Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.man blos aus ihren guten Handlungen auf ihre Fröm- Nie werde ich den schönen Morgen vergessen, an man blos aus ihren guten Handlungen auf ihre Froͤm- Nie werde ich den schoͤnen Morgen vergessen, an <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0117" n="113"/> man blos aus ihren guten Handlungen auf ihre Froͤm-<lb/> migkeit schließen duͤrfen. Jeden Tag bezeichnet sie durch<lb/> Wohlthaten. Jch weiß wohl, daß man reichen Leuten<lb/> eine Gabe, und selbst ansehnliche Gaben, eben nicht<lb/> zum Verdienst rechnen darf; nicht die Wohlthat selbst,<lb/> sondern die <hi rendition="#g">Art,</hi> wie sie von ihnen erzeigt wird, macht<lb/> ihr Verdienst aus, und gerade hier ist es, wo ich Ma-<lb/> dame Recamier unaussprechlich edel und liebenswuͤrdig<lb/> gefunden habe. Daß sie mit ihrer Wohlthaͤtigkeit in<lb/> meiner Gegenwart nur habe prunken wollen, (wie zu-<lb/> weilen der Neid mir eingewendet) ist schon deshalb un-<lb/> moͤglich, weil ich zu jeder Stunde des Tages Zutritt<lb/> bei ihr hatte, und oft ein sehr unerwarteter Zeuge ihrer<lb/> Handlungen war.</p><lb/> <p>Nie werde ich den schoͤnen Morgen vergessen, an<lb/> dem ich sie ganz allein in Gesellschaft eines kleinen <hi rendition="#g">taub-<lb/> stummen Maͤdchens</hi> fand, das sie, Gott weiß in<lb/> welchem Dorfe, bei einer Spazierfahrt aufgelesen hatte.<lb/> Eine Zeitlang war das Kind auf ihre Kosten erzogen<lb/> worden, dann hatte sie durch ihr Vorwort ihm eine<lb/> Stelle in dem trefflichen Jnstitut des edeln Sicard ver-<lb/> schafft; eben jetzt war das Maͤdchen neu gekleidet zu<lb/> ihr gefuͤhrt worden, um von ihr selbst zu Sicard ge-<lb/> bracht zu werden. Sie hatte dem Kinde ein Fruͤhstuͤck<lb/> auftragen lassen, welches zufaͤllig in dem schoͤnen Ge-<lb/> sellschaftssaal, auf einem Marmortische, unweit eines<lb/> Spiegels geschehen war, in dem die Kleine sich ganz<lb/> sehen konnte, und vermuthlich sich so zum erstenmal<lb/> sah. Das ruͤhrende Ergoͤtzen ihrer reizenden Wohlthaͤ-<lb/> terinn an dem freudigen Erstaunen des Kindes, das be-<lb/> thraͤnte Laͤcheln, mit dem sie dem Kinde die Haare<lb/> aus dem Gesichte strich, und es von Zeit zu Zeit auf<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0117]
man blos aus ihren guten Handlungen auf ihre Froͤm-
migkeit schließen duͤrfen. Jeden Tag bezeichnet sie durch
Wohlthaten. Jch weiß wohl, daß man reichen Leuten
eine Gabe, und selbst ansehnliche Gaben, eben nicht
zum Verdienst rechnen darf; nicht die Wohlthat selbst,
sondern die Art, wie sie von ihnen erzeigt wird, macht
ihr Verdienst aus, und gerade hier ist es, wo ich Ma-
dame Recamier unaussprechlich edel und liebenswuͤrdig
gefunden habe. Daß sie mit ihrer Wohlthaͤtigkeit in
meiner Gegenwart nur habe prunken wollen, (wie zu-
weilen der Neid mir eingewendet) ist schon deshalb un-
moͤglich, weil ich zu jeder Stunde des Tages Zutritt
bei ihr hatte, und oft ein sehr unerwarteter Zeuge ihrer
Handlungen war.
Nie werde ich den schoͤnen Morgen vergessen, an
dem ich sie ganz allein in Gesellschaft eines kleinen taub-
stummen Maͤdchens fand, das sie, Gott weiß in
welchem Dorfe, bei einer Spazierfahrt aufgelesen hatte.
Eine Zeitlang war das Kind auf ihre Kosten erzogen
worden, dann hatte sie durch ihr Vorwort ihm eine
Stelle in dem trefflichen Jnstitut des edeln Sicard ver-
schafft; eben jetzt war das Maͤdchen neu gekleidet zu
ihr gefuͤhrt worden, um von ihr selbst zu Sicard ge-
bracht zu werden. Sie hatte dem Kinde ein Fruͤhstuͤck
auftragen lassen, welches zufaͤllig in dem schoͤnen Ge-
sellschaftssaal, auf einem Marmortische, unweit eines
Spiegels geschehen war, in dem die Kleine sich ganz
sehen konnte, und vermuthlich sich so zum erstenmal
sah. Das ruͤhrende Ergoͤtzen ihrer reizenden Wohlthaͤ-
terinn an dem freudigen Erstaunen des Kindes, das be-
thraͤnte Laͤcheln, mit dem sie dem Kinde die Haare
aus dem Gesichte strich, und es von Zeit zu Zeit auf
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