Jst es etwa ihr allein so gegangen? Man lese doch den Morning Chronicle etc. Man wird oft genug da- rin angezeigt finden, wie die Robe ausgesehen, welche diese oder jene Lady bei irgend einer Hoffeyerlichkeit getragen.
Die deutschen Journalisten wissen ferner noch: Ma- dame Recamier habe eines Tages einen Ball gegeben, sich aber um Mitternacht zu Bette gelegt und sämmt- liche Ballgäste vor ihrem Bett empfangen. An dieser Anekdote ist etwas Wahres. Die reizende Wirthin wurde auf diesem Ball plötzlich und ernstlich krank, sie war aber zu gutmüthig, um die allgemeine Freude stö- ren zu wollen, sie schlich sich also in ihr Schlafzimmer und legte sich zu Bette; einige vertrautere Freundinnen besuchten sie, und aus dieser so einfachen, so natürli- chen Geschichte hat man jene Klätscherei zusammengesetzt.
Die deutschen Journalisten schwatzen endlich auch noch: der Lustspieldichter Picard habe ein Stück ge- schrieben, in welchem die schöne, edle Frau persiflirt wäre, und ihr Gemahl habe es dem Dichter um eine namhafte Summe abgekauft. Jch bin von dem wackern Picard selbst autorisirt worden, diesem Mährchen gera- dezu zu widersprechen. Es ist ihm nie in den Sinn gekommen, etwas gegen Madame Recamier zu schrei- ben: das einzige Wahre von der Geschichte ist, daß man einige Einfälle in einem seiner Stücke auf sie ge- deutet hat, und blos um solchen Deutungen auszu- weichen, hat der brave Picard, ohne irgend eine ande- re Veranlassung oder niedrigen Kaufhandel, das Stück zurückgenommen.
Eine Karricatur wurde einst in Paris auf sie gemacht; (und das hat sie mir selbst erzählt), sie trat, ohne es zu
Jst es etwa ihr allein so gegangen? Man lese doch den Morning Chronicle etc. Man wird oft genug da- rin angezeigt finden, wie die Robe ausgesehen, welche diese oder jene Lady bei irgend einer Hoffeyerlichkeit getragen.
Die deutschen Journalisten wissen ferner noch: Ma- dame Recamier habe eines Tages einen Ball gegeben, sich aber um Mitternacht zu Bette gelegt und saͤmmt- liche Ballgaͤste vor ihrem Bett empfangen. An dieser Anekdote ist etwas Wahres. Die reizende Wirthin wurde auf diesem Ball ploͤtzlich und ernstlich krank, sie war aber zu gutmuͤthig, um die allgemeine Freude stoͤ- ren zu wollen, sie schlich sich also in ihr Schlafzimmer und legte sich zu Bette; einige vertrautere Freundinnen besuchten sie, und aus dieser so einfachen, so natuͤrli- chen Geschichte hat man jene Klaͤtscherei zusammengesetzt.
Die deutschen Journalisten schwatzen endlich auch noch: der Lustspieldichter Picard habe ein Stuͤck ge- schrieben, in welchem die schoͤne, edle Frau persiflirt waͤre, und ihr Gemahl habe es dem Dichter um eine namhafte Summe abgekauft. Jch bin von dem wackern Picard selbst autorisirt worden, diesem Maͤhrchen gera- dezu zu widersprechen. Es ist ihm nie in den Sinn gekommen, etwas gegen Madame Recamier zu schrei- ben: das einzige Wahre von der Geschichte ist, daß man einige Einfaͤlle in einem seiner Stuͤcke auf sie ge- deutet hat, und blos um solchen Deutungen auszu- weichen, hat der brave Picard, ohne irgend eine ande- re Veranlassung oder niedrigen Kaufhandel, das Stuͤck zuruͤckgenommen.
Eine Karricatur wurde einst in Paris auf sie gemacht; (und das hat sie mir selbst erzaͤhlt), sie trat, ohne es zu
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Jst es etwa ihr allein so gegangen? Man lese doch
den Morning Chronicle etc. Man wird oft genug da-
rin angezeigt finden, wie die Robe ausgesehen, welche
diese oder jene Lady bei irgend einer Hoffeyerlichkeit
getragen.
Die deutschen Journalisten wissen ferner noch: Ma-
dame Recamier habe eines Tages einen Ball gegeben,
sich aber um Mitternacht zu Bette gelegt und saͤmmt-
liche Ballgaͤste vor ihrem Bett empfangen. An dieser
Anekdote ist etwas Wahres. Die reizende Wirthin
wurde auf diesem Ball ploͤtzlich und ernstlich krank, sie
war aber zu gutmuͤthig, um die allgemeine Freude stoͤ-
ren zu wollen, sie schlich sich also in ihr Schlafzimmer
und legte sich zu Bette; einige vertrautere Freundinnen
besuchten sie, und aus dieser so einfachen, so natuͤrli-
chen Geschichte hat man jene Klaͤtscherei zusammengesetzt.
Die deutschen Journalisten schwatzen endlich auch
noch: der Lustspieldichter Picard habe ein Stuͤck ge-
schrieben, in welchem die schoͤne, edle Frau persiflirt
waͤre, und ihr Gemahl habe es dem Dichter um eine
namhafte Summe abgekauft. Jch bin von dem wackern
Picard selbst autorisirt worden, diesem Maͤhrchen gera-
dezu zu widersprechen. Es ist ihm nie in den Sinn
gekommen, etwas gegen Madame Recamier zu schrei-
ben: das einzige Wahre von der Geschichte ist, daß
man einige Einfaͤlle in einem seiner Stuͤcke auf sie ge-
deutet hat, und blos um solchen Deutungen auszu-
weichen, hat der brave Picard, ohne irgend eine ande-
re Veranlassung oder niedrigen Kaufhandel, das Stuͤck
zuruͤckgenommen.
Eine Karricatur wurde einst in Paris auf sie gemacht;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/121>, abgerufen am 08.07.2024.
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