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Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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lag, gleich dem entfalteten bunten Schweif eines Pfauen, alle Herrlichkeit und Pracht des neapolitanischen Golfes und seiner Inseln hingebreitet. Garten an Garten und Stadt an Stadt, an dem schönen Saume des Meeres, der sich hin schwingt wie der Flug der Schwalbe; während sich aus der Ebene vor den blauen Appenninen der Vesuv erhebt und, gleich bunten Blumen, Aschengewölk auf Aschengewölk emporthürmt. Da rief Giovanni: Heiliger Gott, wie schön ist diese Welt, und wie unglücklich bin ich in dieser schönen Welt! -- Jetzt erst brachen ihm die Thränen aus den Augen, und er weinte bitterlich. Da mußte es sich fügen, daß zu derselbigen Stunde der Räuber Checco mit seinen lustigen Gesellen, in jener Einsamkeit umherschwärmte, zu seiner Ergötzung Kaninchen zu jagen. Kühn, wie er war, kletterte er eben um den Gipfel des Felsens, an welchem Giovanni lag, als das Erdreich unter den Füßen des Räubers wich und hinabschob. Was er auch ergriff, sich zu halten, Gras und Busch, Alles ward los und rollte mit ihm dem Abgrunde zu. Da vernahm Giovanni das Geräusch, blickte um sich, sprang gewandt hinzu und, die Linke fest um einen überhängenden Baum geschlungen, ergriff er den Stürzenden mit der Rechten, als er eben verloren schien, und hielt ihn dicht an dem Abgrunde schwebend. Obwohl stark genug, ihn eine Weile zu halten, war er doch nicht mächtig genug, ihn völlig heraufzuziehen, und Beider Lage ward mit jedem

lag, gleich dem entfalteten bunten Schweif eines Pfauen, alle Herrlichkeit und Pracht des neapolitanischen Golfes und seiner Inseln hingebreitet. Garten an Garten und Stadt an Stadt, an dem schönen Saume des Meeres, der sich hin schwingt wie der Flug der Schwalbe; während sich aus der Ebene vor den blauen Appenninen der Vesuv erhebt und, gleich bunten Blumen, Aschengewölk auf Aschengewölk emporthürmt. Da rief Giovanni: Heiliger Gott, wie schön ist diese Welt, und wie unglücklich bin ich in dieser schönen Welt! — Jetzt erst brachen ihm die Thränen aus den Augen, und er weinte bitterlich. Da mußte es sich fügen, daß zu derselbigen Stunde der Räuber Checco mit seinen lustigen Gesellen, in jener Einsamkeit umherschwärmte, zu seiner Ergötzung Kaninchen zu jagen. Kühn, wie er war, kletterte er eben um den Gipfel des Felsens, an welchem Giovanni lag, als das Erdreich unter den Füßen des Räubers wich und hinabschob. Was er auch ergriff, sich zu halten, Gras und Busch, Alles ward los und rollte mit ihm dem Abgrunde zu. Da vernahm Giovanni das Geräusch, blickte um sich, sprang gewandt hinzu und, die Linke fest um einen überhängenden Baum geschlungen, ergriff er den Stürzenden mit der Rechten, als er eben verloren schien, und hielt ihn dicht an dem Abgrunde schwebend. Obwohl stark genug, ihn eine Weile zu halten, war er doch nicht mächtig genug, ihn völlig heraufzuziehen, und Beider Lage ward mit jedem

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Zitationshilfe: Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/31>, abgerufen am 23.11.2024.