liche Jnschriften setzen wollen, jemanden zu Rathe ziehen möchten, der die Sprache versteht. Ueber dem Tho- re von Neckargmünd stehet geschrieben: Zu Ehren dem Vater des Vaterlandes, zur Zierde der Stadt, heilig dem Volke. Von dieser Jnschrift kann nur der mittelste Satz einleuchten, wenn nehm- lich das Thor schön gebaut ist. Warum soll es aber dem Vater des Vaterlandes zur Ehre gereichen? Es ist ja kei- ne Ehrenpforte. Und warum soll es dem Volke heilig seyn? Das letztere ist ganz unverständlich, und kann höch- stens bedeuten, daß man den Thorschreiber nicht um das Sperrgeld betriegen soll.
Sinzheim.
Dies Städtchen gehört jetzt dem Fürsten von Leinin- gen, der ein guter Fürst seyn muß, weil ich überall mit Liebe von ihm sprechen höre. Besonders zugethan scheint man dem Erbprinzen, dessen bloße Erwähnung auf alle Gesichter ein freundliches Lächeln lockt. Warum kann ich nicht dasselbe von allen Staaten sagen, durch die ich ge- reist bin! Jn dem einen herrscht Furcht mit eisernem Scepter; in dem andern erkennt man gleichgültig die wahren Verdienste eines Regenten, weil er sich zu abge- sondert von seinem Volke hält, mit zu viel Ernst seine Wohlthaten spendet; hier ein Ländchen, wo man den klei- nen Despoten verwünscht, dort ein anderes, wo die Menschenscheu des Fürsten ihm die Herzen entfrem- det; u. s. w. Wie wohl thut es nach allen diesen und noch manchen andern Erfahrungen, wenn man die Men- schen im Leiningischen so heiter, so herzlich von ihrem Erb- prinzen sprechen hört! Jammerschade, daß die Großen die- ser Erde die schöne Gewohnheit haben abkommen lassen,
liche Jnschriften setzen wollen, jemanden zu Rathe ziehen moͤchten, der die Sprache versteht. Ueber dem Tho- re von Neckargmuͤnd stehet geschrieben: Zu Ehren dem Vater des Vaterlandes, zur Zierde der Stadt, heilig dem Volke. Von dieser Jnschrift kann nur der mittelste Satz einleuchten, wenn nehm- lich das Thor schoͤn gebaut ist. Warum soll es aber dem Vater des Vaterlandes zur Ehre gereichen? Es ist ja kei- ne Ehrenpforte. Und warum soll es dem Volke heilig seyn? Das letztere ist ganz unverstaͤndlich, und kann hoͤch- stens bedeuten, daß man den Thorschreiber nicht um das Sperrgeld betriegen soll.
Sinzheim.
Dies Staͤdtchen gehoͤrt jetzt dem Fuͤrsten von Leinin- gen, der ein guter Fuͤrst seyn muß, weil ich uͤberall mit Liebe von ihm sprechen hoͤre. Besonders zugethan scheint man dem Erbprinzen, dessen bloße Erwaͤhnung auf alle Gesichter ein freundliches Laͤcheln lockt. Warum kann ich nicht dasselbe von allen Staaten sagen, durch die ich ge- reist bin! Jn dem einen herrscht Furcht mit eisernem Scepter; in dem andern erkennt man gleichguͤltig die wahren Verdienste eines Regenten, weil er sich zu abge- sondert von seinem Volke haͤlt, mit zu viel Ernst seine Wohlthaten spendet; hier ein Laͤndchen, wo man den klei- nen Despoten verwuͤnscht, dort ein anderes, wo die Menschenscheu des Fuͤrsten ihm die Herzen entfrem- det; u. s. w. Wie wohl thut es nach allen diesen und noch manchen andern Erfahrungen, wenn man die Men- schen im Leiningischen so heiter, so herzlich von ihrem Erb- prinzen sprechen hoͤrt! Jammerschade, daß die Großen die- ser Erde die schoͤne Gewohnheit haben abkommen lassen,
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liche Jnschriften setzen wollen, jemanden zu Rathe
ziehen moͤchten, der die Sprache versteht. Ueber dem Tho-
re von Neckargmuͤnd stehet geschrieben: Zu Ehren dem
Vater des Vaterlandes, zur Zierde der
Stadt, heilig dem Volke. Von dieser Jnschrift
kann nur der mittelste Satz einleuchten, wenn nehm-
lich das Thor schoͤn gebaut ist. Warum soll es aber dem
Vater des Vaterlandes zur Ehre gereichen? Es ist ja kei-
ne Ehrenpforte. Und warum soll es dem Volke heilig
seyn? Das letztere ist ganz unverstaͤndlich, und kann hoͤch-
stens bedeuten, daß man den Thorschreiber nicht um das
Sperrgeld betriegen soll.
Sinzheim.
Dies Staͤdtchen gehoͤrt jetzt dem Fuͤrsten von Leinin-
gen, der ein guter Fuͤrst seyn muß, weil ich uͤberall mit
Liebe von ihm sprechen hoͤre. Besonders zugethan scheint
man dem Erbprinzen, dessen bloße Erwaͤhnung auf alle
Gesichter ein freundliches Laͤcheln lockt. Warum kann ich
nicht dasselbe von allen Staaten sagen, durch die ich ge-
reist bin! Jn dem einen herrscht Furcht mit eisernem
Scepter; in dem andern erkennt man gleichguͤltig die
wahren Verdienste eines Regenten, weil er sich zu abge-
sondert von seinem Volke haͤlt, mit zu viel Ernst seine
Wohlthaten spendet; hier ein Laͤndchen, wo man den klei-
nen Despoten verwuͤnscht, dort ein anderes, wo die
Menschenscheu des Fuͤrsten ihm die Herzen entfrem-
det; u. s. w. Wie wohl thut es nach allen diesen und
noch manchen andern Erfahrungen, wenn man die Men-
schen im Leiningischen so heiter, so herzlich von ihrem Erb-
prinzen sprechen hoͤrt! Jammerschade, daß die Großen die-
ser Erde die schoͤne Gewohnheit haben abkommen lassen,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/24>, abgerufen am 08.07.2024.
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