mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter. Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei- disch als bei uns. -- Noch bei der dritten Vorstellung mußte das Orchester ausgeräumt werden, um der herzu- strömenden Menge Platz zu machen.
6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo- sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer- melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehört hat, der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma- tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstände, die nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir Langeweile machte, und den blinden Cassander, über den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon das Leyermädchen eine Ausnahme, wie auch Ber- quin, beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma- dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber, daß unsere Unzelmann sie übertreffen werde. Jn dem letztgenannten Stücke (Berquin) war es Schade, daß eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt- samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro- yal entlaufen zu seyn schien. -- Der Saal ist niedlich. -- eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi- kum. Kein Zipfel eines Shawls darf über die Loge herabhängen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre: Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick- lich, so verdoppelt sich der Lärm, und es heißt nun: Jettez le Shawl! Und schon öfter ist die Dame gezwun- gen gewesen, diesem ungestümmen Verlangen nachzuge- ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren.
mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter. Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei- disch als bei uns. — Noch bei der dritten Vorstellung mußte das Orchester ausgeraͤumt werden, um der herzu- stroͤmenden Menge Platz zu machen.
6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo- sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer- melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehoͤrt hat, der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma- tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstaͤnde, die nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir Langeweile machte, und den blinden Cassander, uͤber den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon das Leyermaͤdchen eine Ausnahme, wie auch Ber- quin, beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma- dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber, daß unsere Unzelmann sie uͤbertreffen werde. Jn dem letztgenannten Stuͤcke (Berquin) war es Schade, daß eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt- samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro- yal entlaufen zu seyn schien. — Der Saal ist niedlich. — eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi- kum. Kein Zipfel eines Shawls darf uͤber die Loge herabhaͤngen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre: Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick- lich, so verdoppelt sich der Laͤrm, und es heißt nun: Jettez le Shawl! Und schon oͤfter ist die Dame gezwun- gen gewesen, diesem ungestuͤmmen Verlangen nachzuge- ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren.
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mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter.
Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei-
disch als bei uns. — Noch bei der dritten Vorstellung
mußte das Orchester ausgeraͤumt werden, um der herzu-
stroͤmenden Menge Platz zu machen.
6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo-
sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer-
melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehoͤrt hat,
der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma-
tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstaͤnde, die
nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in
der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir
Langeweile machte, und den blinden Cassander,
uͤber den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon
das Leyermaͤdchen eine Ausnahme, wie auch Ber-
quin, beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma-
dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber,
daß unsere Unzelmann sie uͤbertreffen werde. Jn dem
letztgenannten Stuͤcke (Berquin) war es Schade, daß
eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt-
samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro-
yal entlaufen zu seyn schien. — Der Saal ist niedlich.
— eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi-
kum. Kein Zipfel eines Shawls darf uͤber die Loge
herabhaͤngen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre:
Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick-
lich, so verdoppelt sich der Laͤrm, und es heißt nun:
Jettez le Shawl! Und schon oͤfter ist die Dame gezwun-
gen gewesen, diesem ungestuͤmmen Verlangen nachzuge-
ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/140>, abgerufen am 08.07.2024.
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