Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.habe, um sich zu überzeugen, daß er nicht entführt sey. Eines Tages, gegen Ende des Monats May 1795, "Am andern Abende, um die nämliche Zeit, kam habe, um sich zu uͤberzeugen, daß er nicht entfuͤhrt sey. Eines Tages, gegen Ende des Monats May 1795, „Am andern Abende, um die naͤmliche Zeit, kam <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0101" n="101"/> habe, um sich zu uͤberzeugen, daß er nicht entfuͤhrt sey.<lb/> „Jch mußte,“ fuhr er fort, „die niedrigsten Arbeiten<lb/> verrichten, meine Gesundheit litt darunter. — Der 9te<lb/> Thermidor erleichterte das Schicksal so mancher Schlacht-<lb/> opfer der Revolution, auch das meinige; man gab mir<lb/> bessere Kleidung, gesundere Speisen, man erlaubte mir<lb/> die Spiele meines Alters. Meine Schwester durfte zu<lb/> mir kommen, mit mir essen, mit mir spielen. Welch<lb/> ein Augenblick, der erste unsrer Wiedereinigung! (er<lb/> weinte bitterlich, wenn er davon sprach.) Jndessen wurde<lb/> meine Gesundheit doch immer schwaͤcher, die Kerkerluft<lb/> wuͤrde mich getoͤdtet haben; aber Gott hatte beschlossen,<lb/> mir Hilfe zu senden.“</p><lb/> <p>Eines Tages, gegen Ende des Monats May 1795,<lb/> als ich eben einschlummern wollte, naͤherte sich mir Einer<lb/> meiner Waͤchter, den ich seiner Sanftmuth halben stets ge-<lb/> liebt hatte, und fluͤsterte mir zu: Gutes Kind! hier im<lb/> Gefaͤngniß wuͤrdest du bald sterben; aber Leute, die dich<lb/> lieben, wenn du sie gleich nicht kennst, lassen dir sagen,<lb/> wenn du schweigst, so wollen sie dich bald an einen Ort<lb/> bringen, wo du frei seyn, und mit Kindern deines Al-<lb/> ters spielen wirst. — Jch verschlang seine Worte, ver-<lb/> sprach, mich Nichts merken zu lassen, und harrte sehn-<lb/> suchtsvoll der Erfuͤllung seines Versprechens.</p><lb/> <p>„Am andern Abende, um die naͤmliche Zeit, kam<lb/> ein Wagen, mit weißer Wasche beladen, auf den Hof, die<lb/> man gegen schmutzige Waͤsche auszutauschen gewohnt<lb/> war. Unter diesem Weißzeuge lag ein sehr krank ausse-<lb/> hendes Kind meines Alters verborgen. Mich nahm ein<lb/> starker Mann, als Matrose gekleidet, in seinen Arm,<lb/> steckte mich unter einen Haufen alter Waͤsche, und nur<lb/> eine kleine Oeffnung schuͤtzte mich vor dem Ersticken. Das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [101/0101]
habe, um sich zu uͤberzeugen, daß er nicht entfuͤhrt sey.
„Jch mußte,“ fuhr er fort, „die niedrigsten Arbeiten
verrichten, meine Gesundheit litt darunter. — Der 9te
Thermidor erleichterte das Schicksal so mancher Schlacht-
opfer der Revolution, auch das meinige; man gab mir
bessere Kleidung, gesundere Speisen, man erlaubte mir
die Spiele meines Alters. Meine Schwester durfte zu
mir kommen, mit mir essen, mit mir spielen. Welch
ein Augenblick, der erste unsrer Wiedereinigung! (er
weinte bitterlich, wenn er davon sprach.) Jndessen wurde
meine Gesundheit doch immer schwaͤcher, die Kerkerluft
wuͤrde mich getoͤdtet haben; aber Gott hatte beschlossen,
mir Hilfe zu senden.“
Eines Tages, gegen Ende des Monats May 1795,
als ich eben einschlummern wollte, naͤherte sich mir Einer
meiner Waͤchter, den ich seiner Sanftmuth halben stets ge-
liebt hatte, und fluͤsterte mir zu: Gutes Kind! hier im
Gefaͤngniß wuͤrdest du bald sterben; aber Leute, die dich
lieben, wenn du sie gleich nicht kennst, lassen dir sagen,
wenn du schweigst, so wollen sie dich bald an einen Ort
bringen, wo du frei seyn, und mit Kindern deines Al-
ters spielen wirst. — Jch verschlang seine Worte, ver-
sprach, mich Nichts merken zu lassen, und harrte sehn-
suchtsvoll der Erfuͤllung seines Versprechens.
„Am andern Abende, um die naͤmliche Zeit, kam
ein Wagen, mit weißer Wasche beladen, auf den Hof, die
man gegen schmutzige Waͤsche auszutauschen gewohnt
war. Unter diesem Weißzeuge lag ein sehr krank ausse-
hendes Kind meines Alters verborgen. Mich nahm ein
starker Mann, als Matrose gekleidet, in seinen Arm,
steckte mich unter einen Haufen alter Waͤsche, und nur
eine kleine Oeffnung schuͤtzte mich vor dem Ersticken. Das
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