Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798."Meli, Meli, bist du's?" rief Cidli. Aus Zi- liens Armen Wand sie eilend sich los, und umschlang den schim- mernden Bruder. "Meli, Meli, bist du's? O sage, sage mir, Trau- ter, "Sage, von wannen du kommst? wohin du eilest? O sage, "Ob auch Vater mich grüsst, ob Mutter? ob Lilla und Lili? "Ob sie an Cidli auch denken? O sage, sage mir alles!" Tief erschüttert stand Zilia auf. Vom Baume des Lebens Brach sie der goldenen Äpfel einen, und reichet' ihn Meli. Meli genoss der ambrosischen Frucht. Da wurde dem Knaben Aufgeschlossen der innere Sinn. Zu hellem Bewusst- seyn Lichtete sich sein dämmernd Gefühl. Aus dem Ab- grund des Geistes Stiegen Erinnrungen auf des dumpfverträumeten Le- bens. Siehe, sein Auge ward aufgethan. Er erkannte die Schwester. „Meli, Meli, bist du's?“ rief Cidli. Aus Zi- liens Armen Wand sie eilend sich los, und umschlang den schim- mernden Bruder. „Meli, Meli, bist du's? O sage, sage mir, Trau- ter, „Sage, von wannen du kommst? wohin du eilest? O sage, „Ob auch Vater mich grüsst, ob Mutter? ob Lilla und Lili? „Ob sie an Cidli auch denken? O sage, sage mir alles!“ Tief erschüttert stand Zilia auf. Vom Baume des Lebens Brach sie der goldenen Äpfel einen, und reichet' ihn Meli. Meli genoss der ambrosischen Frucht. Da wurde dem Knaben Aufgeschlossen der innere Sinn. Zu hellem Bewusst- seyn Lichtete sich sein dämmernd Gefühl. Aus dem Ab- grund des Geistes Stiegen Erinnrungen auf des dumpfverträumeten Le- bens. Siehe, sein Auge ward aufgethan. Er erkannte die Schwester. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0373" n="351"/> </l> <lg n="11"> <l>„Meli, Meli, bist du's?“ rief Cidli. Aus Zi-</l><lb/> <l>liens Armen</l><lb/> <l>Wand sie eilend sich los, und umschlang den schim-</l><lb/> <l>mernden Bruder.</l><lb/> <l>„Meli, Meli, bist du's? O sage, sage mir, Trau-</l><lb/> <l>ter,</l><lb/> <l>„Sage, von wannen du kommst? wohin du eilest?</l><lb/> <l>O sage,</l><lb/> <l>„Ob auch Vater mich grüsst, ob Mutter? ob Lilla</l><lb/> <l>und Lili?</l><lb/> <l>„Ob sie an Cidli auch denken? O sage, sage mir</l><lb/> <l>alles!“</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Tief erschüttert stand Zilia auf. Vom Baume</l><lb/> <l>des Lebens</l><lb/> <l>Brach sie der goldenen Äpfel einen, und reichet'</l><lb/> <l>ihn Meli.</l><lb/> <l>Meli genoss der ambrosischen Frucht. Da wurde</l><lb/> <l>dem Knaben</l><lb/> <l>Aufgeschlossen der innere Sinn. Zu hellem Bewusst-</l><lb/> <l>seyn</l><lb/> <l>Lichtete sich sein dämmernd Gefühl. Aus dem Ab-</l><lb/> <l>grund des Geistes</l><lb/> <l>Stiegen Erinnrungen auf des dumpfverträumeten Le-</l><lb/> <l>bens.</l><lb/> <l>Siehe, sein Auge ward aufgethan. Er erkannte die</l><lb/> <l>Schwester.</l><lb/> <l> </l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [351/0373]
„Meli, Meli, bist du's?“ rief Cidli. Aus Zi-
liens Armen
Wand sie eilend sich los, und umschlang den schim-
mernden Bruder.
„Meli, Meli, bist du's? O sage, sage mir, Trau-
ter,
„Sage, von wannen du kommst? wohin du eilest?
O sage,
„Ob auch Vater mich grüsst, ob Mutter? ob Lilla
und Lili?
„Ob sie an Cidli auch denken? O sage, sage mir
alles!“
Tief erschüttert stand Zilia auf. Vom Baume
des Lebens
Brach sie der goldenen Äpfel einen, und reichet'
ihn Meli.
Meli genoss der ambrosischen Frucht. Da wurde
dem Knaben
Aufgeschlossen der innere Sinn. Zu hellem Bewusst-
seyn
Lichtete sich sein dämmernd Gefühl. Aus dem Ab-
grund des Geistes
Stiegen Erinnrungen auf des dumpfverträumeten Le-
bens.
Siehe, sein Auge ward aufgethan. Er erkannte die
Schwester.
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