ne. Eigentliche Pacht (in so fern diese Benennung sehr relativ ist), hab' ich nirgend bei ihr gefunden; prächtige Eleganz mögt' ich es vielmehr nennen, und auch diese ist nur in ein Paar Zimmern. Ein Vorzimmer, zwei Gesellschaftszimmer, ein Schlafge- mach, ein Kabinet und der Eßsaal, siehe da, das ist es alles, und schwerlich würde eine Deutsche petite maitresse bei solchem Reichthum sich damit begnügen. -- Noch ein kleiner Zug möge hier stehen, der beweißt, wie wenig Madame Recamier durch Pracht zu blenden sucht. Eben bei der oben erwähnten Spazierfahrt stie- gen wir vor ihrem Hause in einen zwar sehr bequemen, aber auch sehr einfachen Wagen, mit zwei Pferden be- spannt; erst an der Barriere von Paris fanden wir einen hübschen Phaeton mit einem sehr schönen Postzug unser wartend. Als ich mein Befremden darüber äus- serte, sagte sie: sie liebe nicht auf diese Art durch die Stadt zu fahren, das Volk gaffe so viel. -- Wenn das Eitelkeit ist, so ist sie wenigstens von sehr verbor- gener Art.
Man fasse jetzt alle jene hingeworfenen, getreu nach der Natur kopirten Züge, in ein Bild zusammen, und wer wird nicht laut bekennen: dies Bild ist reizend!
Was sagen denn nun aber die deutschen Journa- listen? Sie sagen: während Madame Recamier in England gewesen sey, habe ihr Gemahl zu Paris ei- nes Tages geäußert, er habe keine Nachricht von seiner Frau, und irgend ein Witzling habe ihn spöttisch ge- fragt: "ob er denn nicht die Zeitungen lese?" -- Ge- setzt diese Anekdote sei wahr, was kann denn Mada- me Recamier dafür, daß die englischen Zeitungsschreiber jede Kleinigkeit haschen, um ihre Blätter zu füllen?
ne. Eigentliche Pacht (in so fern diese Benennung sehr relativ ist), hab' ich nirgend bei ihr gefunden; praͤchtige Eleganz moͤgt' ich es vielmehr nennen, und auch diese ist nur in ein Paar Zimmern. Ein Vorzimmer, zwei Gesellschaftszimmer, ein Schlafge- mach, ein Kabinet und der Eßsaal, siehe da, das ist es alles, und schwerlich wuͤrde eine Deutsche petite maitresse bei solchem Reichthum sich damit begnuͤgen. — Noch ein kleiner Zug moͤge hier stehen, der beweißt, wie wenig Madame Recamier durch Pracht zu blenden sucht. Eben bei der oben erwaͤhnten Spazierfahrt stie- gen wir vor ihrem Hause in einen zwar sehr bequemen, aber auch sehr einfachen Wagen, mit zwei Pferden be- spannt; erst an der Barriere von Paris fanden wir einen huͤbschen Phaeton mit einem sehr schoͤnen Postzug unser wartend. Als ich mein Befremden daruͤber aͤus- serte, sagte sie: sie liebe nicht auf diese Art durch die Stadt zu fahren, das Volk gaffe so viel. — Wenn das Eitelkeit ist, so ist sie wenigstens von sehr verbor- gener Art.
Man fasse jetzt alle jene hingeworfenen, getreu nach der Natur kopirten Zuͤge, in ein Bild zusammen, und wer wird nicht laut bekennen: dies Bild ist reizend!
Was sagen denn nun aber die deutschen Journa- listen? Sie sagen: waͤhrend Madame Recamier in England gewesen sey, habe ihr Gemahl zu Paris ei- nes Tages geaͤußert, er habe keine Nachricht von seiner Frau, und irgend ein Witzling habe ihn spoͤttisch ge- fragt: „ob er denn nicht die Zeitungen lese?“ — Ge- setzt diese Anekdote sei wahr, was kann denn Mada- me Recamier dafuͤr, daß die englischen Zeitungsschreiber jede Kleinigkeit haschen, um ihre Blaͤtter zu fuͤllen?
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ne. Eigentliche Pacht (in so fern diese Benennung
sehr relativ ist), hab' ich nirgend bei ihr gefunden;
praͤchtige Eleganz moͤgt' ich es vielmehr nennen,
und auch diese ist nur in ein Paar Zimmern. Ein
Vorzimmer, zwei Gesellschaftszimmer, ein Schlafge-
mach, ein Kabinet und der Eßsaal, siehe da, das ist
es alles, und schwerlich wuͤrde eine Deutsche petite
maitresse bei solchem Reichthum sich damit begnuͤgen.
— Noch ein kleiner Zug moͤge hier stehen, der beweißt,
wie wenig Madame Recamier durch Pracht zu blenden
sucht. Eben bei der oben erwaͤhnten Spazierfahrt stie-
gen wir vor ihrem Hause in einen zwar sehr bequemen,
aber auch sehr einfachen Wagen, mit zwei Pferden be-
spannt; erst an der Barriere von Paris fanden wir
einen huͤbschen Phaeton mit einem sehr schoͤnen Postzug
unser wartend. Als ich mein Befremden daruͤber aͤus-
serte, sagte sie: sie liebe nicht auf diese Art durch die
Stadt zu fahren, das Volk gaffe so viel. — Wenn
das Eitelkeit ist, so ist sie wenigstens von sehr verbor-
gener Art.
Man fasse jetzt alle jene hingeworfenen, getreu nach
der Natur kopirten Zuͤge, in ein Bild zusammen, und
wer wird nicht laut bekennen: dies Bild ist reizend!
Was sagen denn nun aber die deutschen Journa-
listen? Sie sagen: waͤhrend Madame Recamier in
England gewesen sey, habe ihr Gemahl zu Paris ei-
nes Tages geaͤußert, er habe keine Nachricht von seiner
Frau, und irgend ein Witzling habe ihn spoͤttisch ge-
fragt: „ob er denn nicht die Zeitungen lese?“ — Ge-
setzt diese Anekdote sei wahr, was kann denn Mada-
me Recamier dafuͤr, daß die englischen Zeitungsschreiber
jede Kleinigkeit haschen, um ihre Blaͤtter zu fuͤllen?
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/120>, abgerufen am 08.07.2024.
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