Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.geworden; kaum daß die fast unvernehmliche Antwort über die zusammengekniffenen Lippen hinaus wollte. Welch ein Zufall! War es nicht der Schwiegervater Madlena's, mit dem er da ging? Im ersten Augenblicke der Ueberraschung wollte Josseph unter irgend einem Vorwande weit weg von dem alten Bauer gehen, dennoch führte er dieses Vorhaben nicht aus; es war ihm, als ob er bleiben müßte, als hinge das Geschick eines Menschendaseins davon ab. Nun schritt er neben dem alten Bauer her, der noch Mancherlei von sich und seinem Sohne sprach, ohne daß Josseph sonderlich darauf zu achten schien. Mit einem Male blieb der Bauer auf der Straße stehen, so daß auch der vorwärts eilende Josseph anhalten mußte. Die beiden Männer standen sich eine geraume Weile sprachlos gegenüber. Seht Ihr mir's an, begann der alte Bauer, der die Gesichtszüge Josseph's in diesem Augenblick scharf wie eine Beute im Wald aufs Korn nahm, seht Ihr mir's an, daß ich einen Sohn im Dorfe wohnen habe, was nur ein paar Stunden von mir liegt, und -- -- und daß ich diesen Sohn in zehn Jahren nicht aufgesucht habe? Ein schlechter Vater, werdet Ihr sagen, nicht wahr? Ich seh's Euch schon an, das wollt Ihr auch sagen. Das kann ich ja nicht sagen, antwortete Josseph geworden; kaum daß die fast unvernehmliche Antwort über die zusammengekniffenen Lippen hinaus wollte. Welch ein Zufall! War es nicht der Schwiegervater Madlena's, mit dem er da ging? Im ersten Augenblicke der Ueberraschung wollte Josseph unter irgend einem Vorwande weit weg von dem alten Bauer gehen, dennoch führte er dieses Vorhaben nicht aus; es war ihm, als ob er bleiben müßte, als hinge das Geschick eines Menschendaseins davon ab. Nun schritt er neben dem alten Bauer her, der noch Mancherlei von sich und seinem Sohne sprach, ohne daß Josseph sonderlich darauf zu achten schien. Mit einem Male blieb der Bauer auf der Straße stehen, so daß auch der vorwärts eilende Josseph anhalten mußte. Die beiden Männer standen sich eine geraume Weile sprachlos gegenüber. Seht Ihr mir's an, begann der alte Bauer, der die Gesichtszüge Josseph's in diesem Augenblick scharf wie eine Beute im Wald aufs Korn nahm, seht Ihr mir's an, daß ich einen Sohn im Dorfe wohnen habe, was nur ein paar Stunden von mir liegt, und — — und daß ich diesen Sohn in zehn Jahren nicht aufgesucht habe? Ein schlechter Vater, werdet Ihr sagen, nicht wahr? Ich seh's Euch schon an, das wollt Ihr auch sagen. Das kann ich ja nicht sagen, antwortete Josseph <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0117"/> geworden; kaum daß die fast unvernehmliche Antwort über die zusammengekniffenen Lippen hinaus wollte.</p><lb/> <p>Welch ein Zufall! War es nicht der Schwiegervater Madlena's, mit dem er da ging? Im ersten Augenblicke der Ueberraschung wollte Josseph unter irgend einem Vorwande weit weg von dem alten Bauer gehen, dennoch führte er dieses Vorhaben nicht aus; es war ihm, als ob er bleiben müßte, als hinge das Geschick eines Menschendaseins davon ab.</p><lb/> <p>Nun schritt er neben dem alten Bauer her, der noch Mancherlei von sich und seinem Sohne sprach, ohne daß Josseph sonderlich darauf zu achten schien. Mit einem Male blieb der Bauer auf der Straße stehen, so daß auch der vorwärts eilende Josseph anhalten mußte.</p><lb/> <p>Die beiden Männer standen sich eine geraume Weile sprachlos gegenüber.</p><lb/> <p>Seht Ihr mir's an, begann der alte Bauer, der die Gesichtszüge Josseph's in diesem Augenblick scharf wie eine Beute im Wald aufs Korn nahm, seht Ihr mir's an, daß ich einen Sohn im Dorfe wohnen habe, was nur ein paar Stunden von mir liegt, und — — und daß ich diesen Sohn in zehn Jahren nicht aufgesucht habe? Ein schlechter Vater, werdet Ihr sagen, nicht wahr? Ich seh's Euch schon an, das wollt Ihr auch sagen.</p><lb/> <p>Das kann ich ja nicht sagen, antwortete Josseph<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
geworden; kaum daß die fast unvernehmliche Antwort über die zusammengekniffenen Lippen hinaus wollte.
Welch ein Zufall! War es nicht der Schwiegervater Madlena's, mit dem er da ging? Im ersten Augenblicke der Ueberraschung wollte Josseph unter irgend einem Vorwande weit weg von dem alten Bauer gehen, dennoch führte er dieses Vorhaben nicht aus; es war ihm, als ob er bleiben müßte, als hinge das Geschick eines Menschendaseins davon ab.
Nun schritt er neben dem alten Bauer her, der noch Mancherlei von sich und seinem Sohne sprach, ohne daß Josseph sonderlich darauf zu achten schien. Mit einem Male blieb der Bauer auf der Straße stehen, so daß auch der vorwärts eilende Josseph anhalten mußte.
Die beiden Männer standen sich eine geraume Weile sprachlos gegenüber.
Seht Ihr mir's an, begann der alte Bauer, der die Gesichtszüge Josseph's in diesem Augenblick scharf wie eine Beute im Wald aufs Korn nahm, seht Ihr mir's an, daß ich einen Sohn im Dorfe wohnen habe, was nur ein paar Stunden von mir liegt, und — — und daß ich diesen Sohn in zehn Jahren nicht aufgesucht habe? Ein schlechter Vater, werdet Ihr sagen, nicht wahr? Ich seh's Euch schon an, das wollt Ihr auch sagen.
Das kann ich ja nicht sagen, antwortete Josseph
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/117>, abgerufen am 19.07.2024. |