Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.
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heit der Empfindung und Darstellung. Alle „Wie ist es moͤglich,“ ruft ein Anderer, daß bei <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0156" n="156"/> heit</hi> der <hi rendition="#g">Empfindung</hi> und <hi rendition="#g">Darstellung.</hi> Alle<lb/><hi rendition="#g">Jons</hi> und <hi rendition="#g">Eugenien</hi> werden sie nicht verdraͤngen.<lb/> Ein <hi rendition="#g">natuͤrliches</hi> Veilchen ist am Ende doch immer<lb/> Mehr werth, als eine gemachte Lilie, waͤre sie auch noch<lb/> so kunstreich fabrizirt.</p><lb/> <p>„Wie ist es moͤglich,“ ruft ein Anderer, daß bei<lb/> „unserm Leichtsinne, unserm Hange zur Froͤhlichkeit, wir<lb/> „seit vier oder fuͤnf Jahren so viele Thraͤnen in einem<lb/> „schlechten teutschen Drama vergießen? Haͤtte man sie<lb/> „alle gesammelt, die vergossenen Thraͤnen, man haͤtte<lb/> „die große Trockenheit dieses Jahres darmit vermindern<lb/> „koͤnnen.“ — Nun aber kommt das Merkwuͤrdigste,<lb/> die Ursache naͤmlich, warum Menschenhaß und Reue in<lb/> Teutschland so sehr gefallen habe. „Jn Teutschland,“<lb/> faͤhrt er fort, „war das sehr natuͤrlich, weil vor Erschei-<lb/> „nung von Menschenhaß und Reue die Sitten so außer-<lb/> „ordentlich streng waren: denn was geschah, wenn ein<lb/> „Frauenzimmer sich vergaß? Man heftete ihr einen Ze-<lb/> „del auf die Schulter, setzte ihr eine Art von Triangel<lb/> „mit Schellen und Gloͤcklein auf den Kopf, fuͤhrte sie<lb/> „so durch die Stadt, und endlich ins Zuchthaus, wo<lb/> „sie, mit eisernen Kugeln an den Fuͤßen, ein Jahr lang<lb/> „die Straßen fegen mußte. Ueberdieß mußte sie alle<lb/> „Sonntage in der Kirche oͤffentliche Buße thun.“ (Him-<lb/> mel! was fuͤr reine Straßen und volle Kirchen wuͤrden<lb/> wir haben, wenn das wahr waͤre!) „Der Zweck von<lb/> „Menschenhaß und Reue sey also gewesen, die Strenge<lb/> „dieser Gesetze zu mildern, und darum haͤtten besonders<lb/> „die Weiber das Stuͤck gleich in Schutz genommen.<lb/> „Das aber die Franzosen ihren Corneille, Racine, Vol-<lb/> „taire, um eines teutschen Dichters willen, eine Zeitlang<lb/> „vergessen haͤtten, das sey doch gar zu arg. Das teut-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [156/0156]
heit der Empfindung und Darstellung. Alle
Jons und Eugenien werden sie nicht verdraͤngen.
Ein natuͤrliches Veilchen ist am Ende doch immer
Mehr werth, als eine gemachte Lilie, waͤre sie auch noch
so kunstreich fabrizirt.
„Wie ist es moͤglich,“ ruft ein Anderer, daß bei
„unserm Leichtsinne, unserm Hange zur Froͤhlichkeit, wir
„seit vier oder fuͤnf Jahren so viele Thraͤnen in einem
„schlechten teutschen Drama vergießen? Haͤtte man sie
„alle gesammelt, die vergossenen Thraͤnen, man haͤtte
„die große Trockenheit dieses Jahres darmit vermindern
„koͤnnen.“ — Nun aber kommt das Merkwuͤrdigste,
die Ursache naͤmlich, warum Menschenhaß und Reue in
Teutschland so sehr gefallen habe. „Jn Teutschland,“
faͤhrt er fort, „war das sehr natuͤrlich, weil vor Erschei-
„nung von Menschenhaß und Reue die Sitten so außer-
„ordentlich streng waren: denn was geschah, wenn ein
„Frauenzimmer sich vergaß? Man heftete ihr einen Ze-
„del auf die Schulter, setzte ihr eine Art von Triangel
„mit Schellen und Gloͤcklein auf den Kopf, fuͤhrte sie
„so durch die Stadt, und endlich ins Zuchthaus, wo
„sie, mit eisernen Kugeln an den Fuͤßen, ein Jahr lang
„die Straßen fegen mußte. Ueberdieß mußte sie alle
„Sonntage in der Kirche oͤffentliche Buße thun.“ (Him-
mel! was fuͤr reine Straßen und volle Kirchen wuͤrden
wir haben, wenn das wahr waͤre!) „Der Zweck von
„Menschenhaß und Reue sey also gewesen, die Strenge
„dieser Gesetze zu mildern, und darum haͤtten besonders
„die Weiber das Stuͤck gleich in Schutz genommen.
„Das aber die Franzosen ihren Corneille, Racine, Vol-
„taire, um eines teutschen Dichters willen, eine Zeitlang
„vergessen haͤtten, das sey doch gar zu arg. Das teut-
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