davon aus, besonders die am Genfer See so niedlich ge- legenen, freundlichen Städtchen Morges und Rolle. -- Jch hatte mich darauf gefreut, das seit vierthalb Jahr- hunderten berühmte Beinhaus bei Murten zu sehen, wo nach dem großen Siege über Karl von Burgund 1476 die Gebeine der Erschlagenen gesammelt wurden. -- Lei- der wird dessen Stätte kaum mehr gefunden. Die Fran- zosen haben es im vorigen Jahre weggerissen, die Kno- chen in den See geworfen und zerstreut. Warum? das wissen sie vermuthlich selbst nicht. Eine kindische Zerstö- rungssucht scheint sich ihrer oft zu bemächtigen. Jndessen lagen doch noch so viele Rippen, Hirnschalen und Beine auf dem Platze, um welche sich niemand bekümmert, daß er hieran wohl noch einige Jahre kenntlich bleiben wird.
Jn Genf habe ich bey einem Mahler St. Ours ein treffliches historisches Gemählde gesehen. Da diese Gat- tung von Mahlerei die einzige ist, die ich enthusiastisch liebe, und doch so selten kultivirt finde, so gewährte mir der Anblick desselben einen wahren Genuß. Es ist sehr groß, nimmt eine ganze Wand ein, und stellt die Olympi- schen Spiele dar, in dem Augenblick, wo der Sieger seinen dritten Gegner überwunden hat, der zusammenge- sunken noch auf seinem starken Arme ruht. So tritt er vor den Kampfrichter, und fordert den Preis; der Rich- ter greift nach dem Kranze, das Volk umher jauchzt ih- nen zu, die Ueberwundenen werden fortgetragen. Der ent- zückte Vater des Siegers steht unter den Zuschauern, auch Sokrates wird man gewahr, und die Priesterinnen der Ceres (die einzigen, welche den Spielen beiwohnen durften) sitzen dem Richter zur Seite. Diese Priesterinnen hat der Mahler als außerordentlich schöne junge Mädchen darge- stellt, und ihre Schönheit wird durch das Costüm noch
davon aus, besonders die am Genfer See so niedlich ge- legenen, freundlichen Staͤdtchen Morges und Rolle. — Jch hatte mich darauf gefreut, das seit vierthalb Jahr- hunderten beruͤhmte Beinhaus bei Murten zu sehen, wo nach dem großen Siege uͤber Karl von Burgund 1476 die Gebeine der Erschlagenen gesammelt wurden. — Lei- der wird dessen Staͤtte kaum mehr gefunden. Die Fran- zosen haben es im vorigen Jahre weggerissen, die Kno- chen in den See geworfen und zerstreut. Warum? das wissen sie vermuthlich selbst nicht. Eine kindische Zerstoͤ- rungssucht scheint sich ihrer oft zu bemaͤchtigen. Jndessen lagen doch noch so viele Rippen, Hirnschalen und Beine auf dem Platze, um welche sich niemand bekuͤmmert, daß er hieran wohl noch einige Jahre kenntlich bleiben wird.
Jn Genf habe ich bey einem Mahler St. Ours ein treffliches historisches Gemaͤhlde gesehen. Da diese Gat- tung von Mahlerei die einzige ist, die ich enthusiastisch liebe, und doch so selten kultivirt finde, so gewaͤhrte mir der Anblick desselben einen wahren Genuß. Es ist sehr groß, nimmt eine ganze Wand ein, und stellt die Olympi- schen Spiele dar, in dem Augenblick, wo der Sieger seinen dritten Gegner uͤberwunden hat, der zusammenge- sunken noch auf seinem starken Arme ruht. So tritt er vor den Kampfrichter, und fordert den Preis; der Rich- ter greift nach dem Kranze, das Volk umher jauchzt ih- nen zu, die Ueberwundenen werden fortgetragen. Der ent- zuͤckte Vater des Siegers steht unter den Zuschauern, auch Sokrates wird man gewahr, und die Priesterinnen der Ceres (die einzigen, welche den Spielen beiwohnen durften) sitzen dem Richter zur Seite. Diese Priesterinnen hat der Mahler als außerordentlich schoͤne junge Maͤdchen darge- stellt, und ihre Schoͤnheit wird durch das Costuͤm noch
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davon aus, besonders die am Genfer See so niedlich ge-
legenen, freundlichen Staͤdtchen Morges und Rolle. —
Jch hatte mich darauf gefreut, das seit vierthalb Jahr-
hunderten beruͤhmte Beinhaus bei Murten zu sehen,
wo nach dem großen Siege uͤber Karl von Burgund 1476
die Gebeine der Erschlagenen gesammelt wurden. — Lei-
der wird dessen Staͤtte kaum mehr gefunden. Die Fran-
zosen haben es im vorigen Jahre weggerissen, die Kno-
chen in den See geworfen und zerstreut. Warum? das
wissen sie vermuthlich selbst nicht. Eine kindische Zerstoͤ-
rungssucht scheint sich ihrer oft zu bemaͤchtigen. Jndessen
lagen doch noch so viele Rippen, Hirnschalen und Beine
auf dem Platze, um welche sich niemand bekuͤmmert, daß
er hieran wohl noch einige Jahre kenntlich bleiben wird.
Jn Genf habe ich bey einem Mahler St. Ours ein
treffliches historisches Gemaͤhlde gesehen. Da diese Gat-
tung von Mahlerei die einzige ist, die ich enthusiastisch
liebe, und doch so selten kultivirt finde, so gewaͤhrte mir
der Anblick desselben einen wahren Genuß. Es ist sehr
groß, nimmt eine ganze Wand ein, und stellt die Olympi-
schen Spiele dar, in dem Augenblick, wo der Sieger
seinen dritten Gegner uͤberwunden hat, der zusammenge-
sunken noch auf seinem starken Arme ruht. So tritt er
vor den Kampfrichter, und fordert den Preis; der Rich-
ter greift nach dem Kranze, das Volk umher jauchzt ih-
nen zu, die Ueberwundenen werden fortgetragen. Der ent-
zuͤckte Vater des Siegers steht unter den Zuschauern, auch
Sokrates wird man gewahr, und die Priesterinnen der
Ceres (die einzigen, welche den Spielen beiwohnen durften)
sitzen dem Richter zur Seite. Diese Priesterinnen hat der
Mahler als außerordentlich schoͤne junge Maͤdchen darge-
stellt, und ihre Schoͤnheit wird durch das Costuͤm noch
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/34>, abgerufen am 01.08.2024.
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