Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ich hab' das meine Mutter, die seine Tochter ist gewesen, hundert Mal gefragt, meinst du, sie hat mir eine Antwort gegeben? Nämlich du mußt wissen, wie dein Urdede noch gelebt hat, hab' ich von dem Allem nichts gewußt; erst wie er schon lang gestorben war und ich schon eine große "Mad" war, zu der die jungen Leut sind auf die Beschau gekommen, erst da hat sie mir's erzählt. Erst da ist mir Manches eingefallen, was ich, wie ich noch ein Kind war, an meinem Dede nicht hab' verstehen können. Soll ich dir etwas sagen: dein Urdede war gar nicht fromm. Haben sie ihn denn nicht wie einen Hund angespieen? sagte Fischele zornig und gleichsam zur Entschuldigung des todten Urahnen. Wie kommt das dazu? sprach die alte Frau kopfschüttelnd; meinst du denn, wenn ich sage: er ist nicht fromm gewesen, daß er vielleicht am Jom Kippur nicht hat gefastet, oder daß er bei den Christen hat gegessen, oder daß er ist nicht in Schul' gegangen und hat sich sein Gespött gemacht aus Gott und aus den Menschen? Das glaub ja nicht; er war ein merkwürdig frommer Mensch, du hast ihm nicht können vorwerfen, was auf ein Quentchen gegangen wär', und was anbelangt das Jüdsein, hätt' er's mit dem ersten Landrabbiner in der Welt aufnehmen können. Einmal, das weiß ich aber, wie wenn's heut' geschehen wär', da hat mein klein Brüderl aus einem Topf, in dem man Fleisch gekocht hat, Milch getrunken. Da ist meine Mutter vor ich hab' das meine Mutter, die seine Tochter ist gewesen, hundert Mal gefragt, meinst du, sie hat mir eine Antwort gegeben? Nämlich du mußt wissen, wie dein Urdede noch gelebt hat, hab' ich von dem Allem nichts gewußt; erst wie er schon lang gestorben war und ich schon eine große „Mad“ war, zu der die jungen Leut sind auf die Beschau gekommen, erst da hat sie mir's erzählt. Erst da ist mir Manches eingefallen, was ich, wie ich noch ein Kind war, an meinem Dede nicht hab' verstehen können. Soll ich dir etwas sagen: dein Urdede war gar nicht fromm. Haben sie ihn denn nicht wie einen Hund angespieen? sagte Fischele zornig und gleichsam zur Entschuldigung des todten Urahnen. Wie kommt das dazu? sprach die alte Frau kopfschüttelnd; meinst du denn, wenn ich sage: er ist nicht fromm gewesen, daß er vielleicht am Jom Kippur nicht hat gefastet, oder daß er bei den Christen hat gegessen, oder daß er ist nicht in Schul' gegangen und hat sich sein Gespött gemacht aus Gott und aus den Menschen? Das glaub ja nicht; er war ein merkwürdig frommer Mensch, du hast ihm nicht können vorwerfen, was auf ein Quentchen gegangen wär', und was anbelangt das Jüdsein, hätt' er's mit dem ersten Landrabbiner in der Welt aufnehmen können. Einmal, das weiß ich aber, wie wenn's heut' geschehen wär', da hat mein klein Brüderl aus einem Topf, in dem man Fleisch gekocht hat, Milch getrunken. Da ist meine Mutter vor <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> ich hab' das meine Mutter, die seine Tochter ist gewesen, hundert Mal gefragt, meinst du, sie hat mir eine Antwort gegeben? Nämlich du mußt wissen, wie dein Urdede noch gelebt hat, hab' ich von dem Allem nichts gewußt; erst wie er schon lang gestorben war und ich schon eine große „Mad“ war, zu der die jungen Leut sind auf die Beschau gekommen, erst da hat sie mir's erzählt. Erst da ist mir Manches eingefallen, was ich, wie ich noch ein Kind war, an meinem Dede nicht hab' verstehen können. Soll ich dir etwas sagen: dein Urdede war gar nicht fromm.</p><lb/> <p>Haben sie ihn denn nicht wie einen Hund angespieen? sagte Fischele zornig und gleichsam zur Entschuldigung des todten Urahnen.</p><lb/> <p>Wie kommt das dazu? sprach die alte Frau kopfschüttelnd; meinst du denn, wenn ich sage: er ist nicht fromm gewesen, daß er vielleicht am Jom Kippur nicht hat gefastet, oder daß er bei den Christen hat gegessen, oder daß er ist nicht in Schul' gegangen und hat sich sein Gespött gemacht aus Gott und aus den Menschen? Das glaub ja nicht; er war ein merkwürdig frommer Mensch, du hast ihm nicht können vorwerfen, was auf ein Quentchen gegangen wär', und was anbelangt das Jüdsein, hätt' er's mit dem ersten Landrabbiner in der Welt aufnehmen können. Einmal, das weiß ich aber, wie wenn's heut' geschehen wär', da hat mein klein Brüderl aus einem Topf, in dem man Fleisch gekocht hat, Milch getrunken. Da ist meine Mutter vor<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
ich hab' das meine Mutter, die seine Tochter ist gewesen, hundert Mal gefragt, meinst du, sie hat mir eine Antwort gegeben? Nämlich du mußt wissen, wie dein Urdede noch gelebt hat, hab' ich von dem Allem nichts gewußt; erst wie er schon lang gestorben war und ich schon eine große „Mad“ war, zu der die jungen Leut sind auf die Beschau gekommen, erst da hat sie mir's erzählt. Erst da ist mir Manches eingefallen, was ich, wie ich noch ein Kind war, an meinem Dede nicht hab' verstehen können. Soll ich dir etwas sagen: dein Urdede war gar nicht fromm.
Haben sie ihn denn nicht wie einen Hund angespieen? sagte Fischele zornig und gleichsam zur Entschuldigung des todten Urahnen.
Wie kommt das dazu? sprach die alte Frau kopfschüttelnd; meinst du denn, wenn ich sage: er ist nicht fromm gewesen, daß er vielleicht am Jom Kippur nicht hat gefastet, oder daß er bei den Christen hat gegessen, oder daß er ist nicht in Schul' gegangen und hat sich sein Gespött gemacht aus Gott und aus den Menschen? Das glaub ja nicht; er war ein merkwürdig frommer Mensch, du hast ihm nicht können vorwerfen, was auf ein Quentchen gegangen wär', und was anbelangt das Jüdsein, hätt' er's mit dem ersten Landrabbiner in der Welt aufnehmen können. Einmal, das weiß ich aber, wie wenn's heut' geschehen wär', da hat mein klein Brüderl aus einem Topf, in dem man Fleisch gekocht hat, Milch getrunken. Da ist meine Mutter vor
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T13:25:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T13:25:39Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |