingang gefunden hat.
Bei allen den Vortheilen, die der franzoͤsische Schau- spieler genießt, hat er weit weniger Arbeit als der teut- sche: denn man fodert nicht so oft neue Stuͤcke von ihm. Hingegen muß man gestehen, daß er sich zehenmal mehr Muͤhe giebt, ein neues Stuͤck gut und rund einzustudie- ren, Dreißig Proben werden gewoͤhnlich, alle mit der groͤßten Ordnung, gehalten, (in Teutschland zwei bis drei) der Verfasser ist, wenn er will, immer gegenwaͤr- tig. Bei der letzten Probe, selbst wenn das Stuͤck schon angekuͤndigt ist, hat er das Recht, ein Veto von sich zu geben, und zu erklaͤren: es geht noch nicht, es muß noch oͤfter probirt werden. Auch wollte ich keiner Buͤhne ra- then, ohne Einwilligung des Verfassers, auch nur ein Wort an seinem Werke zu aͤndern. Lauter Beweise ge- genseitiger Achtung und zarter Behandlung, von denen man in Teutschland nur da, wo der wackre Jffland an der Spitze steht, einen Begriff hat.
Der Minister des Jnnern, Chaptal, war bekannt-
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hatte ich mir den Schauspieler La-Rive immer als einen
alten Mann vorgestellt, weil ich wußte, er habe sich in
Ruhe gesetzt; aber nichts Weniger. Er ist ein Mann
von etwas uͤber 40 Jahren, der, um das Leben zu ge-
nießen, ein kleines Gut, Montlignon, nahe bei dem
Thale von Montmorency, gekauft, und dort eine mine-
ralische Quelle entdeckt hat, die als sehr magenstaͤrkend
allen Leckermaͤulern empfohlen wird. Er will an dieser
Quelle ein Dorf anlegen, und erboth sich, als ich in Pa-
ris war, fuͤr 15000 Franken, ein fuͤr allemal bezahlt,
Jedem, dem es beliebe, ein allerliebstes Haus zu bauen,
und einen artigen Garten zu geben. Jch habe nicht ge-
hoͤrt, ob sein Projekt Eingang gefunden hat.
Bei allen den Vortheilen, die der franzoͤsische Schau-
spieler genießt, hat er weit weniger Arbeit als der teut-
sche: denn man fodert nicht so oft neue Stuͤcke von ihm.
Hingegen muß man gestehen, daß er sich zehenmal mehr
Muͤhe giebt, ein neues Stuͤck gut und rund einzustudie-
ren, Dreißig Proben werden gewoͤhnlich, alle mit der
groͤßten Ordnung, gehalten, (in Teutschland zwei bis
drei) der Verfasser ist, wenn er will, immer gegenwaͤr-
tig. Bei der letzten Probe, selbst wenn das Stuͤck schon
angekuͤndigt ist, hat er das Recht, ein Veto von sich zu
geben, und zu erklaͤren: es geht noch nicht, es muß noch
oͤfter probirt werden. Auch wollte ich keiner Buͤhne ra-
then, ohne Einwilligung des Verfassers, auch nur ein
Wort an seinem Werke zu aͤndern. Lauter Beweise ge-
genseitiger Achtung und zarter Behandlung, von denen
man in Teutschland nur da, wo der wackre Jffland an
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/165>, abgerufen am 31.07.2024.
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