gen aber in Röcken und nicht in Jäckerlen erscheinen sollen." "Das Frauenzimmer (heißt es weiter) wird im Anzuge jenen Anstand beobachten, der der Heiligkeit des Ortes, der Reinigkeit ihrer Gesinnungen, so wie der Schamhaftigkeit Ehre macht." -- Jch möchte in der That wohl einmahl unsere vermummten Urältermütter mit ihren halbnackten Urenkelinnen in die Kirche gehen sehen; wie schnell würden jene in ihre Gräber zurückkehren, und sich auf die Gesichter legen, um der entflohenen Scham unserer jungen Mädchen nicht nachschreien zu müssen! -- Uebrigens gereicht es der Schweiz zur Ehre, daß sie Sit- tengerichte hat; das kündigt doch zum mindesten ein Bestreben an, die Sitten zu erhalten. Es fällt mir eben sonst kein Europäisches Land ein, wo man derglei- chen fände. Gebäude, die den Einsturz drohen, pflegt man wohl zu stützen, damit sie die Vorübergehenden nicht todt schlagen. Sittenvernichtung aber, die nur Seelen vergiftet, läßt man in Gottes Namen um sich greifen, wie vor ein paar Jahren die Fichtenraupe, bis die Men- schen eben so saftlos dastehen, wie die Bäume in jenen ver- heerten Wäldern.
Bern -- Lausanne -- Genf.
Was kann ich von allen diesen Städten Jhnen sagen, als daß ich da gewesen bin und gesehen habe, was hun- dert Andre vor mir sahen? Die Städte gehören nicht zu den Schönheiten der Schweiz: sie sind, besonders die größern, alt, winkelig, von engen, schmuzzigen Straßen durchschnitten, welchen hohe Häuser vollends die freie ge- sunde Luft benehmen. So gesund die Schweizer-Luft draußen vor den Thoren seyn mag, so ungesund ist sie ge- wiß in den Städten; doch nehme ich einige der kleineren
gen aber in Roͤcken und nicht in Jaͤckerlen erscheinen sollen.“ „Das Frauenzimmer (heißt es weiter) wird im Anzuge jenen Anstand beobachten, der der Heiligkeit des Ortes, der Reinigkeit ihrer Gesinnungen, so wie der Schamhaftigkeit Ehre macht.“ — Jch moͤchte in der That wohl einmahl unsere vermummten Uraͤltermuͤtter mit ihren halbnackten Urenkelinnen in die Kirche gehen sehen; wie schnell wuͤrden jene in ihre Graͤber zuruͤckkehren, und sich auf die Gesichter legen, um der entflohenen Scham unserer jungen Maͤdchen nicht nachschreien zu muͤssen! — Uebrigens gereicht es der Schweiz zur Ehre, daß sie Sit- tengerichte hat; das kuͤndigt doch zum mindesten ein Bestreben an, die Sitten zu erhalten. Es faͤllt mir eben sonst kein Europaͤisches Land ein, wo man derglei- chen faͤnde. Gebaͤude, die den Einsturz drohen, pflegt man wohl zu stuͤtzen, damit sie die Voruͤbergehenden nicht todt schlagen. Sittenvernichtung aber, die nur Seelen vergiftet, laͤßt man in Gottes Namen um sich greifen, wie vor ein paar Jahren die Fichtenraupe, bis die Men- schen eben so saftlos dastehen, wie die Baͤume in jenen ver- heerten Waͤldern.
Bern — Lausanne — Genf.
Was kann ich von allen diesen Staͤdten Jhnen sagen, als daß ich da gewesen bin und gesehen habe, was hun- dert Andre vor mir sahen? Die Staͤdte gehoͤren nicht zu den Schoͤnheiten der Schweiz: sie sind, besonders die groͤßern, alt, winkelig, von engen, schmuzzigen Straßen durchschnitten, welchen hohe Haͤuser vollends die freie ge- sunde Luft benehmen. So gesund die Schweizer-Luft draußen vor den Thoren seyn mag, so ungesund ist sie ge- wiß in den Staͤdten; doch nehme ich einige der kleineren
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gen aber in Roͤcken und nicht in Jaͤckerlen erscheinen
sollen.“ „Das Frauenzimmer (heißt es weiter) wird im
Anzuge jenen Anstand beobachten, der der Heiligkeit des
Ortes, der Reinigkeit ihrer Gesinnungen, so wie der
Schamhaftigkeit Ehre macht.“ — Jch moͤchte in der
That wohl einmahl unsere vermummten Uraͤltermuͤtter mit
ihren halbnackten Urenkelinnen in die Kirche gehen sehen;
wie schnell wuͤrden jene in ihre Graͤber zuruͤckkehren, und
sich auf die Gesichter legen, um der entflohenen Scham
unserer jungen Maͤdchen nicht nachschreien zu muͤssen! —
Uebrigens gereicht es der Schweiz zur Ehre, daß sie Sit-
tengerichte hat; das kuͤndigt doch zum mindesten ein
Bestreben an, die Sitten zu erhalten. Es faͤllt mir
eben sonst kein Europaͤisches Land ein, wo man derglei-
chen faͤnde. Gebaͤude, die den Einsturz drohen, pflegt
man wohl zu stuͤtzen, damit sie die Voruͤbergehenden nicht
todt schlagen. Sittenvernichtung aber, die nur Seelen
vergiftet, laͤßt man in Gottes Namen um sich greifen,
wie vor ein paar Jahren die Fichtenraupe, bis die Men-
schen eben so saftlos dastehen, wie die Baͤume in jenen ver-
heerten Waͤldern.
Bern — Lausanne — Genf.
Was kann ich von allen diesen Staͤdten Jhnen sagen,
als daß ich da gewesen bin und gesehen habe, was hun-
dert Andre vor mir sahen? Die Staͤdte gehoͤren nicht
zu den Schoͤnheiten der Schweiz: sie sind, besonders die
groͤßern, alt, winkelig, von engen, schmuzzigen Straßen
durchschnitten, welchen hohe Haͤuser vollends die freie ge-
sunde Luft benehmen. So gesund die Schweizer-Luft
draußen vor den Thoren seyn mag, so ungesund ist sie ge-
wiß in den Staͤdten; doch nehme ich einige der kleineren
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/33>, abgerufen am 01.08.2024.
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