Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper, welche in manchem Betracht das erste Spektakel in der Welt genannt zu werden verdient. Orchester, Chöre, Dekorationen, Maschinerie und Tanz werden nir- gends so gefunden. Der Gesang allein ist mehr ein Ge- schrey. Man will das durch die Größe des Hauses entschuldigen, aber vergebens. Warum vernimmt man dann auch von Madame Branchu jeden Ton, obwohl sie bei weitem nicht so gräßlich schreyt als Mamsell Maillard, die man sicher einst todt vom Theater tragen wird. Sehr oft überschreyt sie, bei leidenschaftlichen Rollen, sich dermaßen, daß sie nur noch unartikulierte Töne von sich giebt. Bediente sie sich dieser Manier, als Kunstgriff, äußerst selten, so würde sie einen großen Effekt darmit hervorbringen; es ist aber ihre Natur, und kommt in jeder Szene wieder vor.
Adrien. Mehül's Musik scheint mir, wenigstens so vorgetragen, ein Meisterstück der Deklamation. Wie stark das Orchester besetzt ist, kann man unter andern aus dem Umstande ermessen, daß sechs Kontrebässe darinn sind. Ueberdieß ist in den meisten Pariser Thea- tern der Platz des Orchesters weit zweckmäßiger berech- net, als in den teutschen. Es ist nämlich weniger lang als bei uns, und hingegen viel breiter. Der Raum, der dadurch in der Mitte für die Zuschauer ver- loren geht, wird an beiden Seiten wieder gewonnen. Der Hauptvortheil aber ist, daß die Blaseinstrumente nicht zu weit entfernet sitzen, und alle Stimmen mehr konzentrirt sind. Es giebt hier keinen Souffler. Der- jenige, der das Orchester dirigirt, verwaltet auch zugleich dieses Amt. -- Die Sänger sind zugleich ziemlich gute Schauspieler, ein Talent, welches man auch der
Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper, welche in manchem Betracht das erste Spektakel in der Welt genannt zu werden verdient. Orchester, Choͤre, Dekorationen, Maschinerie und Tanz werden nir- gends so gefunden. Der Gesang allein ist mehr ein Ge- schrey. Man will das durch die Groͤße des Hauses entschuldigen, aber vergebens. Warum vernimmt man dann auch von Madame Branchu jeden Ton, obwohl sie bei weitem nicht so graͤßlich schreyt als Mamsell Maillard, die man sicher einst todt vom Theater tragen wird. Sehr oft uͤberschreyt sie, bei leidenschaftlichen Rollen, sich dermaßen, daß sie nur noch unartikulierte Toͤne von sich giebt. Bediente sie sich dieser Manier, als Kunstgriff, aͤußerst selten, so wuͤrde sie einen großen Effekt darmit hervorbringen; es ist aber ihre Natur, und kommt in jeder Szene wieder vor.
Adrien. Mehuͤl's Musik scheint mir, wenigstens so vorgetragen, ein Meisterstuͤck der Deklamation. Wie stark das Orchester besetzt ist, kann man unter andern aus dem Umstande ermessen, daß sechs Kontrebaͤsse darinn sind. Ueberdieß ist in den meisten Pariser Thea- tern der Platz des Orchesters weit zweckmaͤßiger berech- net, als in den teutschen. Es ist naͤmlich weniger lang als bei uns, und hingegen viel breiter. Der Raum, der dadurch in der Mitte fuͤr die Zuschauer ver- loren geht, wird an beiden Seiten wieder gewonnen. Der Hauptvortheil aber ist, daß die Blaseinstrumente nicht zu weit entfernet sitzen, und alle Stimmen mehr konzentrirt sind. Es giebt hier keinen Souffler. Der- jenige, der das Orchester dirigirt, verwaltet auch zugleich dieses Amt. — Die Saͤnger sind zugleich ziemlich gute Schauspieler, ein Talent, welches man auch der
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Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper,
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Dekorationen, Maschinerie und Tanz werden nir-
gends so gefunden. Der Gesang allein ist mehr ein Ge-
schrey. Man will das durch die Groͤße des Hauses
entschuldigen, aber vergebens. Warum vernimmt man
dann auch von Madame Branchu jeden Ton, obwohl sie
bei weitem nicht so graͤßlich schreyt als Mamsell Maillard,
die man sicher einst todt vom Theater tragen wird. Sehr
oft uͤberschreyt sie, bei leidenschaftlichen Rollen, sich
dermaßen, daß sie nur noch unartikulierte Toͤne von sich
giebt. Bediente sie sich dieser Manier, als Kunstgriff,
aͤußerst selten, so wuͤrde sie einen großen Effekt darmit
hervorbringen; es ist aber ihre Natur, und kommt in
jeder Szene wieder vor.
Adrien. Mehuͤl's Musik scheint mir, wenigstens
so vorgetragen, ein Meisterstuͤck der Deklamation. Wie
stark das Orchester besetzt ist, kann man unter andern
aus dem Umstande ermessen, daß sechs Kontrebaͤsse
darinn sind. Ueberdieß ist in den meisten Pariser Thea-
tern der Platz des Orchesters weit zweckmaͤßiger berech-
net, als in den teutschen. Es ist naͤmlich weniger
lang als bei uns, und hingegen viel breiter. Der
Raum, der dadurch in der Mitte fuͤr die Zuschauer ver-
loren geht, wird an beiden Seiten wieder gewonnen.
Der Hauptvortheil aber ist, daß die Blaseinstrumente
nicht zu weit entfernet sitzen, und alle Stimmen mehr
konzentrirt sind. Es giebt hier keinen Souffler. Der-
jenige, der das Orchester dirigirt, verwaltet auch zugleich
dieses Amt. — Die Saͤnger sind zugleich ziemlich gute
Schauspieler, ein Talent, welches man auch der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/131>, abgerufen am 08.07.2024.
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