Da in Paris täglich auf 17 oder 18 verschiedenen Büh- nen gespielt wird, so ist begreiflich, daß die Theater von sehr verschiedenem Werthe sind. Es giebt vortreffliche, gute, mittelmäßige und schlechte.
Das Erste im Range und in der Vollkommenheit ist das Theatre francais. Ueber die französische Manier, Trauerspiele darzustellen, habe ich mich schon an mehre- ren Orten erklärt. Jch kann sie nicht leiden, eben weil sie Manier ist. Alle französische Helden sind in eine Form gegossen, bey ihnen giebt es nur eine Art, Em- pfinduug und Leidenschaft auszudrücken; wer ein Trauer- spiel sah, der hat sie alle gesehen. Einige der ersten Mitglieder des Theatre francais machen hiervon zuwei- len eine Ausnahme, der einzige Talma immer. Er selbst gesteht aber auch, daß er die deutsche und franzö- sische Manier zu vereinigen suche. Seine Neider tadeln ihn deßhalb, aber die große Wirkung, die er jedes- mal hervorbringt, beweist zur Genüge, daß er die Her- zen trifft. Talma ist ein schöner Mann, mit einer sanft schwermüthigen Physiognomie, die jedoch jede Leideuschaft auszudrücken fähig ist. Er spricht sehr vernünftig über Natur und Kunst, und über den großen Streit zwi- schen Teutschen und Franzosen, da sie bald dieser, bald jener ausschließlich huldigen. Die Vereinigung Beyder, sagt er mit Recht, sey Beyder Triumph. Er hat aus- ländische Theater gesehen. Prüfet Alles, das Gute be- haltet, ist auch sein Wahlspruch.
Theater der Franzosen.
Da in Paris taͤglich auf 17 oder 18 verschiedenen Buͤh- nen gespielt wird, so ist begreiflich, daß die Theater von sehr verschiedenem Werthe sind. Es giebt vortreffliche, gute, mittelmaͤßige und schlechte.
Das Erste im Range und in der Vollkommenheit ist das Théatre français. Ueber die franzoͤsische Manier, Trauerspiele darzustellen, habe ich mich schon an mehre- ren Orten erklaͤrt. Jch kann sie nicht leiden, eben weil sie Manier ist. Alle franzoͤsische Helden sind in eine Form gegossen, bey ihnen giebt es nur eine Art, Em- pfinduug und Leidenschaft auszudruͤcken; wer ein Trauer- spiel sah, der hat sie alle gesehen. Einige der ersten Mitglieder des Théatre français machen hiervon zuwei- len eine Ausnahme, der einzige Talma immer. Er selbst gesteht aber auch, daß er die deutsche und franzoͤ- sische Manier zu vereinigen suche. Seine Neider tadeln ihn deßhalb, aber die große Wirkung, die er jedes- mal hervorbringt, beweist zur Genuͤge, daß er die Her- zen trifft. Talma ist ein schoͤner Mann, mit einer sanft schwermuͤthigen Physiognomie, die jedoch jede Leideuschaft auszudruͤcken faͤhig ist. Er spricht sehr vernuͤnftig uͤber Natur und Kunst, und uͤber den großen Streit zwi- schen Teutschen und Franzosen, da sie bald dieser, bald jener ausschließlich huldigen. Die Vereinigung Beyder, sagt er mit Recht, sey Beyder Triumph. Er hat aus- laͤndische Theater gesehen. Pruͤfet Alles, das Gute be- haltet, ist auch sein Wahlspruch.
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Theater der Franzosen.
Da in Paris taͤglich auf 17 oder 18 verschiedenen Buͤh-
nen gespielt wird, so ist begreiflich, daß die Theater von
sehr verschiedenem Werthe sind. Es giebt vortreffliche,
gute, mittelmaͤßige und schlechte.
Das Erste im Range und in der Vollkommenheit ist
das Théatre français. Ueber die franzoͤsische Manier,
Trauerspiele darzustellen, habe ich mich schon an mehre-
ren Orten erklaͤrt. Jch kann sie nicht leiden, eben weil
sie Manier ist. Alle franzoͤsische Helden sind in eine
Form gegossen, bey ihnen giebt es nur eine Art, Em-
pfinduug und Leidenschaft auszudruͤcken; wer ein Trauer-
spiel sah, der hat sie alle gesehen. Einige der ersten
Mitglieder des Théatre français machen hiervon zuwei-
len eine Ausnahme, der einzige Talma immer. Er
selbst gesteht aber auch, daß er die deutsche und franzoͤ-
sische Manier zu vereinigen suche. Seine Neider tadeln
ihn deßhalb, aber die große Wirkung, die er jedes-
mal hervorbringt, beweist zur Genuͤge, daß er die Her-
zen trifft. Talma ist ein schoͤner Mann, mit einer sanft
schwermuͤthigen Physiognomie, die jedoch jede Leideuschaft
auszudruͤcken faͤhig ist. Er spricht sehr vernuͤnftig uͤber
Natur und Kunst, und uͤber den großen Streit zwi-
schen Teutschen und Franzosen, da sie bald dieser, bald
jener ausschließlich huldigen. Die Vereinigung Beyder,
sagt er mit Recht, sey Beyder Triumph. Er hat aus-
laͤndische Theater gesehen. Pruͤfet Alles, das Gute be-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/120>, abgerufen am 08.07.2024.
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