Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_017.001 pko_017.009 pko_017.025 pko_017.032 1) pko_017.037
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lat. „Leiter, Treppe“. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0021" n="17"/><lb n="pko_017.001"/> Vorstellungen auf engstem Raume zusammendrängt: „Feuer!“ „Hilfe!“ <lb n="pko_017.002"/> „O Himmel!“ Die Dramen der Sturm- und Drangzeit wie des Expressionismus <lb n="pko_017.003"/> kleideten das höchste Pathos der Leidenschaft in solche jähe <lb n="pko_017.004"/> Ausrufe. Beispiele: „Umsonst! — Ins Loch mit dem Hund! — Bitten! <lb n="pko_017.005"/> Schwüre! Tränen! Hölle und Teufel!ʻ (Schiller: Räuber I 2); „Meine <lb n="pko_017.006"/> Seele! Sieh, wie sie rote Flügel schlägt und steigt! Güte und Liebe! <lb n="pko_017.007"/> Demut und Glauben! Kindereinfalt und Seligkeit! Solch ein schmales <lb n="pko_017.008"/> Leuchten! Geist zu Geist denn!“ (Hanns Johst: Der Einsame 8. Bild).</p> <p><lb n="pko_017.009"/> Dieser <hi rendition="#i">intensiven</hi> Emphase tritt zur Seite die <hi rendition="#i">extensive,</hi> die <hi rendition="#i">Wiederholung</hi> <lb n="pko_017.010"/> der ausdrucksbetonten Worte am Anfang <hi rendition="#i">(Anáphora,</hi> vom <lb n="pko_017.011"/> griech. anaphérein „heraufholen“) oder am Ende der Rede <hi rendition="#i">(Epíphora,</hi> <lb n="pko_017.012"/> vom griech. epiphérein „nachtragen“). „Ja ich bin's du Unglücksel'ge, / <lb n="pko_017.013"/> Ja ich bin's, den du genannt! / Bin's, den alle Wälder kennen, / Bin's, <lb n="pko_017.014"/> den Mörder Bruder nennen, / Bin der Räuber Jaromir“ (Grillparzer: <lb n="pko_017.015"/> Ahnfrau); „Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden“ <lb n="pko_017.016"/> (Goethe: Heideröslein); „Heute, nur heute / Bin ich so schön; / Morgen, <lb n="pko_017.017"/> ach morgen / Muß alles vergehn! / Nur diese Stunde / Bist du noch <lb n="pko_017.018"/> mein; / Sterben, ach sterben / Soll ich allein.“ (Storm); „Ich sah auf dich <lb n="pko_017.019"/> und weinte nicht. Der Schmerz / Schlug meine Zähne knirschend aneinander: <lb n="pko_017.020"/> / Ich weinte nicht. Mein königliches Blut / Floß schändlich unter <lb n="pko_017.021"/> unbarmherzigen Streichen: / Ich sah auf dich und weinte nicht“ (Schiller: <lb n="pko_017.022"/> Don Carlos). Vgl. auch die wortwiederholenden Redensarten der Umgangssprache: <lb n="pko_017.023"/> „Ja, ja“; „nein, nein“; „ei, ei“; „Schau, schau“; „doch, <lb n="pko_017.024"/> doch“; „aber, aber“; „so, so“.</p> <p><lb n="pko_017.025"/> Wird diese extensive Emphase ihrerseits noch intensiviert, indem <lb n="pko_017.026"/> zwar die gleiche Vorstellung mehrfach wiederkehrt, aber ihr Ausdruck <lb n="pko_017.027"/> immer neue stufenmäßige Verstärkung des Wortes und Bildes erfährt, <lb n="pko_017.028"/> so entsteht die <hi rendition="#i">Klimax</hi><note xml:id="PKO_017_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_017.037"/> lat. „Leiter, Treppe“.</note> (Steigerung, Gradation), welche in der Regel <lb n="pko_017.029"/> hyperbolisch schließt. „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, / Verderblich <lb n="pko_017.030"/> ist des Tigers Zahn; / Jedoch der schrecklichste der Schrecken, / Das ist <lb n="pko_017.031"/> der Mensch in seinem Wahn“ (Schiller: Lied von der Glocke).</p> <p><lb n="pko_017.032"/> Die intensive Emphase des Ausrufs kann sich auch in die Form der <lb n="pko_017.033"/> (sog. <hi rendition="#i">rhetorischen) Frage</hi> kleiden, die nicht eine noch unbekannte <lb n="pko_017.034"/> Antwort heischt, sondern die — als selbstverständlich vorausgesetzte — <lb n="pko_017.035"/> Zustimmung des Angeredeten, durch welche sich der Sprecher in der <lb n="pko_017.036"/> eigenen Stimmung befestigen lassen will.</p> <p/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0021]
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Vorstellungen auf engstem Raume zusammendrängt: „Feuer!“ „Hilfe!“ pko_017.002
„O Himmel!“ Die Dramen der Sturm- und Drangzeit wie des Expressionismus pko_017.003
kleideten das höchste Pathos der Leidenschaft in solche jähe pko_017.004
Ausrufe. Beispiele: „Umsonst! — Ins Loch mit dem Hund! — Bitten! pko_017.005
Schwüre! Tränen! Hölle und Teufel!ʻ (Schiller: Räuber I 2); „Meine pko_017.006
Seele! Sieh, wie sie rote Flügel schlägt und steigt! Güte und Liebe! pko_017.007
Demut und Glauben! Kindereinfalt und Seligkeit! Solch ein schmales pko_017.008
Leuchten! Geist zu Geist denn!“ (Hanns Johst: Der Einsame 8. Bild).
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Dieser intensiven Emphase tritt zur Seite die extensive, die Wiederholung pko_017.010
der ausdrucksbetonten Worte am Anfang (Anáphora, vom pko_017.011
griech. anaphérein „heraufholen“) oder am Ende der Rede (Epíphora, pko_017.012
vom griech. epiphérein „nachtragen“). „Ja ich bin's du Unglücksel'ge, / pko_017.013
Ja ich bin's, den du genannt! / Bin's, den alle Wälder kennen, / Bin's, pko_017.014
den Mörder Bruder nennen, / Bin der Räuber Jaromir“ (Grillparzer: pko_017.015
Ahnfrau); „Röslein, Röslein, Röslein rot, Röslein auf der Heiden“ pko_017.016
(Goethe: Heideröslein); „Heute, nur heute / Bin ich so schön; / Morgen, pko_017.017
ach morgen / Muß alles vergehn! / Nur diese Stunde / Bist du noch pko_017.018
mein; / Sterben, ach sterben / Soll ich allein.“ (Storm); „Ich sah auf dich pko_017.019
und weinte nicht. Der Schmerz / Schlug meine Zähne knirschend aneinander: pko_017.020
/ Ich weinte nicht. Mein königliches Blut / Floß schändlich unter pko_017.021
unbarmherzigen Streichen: / Ich sah auf dich und weinte nicht“ (Schiller: pko_017.022
Don Carlos). Vgl. auch die wortwiederholenden Redensarten der Umgangssprache: pko_017.023
„Ja, ja“; „nein, nein“; „ei, ei“; „Schau, schau“; „doch, pko_017.024
doch“; „aber, aber“; „so, so“.
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Wird diese extensive Emphase ihrerseits noch intensiviert, indem pko_017.026
zwar die gleiche Vorstellung mehrfach wiederkehrt, aber ihr Ausdruck pko_017.027
immer neue stufenmäßige Verstärkung des Wortes und Bildes erfährt, pko_017.028
so entsteht die Klimax 1) (Steigerung, Gradation), welche in der Regel pko_017.029
hyperbolisch schließt. „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, / Verderblich pko_017.030
ist des Tigers Zahn; / Jedoch der schrecklichste der Schrecken, / Das ist pko_017.031
der Mensch in seinem Wahn“ (Schiller: Lied von der Glocke).
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Die intensive Emphase des Ausrufs kann sich auch in die Form der pko_017.033
(sog. rhetorischen) Frage kleiden, die nicht eine noch unbekannte pko_017.034
Antwort heischt, sondern die — als selbstverständlich vorausgesetzte — pko_017.035
Zustimmung des Angeredeten, durch welche sich der Sprecher in der pko_017.036
eigenen Stimmung befestigen lassen will.
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