am Abend, wenn sie aufstehen, immer beide gewonnen haben.
Doch hinweg von den Blinden, deren Anblick die Se- henden nur betrübt, obgleich, von der Gewohnheit gestählt, die Pariser größtentheils gleichgültig vorüber gehen. Am öftesten hab' ich Frauen von gewissen Jahren, die ich, nach ihren Körben zu urtheilen, für Köchinnen hielt, ihr Almosen spenden sehen; vielleicht wollten sie dadurch ihr Gewissen wegen der Marktpfennige beschwichtigen. -- Wen- den wir uns lieber zu jenem musikalischen Tausendkünstler, dessen erworbene Fertigkeit in der That Bewunderung ver- dient. Er ganz allein spielt eine Symphonie concertan- te auf fünf Jnstrumenten zugleich. Mit der einen Hand hält und greift er ein doppeltes Flageolet, dessen beide Mundstücke er stets vor seinen Lippen hin und her schiebt, oft auch bläst er auf beiden zugleich; mit der an- dern Hand spielt er die Harfe recht artig; mit dem einen Fuße schlägt er ein Tambourin, und mit den Zehen des Andern bewegt er die Castagnetten. Sie hören, es klingt in der That recht gut zusammen; der arme Mensch arbeitet sich so dabei ab, wie die Sängerin, Mamsell Maillard, in der großen Oper, und hat daher seine paar Sous reichlich verdient. -- Auch an Jenem dort wollen wir nicht vorübergehen, ohne eine kleine Silbermünze auf seinen Teller fallen zu lassen. Zwar ist sein Harfengeklim- per nicht einladend, aber das arme junge Mädgen, das mit niedergeschlagenen Augen neben ihm steht und singt und immer singt, das verdient eine Gabe, eben weil ihre an den Boden gehefteten Blicke zu sagen scheinen: ich weiß wohl, daß ich schlecht singe, aber mein Vater hat kein Brod. -- Grade umgekehrt machen es die beiden kleinen Kinder, die auf der Brücke eine Art von Duett singen.
am Abend, wenn sie aufstehen, immer beide gewonnen haben.
Doch hinweg von den Blinden, deren Anblick die Se- henden nur betruͤbt, obgleich, von der Gewohnheit gestaͤhlt, die Pariser groͤßtentheils gleichguͤltig voruͤber gehen. Am oͤftesten hab' ich Frauen von gewissen Jahren, die ich, nach ihren Koͤrben zu urtheilen, fuͤr Koͤchinnen hielt, ihr Almosen spenden sehen; vielleicht wollten sie dadurch ihr Gewissen wegen der Marktpfennige beschwichtigen. — Wen- den wir uns lieber zu jenem musikalischen Tausendkuͤnstler, dessen erworbene Fertigkeit in der That Bewunderung ver- dient. Er ganz allein spielt eine Symphonie concertan- te auf fuͤnf Jnstrumenten zugleich. Mit der einen Hand haͤlt und greift er ein doppeltes Flageolet, dessen beide Mundstuͤcke er stets vor seinen Lippen hin und her schiebt, oft auch blaͤst er auf beiden zugleich; mit der an- dern Hand spielt er die Harfe recht artig; mit dem einen Fuße schlaͤgt er ein Tambourin, und mit den Zehen des Andern bewegt er die Castagnetten. Sie hoͤren, es klingt in der That recht gut zusammen; der arme Mensch arbeitet sich so dabei ab, wie die Saͤngerin, Mamsell Maillard, in der großen Oper, und hat daher seine paar Sous reichlich verdient. — Auch an Jenem dort wollen wir nicht voruͤbergehen, ohne eine kleine Silbermuͤnze auf seinen Teller fallen zu lassen. Zwar ist sein Harfengeklim- per nicht einladend, aber das arme junge Maͤdgen, das mit niedergeschlagenen Augen neben ihm steht und singt und immer singt, das verdient eine Gabe, eben weil ihre an den Boden gehefteten Blicke zu sagen scheinen: ich weiß wohl, daß ich schlecht singe, aber mein Vater hat kein Brod. — Grade umgekehrt machen es die beiden kleinen Kinder, die auf der Bruͤcke eine Art von Duett singen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0063"n="59"/>
am Abend, wenn sie aufstehen, immer beide gewonnen<lb/>
haben.</p><lb/><p>Doch hinweg von den Blinden, deren Anblick die Se-<lb/>
henden nur betruͤbt, obgleich, von der Gewohnheit gestaͤhlt,<lb/>
die Pariser groͤßtentheils gleichguͤltig voruͤber gehen. Am<lb/>
oͤftesten hab' ich Frauen von gewissen Jahren, die ich,<lb/>
nach ihren Koͤrben zu urtheilen, fuͤr Koͤchinnen hielt, ihr<lb/>
Almosen spenden sehen; vielleicht wollten sie dadurch ihr<lb/>
Gewissen wegen der Marktpfennige beschwichtigen. — Wen-<lb/>
den wir uns lieber zu jenem musikalischen Tausendkuͤnstler,<lb/>
dessen erworbene Fertigkeit in der That Bewunderung ver-<lb/>
dient. Er ganz allein spielt eine Symphonie concertan-<lb/>
te auf <hirendition="#g">fuͤnf</hi> Jnstrumenten zugleich. Mit der einen Hand<lb/>
haͤlt und greift er ein <hirendition="#g">doppeltes Flageolet,</hi> dessen<lb/>
beide Mundstuͤcke er stets vor seinen Lippen hin und her<lb/>
schiebt, oft auch blaͤst er auf beiden zugleich; mit der an-<lb/>
dern Hand spielt er die Harfe recht artig; mit dem einen<lb/>
Fuße schlaͤgt er ein <hirendition="#g">Tambourin,</hi> und mit den Zehen<lb/>
des Andern bewegt er die <hirendition="#g">Castagnetten.</hi> Sie hoͤren,<lb/>
es klingt in der That recht gut zusammen; der arme Mensch<lb/>
arbeitet sich so dabei ab, wie die Saͤngerin, Mamsell<lb/>
Maillard, in der großen Oper, und hat daher seine paar<lb/>
Sous reichlich verdient. — Auch an Jenem dort wollen<lb/>
wir nicht voruͤbergehen, ohne eine kleine Silbermuͤnze auf<lb/>
seinen Teller fallen zu lassen. Zwar ist sein Harfengeklim-<lb/>
per nicht einladend, aber das arme junge Maͤdgen, das<lb/>
mit niedergeschlagenen Augen neben ihm steht und singt<lb/>
und immer singt, das verdient eine Gabe, eben weil ihre<lb/>
an den Boden gehefteten Blicke zu sagen scheinen: ich weiß<lb/>
wohl, daß ich schlecht singe, aber mein Vater hat kein<lb/>
Brod. — Grade umgekehrt machen es die beiden kleinen<lb/>
Kinder, die auf der Bruͤcke eine Art von Duett singen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[59/0063]
am Abend, wenn sie aufstehen, immer beide gewonnen
haben.
Doch hinweg von den Blinden, deren Anblick die Se-
henden nur betruͤbt, obgleich, von der Gewohnheit gestaͤhlt,
die Pariser groͤßtentheils gleichguͤltig voruͤber gehen. Am
oͤftesten hab' ich Frauen von gewissen Jahren, die ich,
nach ihren Koͤrben zu urtheilen, fuͤr Koͤchinnen hielt, ihr
Almosen spenden sehen; vielleicht wollten sie dadurch ihr
Gewissen wegen der Marktpfennige beschwichtigen. — Wen-
den wir uns lieber zu jenem musikalischen Tausendkuͤnstler,
dessen erworbene Fertigkeit in der That Bewunderung ver-
dient. Er ganz allein spielt eine Symphonie concertan-
te auf fuͤnf Jnstrumenten zugleich. Mit der einen Hand
haͤlt und greift er ein doppeltes Flageolet, dessen
beide Mundstuͤcke er stets vor seinen Lippen hin und her
schiebt, oft auch blaͤst er auf beiden zugleich; mit der an-
dern Hand spielt er die Harfe recht artig; mit dem einen
Fuße schlaͤgt er ein Tambourin, und mit den Zehen
des Andern bewegt er die Castagnetten. Sie hoͤren,
es klingt in der That recht gut zusammen; der arme Mensch
arbeitet sich so dabei ab, wie die Saͤngerin, Mamsell
Maillard, in der großen Oper, und hat daher seine paar
Sous reichlich verdient. — Auch an Jenem dort wollen
wir nicht voruͤbergehen, ohne eine kleine Silbermuͤnze auf
seinen Teller fallen zu lassen. Zwar ist sein Harfengeklim-
per nicht einladend, aber das arme junge Maͤdgen, das
mit niedergeschlagenen Augen neben ihm steht und singt
und immer singt, das verdient eine Gabe, eben weil ihre
an den Boden gehefteten Blicke zu sagen scheinen: ich weiß
wohl, daß ich schlecht singe, aber mein Vater hat kein
Brod. — Grade umgekehrt machen es die beiden kleinen
Kinder, die auf der Bruͤcke eine Art von Duett singen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/63>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.