Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_015.001 pko_015.003 1. Das Wortspiel bedeutet für die sprachliche Form ganz dasselbe, was pko_015.004 Klangspiel mit Sinnspiel. Die einfachste und geläufigste Art des Wortspiels pko_015.010 ist der Reim. Man kann das Wortspiel aber auch ansehen als eine pko_015.011 Umkehrung der Metapher; wenn diese aus neuer Anschauung unmittelbar pko_015.012 neue Sprache schafft, so bezieht das Wortspiel neue Anschauung pko_015.013 mittelbar aus dem gegebenen Sprachmaterial, -- sie zieht die Dinge pko_015.014 durch das Medium der bereits geprägten sprachlichen Form. [Annotation] Die großen pko_015.015 Meister dieser Kunst heißen Shakespeare, Brentano, Heine, Nietzsche, pko_015.016 Karl Kraus. Leicht verfällt das Wortspiel, das bisweilen sehr geistreich, pko_015.017 ja tiefsinnig sein kann, in öde, charakterlose Witzelei (Saphir). Beispiele: pko_015.018 "Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, daß er ein Übergang pko_015.019 und ein Untergang ist"; "Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, pko_015.020 wo unser Kinder Land ist" (Nietzsche: Zarathustra). "Ein Schlachten pko_015.021 war's, nicht eine Schlacht zu nennen!" (Schiller: Jungfrau); "Die pko_015.022 Armee ... / Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg, / Wetzt pko_015.023 lieber den Schnabel als den Sabel, / ... Frißt den Ochsen lieber als den pko_015.024 Oxenstirn ... / Und das römische Reich -- daß Gott erbarm! / Sollte pko_015.025 jetzt heißen römisch Arm, / Der Rheinstrom ist worden zu einem pko_015.026 Peinstrom, / Die Klöster sind ausgenommene Nester, / Die Bistümer pko_015.027 sind verwandelt in Wüsttümer" (Schiller: Wallensteins Lager, Kapuzinerpredigt); pko_015.028 "Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, / Der ist pko_015.029 gewiß nicht von den Besten" (Goethe). pko_015.030 2. Das Wortspiel stellt die Fundamentalfigur aller übrigen akustischen pko_015.031 pko_015.001 pko_015.003 1. Das Wortspiel bedeutet für die sprachliche Form ganz dasselbe, was pko_015.004 Klangspiel mit Sinnspiel. Die einfachste und geläufigste Art des Wortspiels pko_015.010 ist der Reim. Man kann das Wortspiel aber auch ansehen als eine pko_015.011 Umkehrung der Metapher; wenn diese aus neuer Anschauung unmittelbar pko_015.012 neue Sprache schafft, so bezieht das Wortspiel neue Anschauung pko_015.013 mittelbar aus dem gegebenen Sprachmaterial, — sie zieht die Dinge pko_015.014 durch das Medium der bereits geprägten sprachlichen Form. [Annotation] Die großen pko_015.015 Meister dieser Kunst heißen Shakespeare, Brentano, Heine, Nietzsche, pko_015.016 Karl Kraus. Leicht verfällt das Wortspiel, das bisweilen sehr geistreich, pko_015.017 ja tiefsinnig sein kann, in öde, charakterlose Witzelei (Saphir). Beispiele: pko_015.018 „Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, daß er ein Übergang pko_015.019 und ein Untergang ist“; „Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, pko_015.020 wo unser Kinder Land ist“ (Nietzsche: Zarathustra). „Ein Schlachten pko_015.021 war's, nicht eine Schlacht zu nennen!“ (Schiller: Jungfrau); „Die pko_015.022 Armee ... / Kümmert sich mehr um den Krug als den Krieg, / Wetzt pko_015.023 lieber den Schnabel als den Sabel, / ... Frißt den Ochsen lieber als den pko_015.024 Oxenstirn ... / Und das römische Reich — daß Gott erbarm! / Sollte pko_015.025 jetzt heißen römisch Arm, / Der Rheinstrom ist worden zu einem pko_015.026 Peinstrom, / Die Klöster sind ausgenommene Nester, / Die Bistümer pko_015.027 sind verwandelt in Wüsttümer“ (Schiller: Wallensteins Lager, Kapuzinerpredigt); pko_015.028 „Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, / Der ist pko_015.029 gewiß nicht von den Besten“ (Goethe). pko_015.030 2. 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und schärfer machen. Gehören die Bilder dem Reich der Phantasie an, pko_015.002
so die Figuren dem des Gemüts oder des Verstandes.
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1. Das Wortspiel bedeutet für die sprachliche Form ganz dasselbe, was pko_015.004
die Metapher für den sprachlichen Inhalt; es verknüpft zwei bedeutungsmäßig pko_015.005
unterschiedene, aber gleichtönende Sprachsphären dergestalt, daß pko_015.006
Klangverwandtschaft sich mit Bedeutungsfremdheit eint; diese wird pko_015.007
aber vermittelst eines durch jene herausgeforderten Denkakts für den pko_015.008
einmaligen Fall in überraschender Weise aufgehoben. Wortspiel gewissermaßen als Parallelkategorie zur Metapher (Metapher als Tropus, Wortspiel als Figur) So verbindet sich pko_015.009
Klangspiel mit Sinnspiel. Die einfachste und geläufigste Art des Wortspiels pko_015.010
ist der Reim. Man kann das Wortspiel aber auch ansehen als eine pko_015.011
Umkehrung der Metapher; wenn diese aus neuer Anschauung unmittelbar pko_015.012
neue Sprache schafft, so bezieht das Wortspiel neue Anschauung pko_015.013
mittelbar aus dem gegebenen Sprachmaterial, — sie zieht die Dinge pko_015.014
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Meister dieser Kunst heißen Shakespeare, Brentano, Heine, Nietzsche, pko_015.016
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und ein Untergang ist“; „Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, pko_015.020
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war's, nicht eine Schlacht zu nennen!“ (Schiller: Jungfrau); „Die pko_015.022
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lieber den Schnabel als den Sabel, / ... Frißt den Ochsen lieber als den pko_015.024
Oxenstirn ... / Und das römische Reich — daß Gott erbarm! / Sollte pko_015.025
jetzt heißen römisch Arm, / Der Rheinstrom ist worden zu einem pko_015.026
Peinstrom, / Die Klöster sind ausgenommene Nester, / Die Bistümer pko_015.027
sind verwandelt in Wüsttümer“ (Schiller: Wallensteins Lager, Kapuzinerpredigt); pko_015.028
„Wer sich nicht selbst zum besten haben kann, / Der ist pko_015.029
gewiß nicht von den Besten“ (Goethe).
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2.Das Wortspiel stellt die Fundamentalfigur aller übrigen akustischen pko_015.031
Sprachfiguren vor, deren verbreitetste die Lautmalerei, Klangnachbildung pko_015.032
(Onomatopöie, griech. „Namenbildung“, sc. nach dem pko_015.033
Naturlaute) ist. Diese sucht über die begriffliche Wortbedeutung hinaus pko_015.034
durch den Wortklang selbst bestimmte Gehörs- (mitunter auch Gesichts-) pko_015.035
Vorstellungen wachzurufen. Solche schallnachahmenden Wörter sind in pko_015.036
allen Kultursprachen reich zu belegen und quellen stets aufs Neue aus pko_015.037
Kindersprache und Mundart (donnern, summen, miauen, kläffen, pko_015.038
zischen, knarren, ratschen, huschen, lispeln, wispern). Dennoch bleibt
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Zitationshilfe: | Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/19>, abgerufen am 22.07.2024. |