Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_012.001 pko_012.005 pko_012.012Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne pko_012.006 Sie noch einmal in's Aug, die schnellverschwindende, faßte, pko_012.007 Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens pko_012.008 Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet, pko_012.009 Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: pko_012.010 So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens pko_012.011 Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen (Goethe: Hermann und Dorothea). pko_012.013 (Jean Paul: Wutz). pko_012.019 pko_012.022 pko_012.028 pko_012.001 pko_012.005 pko_012.012Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne pko_012.006 Sie noch einmal in's Aug, die schnellverschwindende, faßte, pko_012.007 Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens pko_012.008 Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet, pko_012.009 Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: pko_012.010 So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens pko_012.011 Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen (Goethe: Hermann und Dorothea). pko_012.013 (Jean Paul: Wutz). pko_012.019 pko_012.022 pko_012.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0016" n="12"/><lb n="pko_012.001"/> eigentlich Gemeinten in keinem Zusammenhange stehen, so ergibt sich <lb n="pko_012.002"/> das Gleichnis. Solche breite Behaglichkeit entspricht vor allem dem <lb n="pko_012.003"/> epischen Stile, daher das Gleichnis dort besonders beliebt ist (Homer). <lb n="pko_012.004"/> Beispiel:</p> <lg> <lb n="pko_012.005"/> <l>Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne</l> <lb n="pko_012.006"/> <l>Sie noch einmal in's Aug, die schnellverschwindende, faßte,</l> <lb n="pko_012.007"/> <l>Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens</l> <lb n="pko_012.008"/> <l>Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet,</l> <lb n="pko_012.009"/> <l>Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben:</l> <lb n="pko_012.010"/> <l>So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens</l> <lb n="pko_012.011"/> <l>Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen</l> </lg> <lb n="pko_012.012"/> <p> <hi rendition="#right">(Goethe: Hermann und Dorothea).</hi> </p> <p><lb n="pko_012.013"/> „Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes <lb n="pko_012.014"/> Schulmeisterlein Wutz! Der stille laue Himmel eines Nachsommers <lb n="pko_012.015"/> ging nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben herum: <lb n="pko_012.016"/> deine Epochen waren die Schwankungen und dein Sterben war das <lb n="pko_012.017"/> Umlegen einer Lilie, deren Blätter auf stehende Blumen flattern“</p> <lb n="pko_012.018"/> <p> <hi rendition="#right">(Jean Paul: Wutz).</hi> </p> <p><lb n="pko_012.019"/> Weitet sich das Gleichnis zu selbständiger Handlung aus, die einen <lb n="pko_012.020"/> moralischen Sinn anschaulich gestaltet, so entsteht die <hi rendition="#i">Parabel</hi> (Neues <lb n="pko_012.021"/> Testament; Ring-Parabel in Lessings „Nathan“).</p> <p><lb n="pko_012.022"/> Tritt das Bild bei Wegfall der Vergleichspartikel (wie, als, gleich) <lb n="pko_012.023"/> unmittelbar dem Verglichenen an die Seite, so ergibt sich der verkürzte <lb n="pko_012.024"/> Vergleich. Beispiele: „Schwer und dumpfig, (wie) eine Wetterwolke, / <lb n="pko_012.025"/> Durch die grüne Ebene / Schwankt der Marsch“; „Einem ist sie (sc. die <lb n="pko_012.026"/> Wissenschaft) die (= wie eine) hohe, die himmlische Göttin, dem andern <lb n="pko_012.027"/> / (wie) Eine tüchtige Kuh, / die ihn mit Butter versorgt“ <hi rendition="#right">(Schiller).</hi></p> <p><lb n="pko_012.028"/> Die Bild-Sphäre, die bei Vergleichungen neben das Verglichene gestellt <lb n="pko_012.029"/> wird, muß festgehalten, es muß „im Bilde geblieben“ werden; dazu <lb n="pko_012.030"/> bedarf es innerer Anschauungskraft. Wo diese fehlt, geraten verschiedene <lb n="pko_012.031"/> (nicht wirklich gesehene) Bildlichkeiten durcheinander. Beispiel: „Laß <lb n="pko_012.032"/> nicht des Neides Zügel umnebeln deinen Geist“. <anchor xml:id="ko029"/> Solch fehlerhafter <lb n="pko_012.033"/> Bildersprung <hi rendition="#i">(Katachrése;</hi> griech. „Mißbrauch“, sc. des bildlichen Ausdrucks) <lb n="pko_012.034"/> stellt sich leicht dort ein, wo der ursprüngliche Anschauungsgehalt <lb n="pko_012.035"/> eines Wortes nicht mehr deutlich empfunden wird; daher ist <lb n="pko_012.036"/> gerade die mit verblaßten Metaphern übersättigte Alltagsrede voll <lb n="pko_012.037"/> Katachresen. <anchor xml:id="ko030"/> <note targetEnd="#ko030" type="metapher" ana="#m1-0-1-1" target="#ko029"/> <anchor xml:id="ko031"/> Z. B. „Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf“ (womit </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [12/0016]
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eigentlich Gemeinten in keinem Zusammenhange stehen, so ergibt sich pko_012.002
das Gleichnis. Solche breite Behaglichkeit entspricht vor allem dem pko_012.003
epischen Stile, daher das Gleichnis dort besonders beliebt ist (Homer). pko_012.004
Beispiel:
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Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne pko_012.006
Sie noch einmal in's Aug, die schnellverschwindende, faßte, pko_012.007
Dann im dunkeln Gebüsch und an der Seite des Felsens pko_012.008
Schweben siehet ihr Bild, wohin er die Blicke nur wendet, pko_012.009
Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: pko_012.010
So bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens pko_012.011
Sanft sich vorbei und schien dem Pfad in's Getreide zu folgen
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(Goethe: Hermann und Dorothea).
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„Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes pko_012.014
Schulmeisterlein Wutz! Der stille laue Himmel eines Nachsommers pko_012.015
ging nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben herum: pko_012.016
deine Epochen waren die Schwankungen und dein Sterben war das pko_012.017
Umlegen einer Lilie, deren Blätter auf stehende Blumen flattern“
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(Jean Paul: Wutz).
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Weitet sich das Gleichnis zu selbständiger Handlung aus, die einen pko_012.020
moralischen Sinn anschaulich gestaltet, so entsteht die Parabel (Neues pko_012.021
Testament; Ring-Parabel in Lessings „Nathan“).
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Tritt das Bild bei Wegfall der Vergleichspartikel (wie, als, gleich) pko_012.023
unmittelbar dem Verglichenen an die Seite, so ergibt sich der verkürzte pko_012.024
Vergleich. Beispiele: „Schwer und dumpfig, (wie) eine Wetterwolke, / pko_012.025
Durch die grüne Ebene / Schwankt der Marsch“; „Einem ist sie (sc. die pko_012.026
Wissenschaft) die (= wie eine) hohe, die himmlische Göttin, dem andern pko_012.027
/ (wie) Eine tüchtige Kuh, / die ihn mit Butter versorgt“ (Schiller).
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Die Bild-Sphäre, die bei Vergleichungen neben das Verglichene gestellt pko_012.029
wird, muß festgehalten, es muß „im Bilde geblieben“ werden; dazu pko_012.030
bedarf es innerer Anschauungskraft. Wo diese fehlt, geraten verschiedene pko_012.031
(nicht wirklich gesehene) Bildlichkeiten durcheinander. Beispiel: „Laß pko_012.032
nicht des Neides Zügel umnebeln deinen Geist“. Solch fehlerhafter pko_012.033
Bildersprung (Katachrése; griech. „Mißbrauch“, sc. des bildlichen Ausdrucks) pko_012.034
stellt sich leicht dort ein, wo der ursprüngliche Anschauungsgehalt pko_012.035
eines Wortes nicht mehr deutlich empfunden wird; daher ist pko_012.036
gerade die mit verblaßten Metaphern übersättigte Alltagsrede voll pko_012.037
Katachresen. Z. B. „Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf“ (womit
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Zitationshilfe: | Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/16>, abgerufen am 22.07.2024. |