Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Zehn Jahre, sagt Ihr, Herr Smetana, habt Ihr Euren Sohn nicht gesehen? So lange, als der Sohn mit der Tochter der Jüdin verheirathet ist. Gekommen ist er öfters, besonders in der ersten Zeit, hat geweint und ist auf die Kniee gefallen vor mir, aber er hat mehr als einen Stoß vor die Brust von mir bekommen, dann bin ich ihm immer aus dem Weg gegangen; ich habe ihn nicht wollen sehen. Geflucht hab' ich wie ein Räuber, den man zum Galgen führt, wenn die Leute mir ein Wort von meinem Pawel erzählt haben. Und wie ist es doch gekommen? fragte Josseph, den eine unbezwingliche Neigung drängte, Alles zu erfahren. Er unterbrach sich selbst, als hätte er bereits zu viel gefragt. Hört an, wie das geschehen ist, entgegnete der Bauer. Ich bin schon ein alter Mann, die Vögel auf dem Dache wissen das schon längst, und der Cantor in unserem Dorfe, der freut sich schon auf den Tag, wenn sie den todten Waczlaw Smetana bei seinem Weib einscharren werden. Die wartet schon zwanzig lange Jahre auf mich. Dazu hab' ich einen schweren Husten, und wenn der kommt, so mein' ich immer, die Stimme meiner Alten zu hören, warum ich sie denn so lange warten lasse. Darauf könnt Ihr sicher rechnen, was ich Euch da jetzt sage: noch in diesem Jahre wird der Cantor die Glocke zu läuten haben, und die Musikanten werden ihr Trinkgeld bekommen. Der Waczlaw Zehn Jahre, sagt Ihr, Herr Smetana, habt Ihr Euren Sohn nicht gesehen? So lange, als der Sohn mit der Tochter der Jüdin verheirathet ist. Gekommen ist er öfters, besonders in der ersten Zeit, hat geweint und ist auf die Kniee gefallen vor mir, aber er hat mehr als einen Stoß vor die Brust von mir bekommen, dann bin ich ihm immer aus dem Weg gegangen; ich habe ihn nicht wollen sehen. Geflucht hab' ich wie ein Räuber, den man zum Galgen führt, wenn die Leute mir ein Wort von meinem Pawel erzählt haben. Und wie ist es doch gekommen? fragte Josseph, den eine unbezwingliche Neigung drängte, Alles zu erfahren. Er unterbrach sich selbst, als hätte er bereits zu viel gefragt. Hört an, wie das geschehen ist, entgegnete der Bauer. Ich bin schon ein alter Mann, die Vögel auf dem Dache wissen das schon längst, und der Cantor in unserem Dorfe, der freut sich schon auf den Tag, wenn sie den todten Waczlaw Smetana bei seinem Weib einscharren werden. Die wartet schon zwanzig lange Jahre auf mich. Dazu hab' ich einen schweren Husten, und wenn der kommt, so mein' ich immer, die Stimme meiner Alten zu hören, warum ich sie denn so lange warten lasse. Darauf könnt Ihr sicher rechnen, was ich Euch da jetzt sage: noch in diesem Jahre wird der Cantor die Glocke zu läuten haben, und die Musikanten werden ihr Trinkgeld bekommen. Der Waczlaw <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <pb facs="#f0119"/> <p>Zehn Jahre, sagt Ihr, Herr Smetana, habt Ihr Euren Sohn nicht gesehen?</p><lb/> <p>So lange, als der Sohn mit der Tochter der Jüdin verheirathet ist. Gekommen ist er öfters, besonders in der ersten Zeit, hat geweint und ist auf die Kniee gefallen vor mir, aber er hat mehr als einen Stoß vor die Brust von mir bekommen, dann bin ich ihm immer aus dem Weg gegangen; ich habe ihn nicht wollen sehen. Geflucht hab' ich wie ein Räuber, den man zum Galgen führt, wenn die Leute mir ein Wort von meinem Pawel erzählt haben.</p><lb/> <p>Und wie ist es doch gekommen? fragte Josseph, den eine unbezwingliche Neigung drängte, Alles zu erfahren. Er unterbrach sich selbst, als hätte er bereits zu viel gefragt.</p><lb/> <p>Hört an, wie das geschehen ist, entgegnete der Bauer. Ich bin schon ein alter Mann, die Vögel auf dem Dache wissen das schon längst, und der Cantor in unserem Dorfe, der freut sich schon auf den Tag, wenn sie den todten Waczlaw Smetana bei seinem Weib einscharren werden. Die wartet schon zwanzig lange Jahre auf mich. Dazu hab' ich einen schweren Husten, und wenn der kommt, so mein' ich immer, die Stimme meiner Alten zu hören, warum ich sie denn so lange warten lasse. Darauf könnt Ihr sicher rechnen, was ich Euch da jetzt sage: noch in diesem Jahre wird der Cantor die Glocke zu läuten haben, und die Musikanten werden ihr Trinkgeld bekommen. Der Waczlaw<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0119]
Zehn Jahre, sagt Ihr, Herr Smetana, habt Ihr Euren Sohn nicht gesehen?
So lange, als der Sohn mit der Tochter der Jüdin verheirathet ist. Gekommen ist er öfters, besonders in der ersten Zeit, hat geweint und ist auf die Kniee gefallen vor mir, aber er hat mehr als einen Stoß vor die Brust von mir bekommen, dann bin ich ihm immer aus dem Weg gegangen; ich habe ihn nicht wollen sehen. Geflucht hab' ich wie ein Räuber, den man zum Galgen führt, wenn die Leute mir ein Wort von meinem Pawel erzählt haben.
Und wie ist es doch gekommen? fragte Josseph, den eine unbezwingliche Neigung drängte, Alles zu erfahren. Er unterbrach sich selbst, als hätte er bereits zu viel gefragt.
Hört an, wie das geschehen ist, entgegnete der Bauer. Ich bin schon ein alter Mann, die Vögel auf dem Dache wissen das schon längst, und der Cantor in unserem Dorfe, der freut sich schon auf den Tag, wenn sie den todten Waczlaw Smetana bei seinem Weib einscharren werden. Die wartet schon zwanzig lange Jahre auf mich. Dazu hab' ich einen schweren Husten, und wenn der kommt, so mein' ich immer, die Stimme meiner Alten zu hören, warum ich sie denn so lange warten lasse. Darauf könnt Ihr sicher rechnen, was ich Euch da jetzt sage: noch in diesem Jahre wird der Cantor die Glocke zu läuten haben, und die Musikanten werden ihr Trinkgeld bekommen. Der Waczlaw
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/119 |
Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/119>, abgerufen am 19.06.2024. |