Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

fünf und zwanzig Albano's? und eben so vielen Anni-
bal Carraccio's? nicht einmal eine Sylbe von Domeni-
chino's berühmter Communion des heil. Hyero-
nimus?
u. s. w. -- Nichts von alle dem. Jch habe
ja meine Schwachheit bereits gestanden. Was ich blos
mit Kunstsinn beschaue, und, wenn man will, auch be-
wundere, das gräbt sich nicht in mein Gedächtniß, ich
kann nichts davon wieder erzählen. Die hochgepriesene
Abnahme vom Kreuz z. B. -- ja ich finde sie auch
außerordentlich schön -- aber ich kann nie dabei verges-
sen, daß das Kreuz bei den Juden eben so viel war
als bei uns der Galgen, und daß eine Abnahme
vom Galgen
durchaus kein Gegenstand für die schö-
nen Künste ist. Eben so geht es mir mit den fatalen
Märtyrern, von welchen diese Gallerie gleichfalls wim-
melt. So ein gerösteter, gespickter oder geschundener
Heiliger, und hätte ihn der liebe Gott selbst gemalt,
ist mir ein unausstehliches Kunstwerk, an dem ich schnell
vorüber eile. -- Was die Landschaften betrifft, so he-
ge ich da wieder meine eigene Ketzerei. Zwar sind mir
die gemalten Landschaften weit lieber als die be-
schriebenen,
und Vernet und Hakkert (von
dem hier aber nichts ist) reißen auch mich oft zu stau-
nender Bewunderung hin, aber -- es bleibt mir kein
Bild in der Seele; es wäre denn daß die Landschaft
durch eine Geschichte belebt würde, denn für mich
ist nun einmal Geschichtsmalerei das Höchste und Ein-
zige
in dieser Kunst!

Schade daß der Catalog der Gallerie so sehr man-
gelhaft ist. Viele Bilder haben ganz falsche Nummern
und viele gar keine. -- Mit der Fremden-Karte
in der Tasche kann man diesen herrlichen Kunsttempel

fuͤnf und zwanzig Albano's? und eben so vielen Anni-
bal Carraccio's? nicht einmal eine Sylbe von Domeni-
chino's beruͤhmter Communion des heil. Hyero-
nimus?
u. s. w. — Nichts von alle dem. Jch habe
ja meine Schwachheit bereits gestanden. Was ich blos
mit Kunstsinn beschaue, und, wenn man will, auch be-
wundere, das graͤbt sich nicht in mein Gedaͤchtniß, ich
kann nichts davon wieder erzaͤhlen. Die hochgepriesene
Abnahme vom Kreuz z. B. — ja ich finde sie auch
außerordentlich schoͤn — aber ich kann nie dabei verges-
sen, daß das Kreuz bei den Juden eben so viel war
als bei uns der Galgen, und daß eine Abnahme
vom Galgen
durchaus kein Gegenstand fuͤr die schoͤ-
nen Kuͤnste ist. Eben so geht es mir mit den fatalen
Maͤrtyrern, von welchen diese Gallerie gleichfalls wim-
melt. So ein geroͤsteter, gespickter oder geschundener
Heiliger, und haͤtte ihn der liebe Gott selbst gemalt,
ist mir ein unausstehliches Kunstwerk, an dem ich schnell
voruͤber eile. — Was die Landschaften betrifft, so he-
ge ich da wieder meine eigene Ketzerei. Zwar sind mir
die gemalten Landschaften weit lieber als die be-
schriebenen,
und Vernet und Hakkert (von
dem hier aber nichts ist) reißen auch mich oft zu stau-
nender Bewunderung hin, aber — es bleibt mir kein
Bild in der Seele; es waͤre denn daß die Landschaft
durch eine Geschichte belebt wuͤrde, denn fuͤr mich
ist nun einmal Geschichtsmalerei das Hoͤchste und Ein-
zige
in dieser Kunst!

Schade daß der Catalog der Gallerie so sehr man-
gelhaft ist. Viele Bilder haben ganz falsche Nummern
und viele gar keine. — Mit der Fremden-Karte
in der Tasche kann man diesen herrlichen Kunsttempel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0152" n="148"/>
fu&#x0364;nf und zwanzig Albano's? und eben so vielen Anni-<lb/>
bal Carraccio's? nicht einmal eine Sylbe von Domeni-<lb/>
chino's beru&#x0364;hmter <hi rendition="#g">Communion des heil. Hyero-<lb/>
nimus?</hi> u. s. w. &#x2014; Nichts von alle dem. Jch habe<lb/>
ja meine Schwachheit bereits gestanden. Was ich blos<lb/>
mit Kunstsinn beschaue, und, wenn man will, auch be-<lb/>
wundere, das gra&#x0364;bt sich nicht in mein Geda&#x0364;chtniß, ich<lb/>
kann nichts davon wieder erza&#x0364;hlen. Die hochgepriesene<lb/><hi rendition="#g">Abnahme vom Kreuz</hi> z. B. &#x2014; ja ich finde sie auch<lb/>
außerordentlich scho&#x0364;n &#x2014; aber ich kann nie dabei verges-<lb/>
sen, daß das <hi rendition="#g">Kreuz</hi> bei den Juden eben so viel war<lb/>
als bei uns der <hi rendition="#g">Galgen,</hi> und daß eine <hi rendition="#g">Abnahme<lb/>
vom Galgen</hi> durchaus kein Gegenstand fu&#x0364;r die scho&#x0364;-<lb/>
nen Ku&#x0364;nste ist. Eben so geht es mir mit den fatalen<lb/>
Ma&#x0364;rtyrern, von welchen diese Gallerie gleichfalls wim-<lb/>
melt. So ein gero&#x0364;steter, gespickter oder geschundener<lb/>
Heiliger, und ha&#x0364;tte ihn der liebe Gott selbst gemalt,<lb/>
ist mir ein unausstehliches Kunstwerk, an dem ich schnell<lb/>
voru&#x0364;ber eile. &#x2014; Was die Landschaften betrifft, so he-<lb/>
ge ich da wieder meine eigene Ketzerei. Zwar sind mir<lb/>
die <hi rendition="#g">gemalten</hi> Landschaften weit lieber als die <hi rendition="#g">be-<lb/>
schriebenen,</hi> und <hi rendition="#g">Vernet</hi> und <hi rendition="#g">Hakkert</hi> (von<lb/>
dem hier aber nichts ist) reißen auch <hi rendition="#g">mich</hi> oft zu stau-<lb/>
nender Bewunderung hin, aber &#x2014; es <hi rendition="#g">bleibt</hi> mir kein<lb/>
Bild in der Seele; es wa&#x0364;re denn daß die Landschaft<lb/>
durch eine <hi rendition="#g">Geschichte</hi> belebt wu&#x0364;rde, denn fu&#x0364;r <hi rendition="#g">mich</hi><lb/>
ist nun einmal Geschichtsmalerei das <hi rendition="#g">Ho&#x0364;chste</hi> und <hi rendition="#g">Ein-<lb/>
zige</hi> in dieser Kunst!</p><lb/>
              <p>Schade daß der Catalog der Gallerie so sehr man-<lb/>
gelhaft ist. Viele Bilder haben ganz falsche Nummern<lb/>
und viele gar keine. &#x2014; Mit der <hi rendition="#g">Fremden-Karte</hi><lb/>
in der Tasche kann man diesen herrlichen Kunsttempel<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0152] fuͤnf und zwanzig Albano's? und eben so vielen Anni- bal Carraccio's? nicht einmal eine Sylbe von Domeni- chino's beruͤhmter Communion des heil. Hyero- nimus? u. s. w. — Nichts von alle dem. Jch habe ja meine Schwachheit bereits gestanden. Was ich blos mit Kunstsinn beschaue, und, wenn man will, auch be- wundere, das graͤbt sich nicht in mein Gedaͤchtniß, ich kann nichts davon wieder erzaͤhlen. Die hochgepriesene Abnahme vom Kreuz z. B. — ja ich finde sie auch außerordentlich schoͤn — aber ich kann nie dabei verges- sen, daß das Kreuz bei den Juden eben so viel war als bei uns der Galgen, und daß eine Abnahme vom Galgen durchaus kein Gegenstand fuͤr die schoͤ- nen Kuͤnste ist. Eben so geht es mir mit den fatalen Maͤrtyrern, von welchen diese Gallerie gleichfalls wim- melt. So ein geroͤsteter, gespickter oder geschundener Heiliger, und haͤtte ihn der liebe Gott selbst gemalt, ist mir ein unausstehliches Kunstwerk, an dem ich schnell voruͤber eile. — Was die Landschaften betrifft, so he- ge ich da wieder meine eigene Ketzerei. Zwar sind mir die gemalten Landschaften weit lieber als die be- schriebenen, und Vernet und Hakkert (von dem hier aber nichts ist) reißen auch mich oft zu stau- nender Bewunderung hin, aber — es bleibt mir kein Bild in der Seele; es waͤre denn daß die Landschaft durch eine Geschichte belebt wuͤrde, denn fuͤr mich ist nun einmal Geschichtsmalerei das Hoͤchste und Ein- zige in dieser Kunst! Schade daß der Catalog der Gallerie so sehr man- gelhaft ist. Viele Bilder haben ganz falsche Nummern und viele gar keine. — Mit der Fremden-Karte in der Tasche kann man diesen herrlichen Kunsttempel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/152
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/152>, abgerufen am 17.05.2024.