Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

und schüttelt zuweilen seine Glocke. Nicht weit davon sitzt
abermals ein Blinder, der vermuthlich nicht singen kann;
statt dessen hat er eine Art von Gerüste vor sich stehen,
an welchem mehrere vielstimmige Glocken hängen, die er
durch einige Fäden in Bewegung setzt. Er bettelt nicht
laut, sondern greift nur zuweilen in den Hut, der neben
ihm liegt, um zu fühlen, ob etwa ein Wohlthätiger
vorübergieng? meistens zieht er die Hand leer zurück. --
Wir gehen nicht weit, so finden wir einen dritten Unglück-
lichen, dem der köstlichste Sinn fehlt; er hat auf dem
Boulevard ein altes Klavier vor sich hingestellt, und ham-
mert aus allen Kräften eine Sonate. Es bleiben Leute
genug stehen, die ihm zuhören, aber das zinnerne Näpf-
chen, das da vorne an sein Jnstrument befestigt ist, er-
klingt selten von der Gabe des Mitleids. -- Kaum ha-
ben wir diesen verlassen, so begegnet uns wieder ein Blin-
der, der die Herzen durch die Töne einer verstimmten Gei-
ge zu rühren sucht. Er spielt; sie gehend; sein Hund, der
mit einem Kettchen an seinem Westenknopf befestigt ist,
wandelt vorsichtig vor ihm her. Doch hab' ich auch ein-
mal gesehen, daß das arme Geripp, Hund genannt, durch
einen weggeworfenen Knochen unwiderstehlich in einen Win-
kel gelockt wurde, wo sein vertrauender Herr seinen gan-
zen Reichthum, Kopf und Geige, fast gegen die Mauer
zerschmettert hätte. -- Aber unter den vielen Blinden,
welche singend, spielend und läutend die Pariser Stras-
sen bewohnen,
sammlen keine mehr Neugierige um
sich, als ein Paar Piquetspieler, die den lieben lan-
gen Tag nicht um Geld, sondern für Geld spielen,
die mit bewundernswürdig feinem Gefühl die Karten be-
tasten und nennen, jeden, der das Spiel nur ein wenig
versteht, auf einige Minuten zu interessiren wissen, und

und schuͤttelt zuweilen seine Glocke. Nicht weit davon sitzt
abermals ein Blinder, der vermuthlich nicht singen kann;
statt dessen hat er eine Art von Geruͤste vor sich stehen,
an welchem mehrere vielstimmige Glocken haͤngen, die er
durch einige Faͤden in Bewegung setzt. Er bettelt nicht
laut, sondern greift nur zuweilen in den Hut, der neben
ihm liegt, um zu fuͤhlen, ob etwa ein Wohlthaͤtiger
voruͤbergieng? meistens zieht er die Hand leer zuruͤck. —
Wir gehen nicht weit, so finden wir einen dritten Ungluͤck-
lichen, dem der koͤstlichste Sinn fehlt; er hat auf dem
Boulevard ein altes Klavier vor sich hingestellt, und ham-
mert aus allen Kraͤften eine Sonate. Es bleiben Leute
genug stehen, die ihm zuhoͤren, aber das zinnerne Naͤpf-
chen, das da vorne an sein Jnstrument befestigt ist, er-
klingt selten von der Gabe des Mitleids. — Kaum ha-
ben wir diesen verlassen, so begegnet uns wieder ein Blin-
der, der die Herzen durch die Toͤne einer verstimmten Gei-
ge zu ruͤhren sucht. Er spielt; sie gehend; sein Hund, der
mit einem Kettchen an seinem Westenknopf befestigt ist,
wandelt vorsichtig vor ihm her. Doch hab' ich auch ein-
mal gesehen, daß das arme Geripp, Hund genannt, durch
einen weggeworfenen Knochen unwiderstehlich in einen Win-
kel gelockt wurde, wo sein vertrauender Herr seinen gan-
zen Reichthum, Kopf und Geige, fast gegen die Mauer
zerschmettert haͤtte. — Aber unter den vielen Blinden,
welche singend, spielend und laͤutend die Pariser Stras-
sen bewohnen,
sammlen keine mehr Neugierige um
sich, als ein Paar Piquetspieler, die den lieben lan-
gen Tag nicht um Geld, sondern fuͤr Geld spielen,
die mit bewundernswuͤrdig feinem Gefuͤhl die Karten be-
tasten und nennen, jeden, der das Spiel nur ein wenig
versteht, auf einige Minuten zu interessiren wissen, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="58"/>
und schu&#x0364;ttelt zuweilen seine Glocke. Nicht weit davon sitzt<lb/>
abermals ein Blinder, der vermuthlich nicht singen <hi rendition="#g">kann;</hi><lb/>
statt dessen hat er eine Art von Geru&#x0364;ste vor sich stehen,<lb/>
an welchem mehrere vielstimmige Glocken ha&#x0364;ngen, die er<lb/>
durch einige Fa&#x0364;den in Bewegung setzt. Er bettelt nicht<lb/>
laut, sondern greift nur zuweilen in den Hut, der neben<lb/>
ihm liegt, um zu <hi rendition="#g">fu&#x0364;hlen,</hi> ob etwa ein Wohltha&#x0364;tiger<lb/>
voru&#x0364;bergieng? meistens zieht er die Hand leer zuru&#x0364;ck. &#x2014;<lb/>
Wir gehen nicht weit, so finden wir einen dritten Unglu&#x0364;ck-<lb/>
lichen, dem der ko&#x0364;stlichste Sinn fehlt; er hat auf dem<lb/>
Boulevard ein altes Klavier vor sich hingestellt, und ham-<lb/>
mert aus allen Kra&#x0364;ften eine Sonate. Es bleiben Leute<lb/>
genug stehen, die ihm zuho&#x0364;ren, aber das zinnerne Na&#x0364;pf-<lb/>
chen, das da vorne an sein Jnstrument befestigt ist, er-<lb/>
klingt selten von der Gabe des Mitleids. &#x2014; Kaum ha-<lb/>
ben wir diesen verlassen, so begegnet uns wieder ein Blin-<lb/>
der, der die Herzen durch die To&#x0364;ne einer verstimmten Gei-<lb/>
ge zu ru&#x0364;hren sucht. Er spielt; sie gehend; sein Hund, der<lb/>
mit einem Kettchen an seinem Westenknopf befestigt ist,<lb/>
wandelt vorsichtig vor ihm her. Doch hab' ich auch ein-<lb/>
mal gesehen, daß das arme Geripp, Hund genannt, durch<lb/>
einen weggeworfenen Knochen unwiderstehlich in einen Win-<lb/>
kel gelockt wurde, wo sein vertrauender Herr seinen gan-<lb/>
zen Reichthum, Kopf und Geige, fast gegen die Mauer<lb/>
zerschmettert ha&#x0364;tte. &#x2014; Aber unter den vielen Blinden,<lb/>
welche singend, spielend und la&#x0364;utend die Pariser <hi rendition="#g">Stras-<lb/>
sen bewohnen,</hi> sammlen keine mehr Neugierige um<lb/>
sich, als ein Paar <hi rendition="#g">Piquetspieler,</hi> die den lieben lan-<lb/>
gen Tag <hi rendition="#g">nicht um Geld,</hi> sondern <hi rendition="#g">fu&#x0364;r</hi> Geld spielen,<lb/>
die mit bewundernswu&#x0364;rdig feinem Gefu&#x0364;hl die Karten be-<lb/>
tasten und nennen, jeden, der das Spiel nur ein wenig<lb/>
versteht, auf einige Minuten zu interessiren wissen, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0062] und schuͤttelt zuweilen seine Glocke. Nicht weit davon sitzt abermals ein Blinder, der vermuthlich nicht singen kann; statt dessen hat er eine Art von Geruͤste vor sich stehen, an welchem mehrere vielstimmige Glocken haͤngen, die er durch einige Faͤden in Bewegung setzt. Er bettelt nicht laut, sondern greift nur zuweilen in den Hut, der neben ihm liegt, um zu fuͤhlen, ob etwa ein Wohlthaͤtiger voruͤbergieng? meistens zieht er die Hand leer zuruͤck. — Wir gehen nicht weit, so finden wir einen dritten Ungluͤck- lichen, dem der koͤstlichste Sinn fehlt; er hat auf dem Boulevard ein altes Klavier vor sich hingestellt, und ham- mert aus allen Kraͤften eine Sonate. Es bleiben Leute genug stehen, die ihm zuhoͤren, aber das zinnerne Naͤpf- chen, das da vorne an sein Jnstrument befestigt ist, er- klingt selten von der Gabe des Mitleids. — Kaum ha- ben wir diesen verlassen, so begegnet uns wieder ein Blin- der, der die Herzen durch die Toͤne einer verstimmten Gei- ge zu ruͤhren sucht. Er spielt; sie gehend; sein Hund, der mit einem Kettchen an seinem Westenknopf befestigt ist, wandelt vorsichtig vor ihm her. Doch hab' ich auch ein- mal gesehen, daß das arme Geripp, Hund genannt, durch einen weggeworfenen Knochen unwiderstehlich in einen Win- kel gelockt wurde, wo sein vertrauender Herr seinen gan- zen Reichthum, Kopf und Geige, fast gegen die Mauer zerschmettert haͤtte. — Aber unter den vielen Blinden, welche singend, spielend und laͤutend die Pariser Stras- sen bewohnen, sammlen keine mehr Neugierige um sich, als ein Paar Piquetspieler, die den lieben lan- gen Tag nicht um Geld, sondern fuͤr Geld spielen, die mit bewundernswuͤrdig feinem Gefuͤhl die Karten be- tasten und nennen, jeden, der das Spiel nur ein wenig versteht, auf einige Minuten zu interessiren wissen, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/62
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/62>, abgerufen am 17.05.2024.