Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949. pko_008.001 BESONDERER TEIL. pko_008.002 I. STILISTIK. pko_008.003 pko_008.011 pko_008.021 pko_008.022 A. BILDER. Das Bild ist der Ursprung wie aller Sprache so auch pko_008.023 1) pko_008.025
Das gilt vom einzelnen Wort wie von der mehrere Worte zusammenfassenden pko_008.026 Wendung. Poesie als kunstvolle Handhabung des Sprachmaterials nimmt diesen pko_008.027 Stoff jedoch nicht unbesehen auf, sondern wählt daraus, was künstlerischer Arbeit pko_008.028 besonders taugt. So betätigt sich dichterische Kunst vorzugsweise in der Wahl pko_008.029 des Ausdrucks. Diese kann entweder negativ sein, indem sie bestimmte -- unedle pko_008.030 (unhöfische), abgegriffene und überfeine -- Ausdrücke meidet (ebenso Fremdworte, pko_008.031 die aber bei mhd. und klassizistischen Poeten sogar beliebt sind), oder pko_008.032 positiv, indem sie geflissentlich solche Wörter sucht, welche die kunstmäßige Rede pko_008.033 von der abgebrauchten, glanz- und kraftlosen Alltagssprache abzuheben vermögen. pko_008.034 Man distanziert sich von ihr durch Wiederaufnahme schon außer pko_008.035 Gebrauch gesetzter Worte und Wortformen vergangener Sprachperioden (Archaismen), pko_008.036 oder man verjüngt ihr Gesicht durch mehr oder weniger kühne, mehr pko_008.037 oder weniger glückliche Neubildungen (Neologismen); diese bestehen teils aus neuartigen pko_008.038 Zusammensetzungen des gängigen Sprachmaterials, teils aus (der Schriftsprache pko_008.039 bisher noch fremden) Ausdrücken lokaler Mundart oder aus wirklich pko_008.040 neutönenden sprachschöpferischen Einfällen. pko_008.001 BESONDERER TEIL. pko_008.002 I. STILISTIK. pko_008.003 pko_008.011 pko_008.021 pko_008.022 A. BILDER. Das Bild ist der Ursprung wie aller Sprache so auch pko_008.023 1) pko_008.025
Das gilt vom einzelnen Wort wie von der mehrere Worte zusammenfassenden pko_008.026 Wendung. Poesie als kunstvolle Handhabung des Sprachmaterials nimmt diesen pko_008.027 Stoff jedoch nicht unbesehen auf, sondern wählt daraus, was künstlerischer Arbeit pko_008.028 besonders taugt. So betätigt sich dichterische Kunst vorzugsweise in der Wahl pko_008.029 des Ausdrucks. Diese kann entweder negativ sein, indem sie bestimmte — unedle pko_008.030 (unhöfische), abgegriffene und überfeine — Ausdrücke meidet (ebenso Fremdworte, pko_008.031 die aber bei mhd. und klassizistischen Poeten sogar beliebt sind), oder pko_008.032 positiv, indem sie geflissentlich solche Wörter sucht, welche die kunstmäßige Rede pko_008.033 von der abgebrauchten, glanz- und kraftlosen Alltagssprache abzuheben vermögen. pko_008.034 Man distanziert sich von ihr durch Wiederaufnahme schon außer pko_008.035 Gebrauch gesetzter Worte und Wortformen vergangener Sprachperioden (Archaismen), pko_008.036 oder man verjüngt ihr Gesicht durch mehr oder weniger kühne, mehr pko_008.037 oder weniger glückliche Neubildungen (Neologismen); diese bestehen teils aus neuartigen pko_008.038 Zusammensetzungen des gängigen Sprachmaterials, teils aus (der Schriftsprache pko_008.039 bisher noch fremden) Ausdrücken lokaler Mundart oder aus wirklich pko_008.040 neutönenden sprachschöpferischen Einfällen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0012" n="8"/> </div> <div n="2"> <head> <hi rendition="#c"> <lb n="pko_008.001"/> <hi rendition="#g">BESONDERER TEIL.</hi> </hi> </head> <div n="3"> <head> <hi rendition="#c"> <lb n="pko_008.002"/> <hi rendition="#aq">I. <hi rendition="#g">STILISTIK.</hi></hi> </hi> </head> <p><lb n="pko_008.003"/> Die Stilistik als Lehre von den schriftmäßigen Kunstformen der <lb n="pko_008.004"/> Sprache stellt sich eine doppelte Aufgabe; sie kann sein <hi rendition="#i">Stilschule,</hi> d. i. <lb n="pko_008.005"/> <hi rendition="#i">praktische</hi> Unterweisung in der Stilkunst zur Ausbildung des technischen <lb n="pko_008.006"/> Vermögens (Erziehung zum Schriftsteller), oder <hi rendition="#i">theoretische <lb n="pko_008.007"/> Stilkunde,</hi> d. i. systematische Beschreibung der im (nationalen wie weltliterarischen) <lb n="pko_008.008"/> Schrifttum entfalteten sprachkünstlerischen Formen, ihrer <lb n="pko_008.009"/> seelischen Ursachen und ästhetischen Wirkungen. Nur mit dieser hat es <lb n="pko_008.010"/> die Poetik zu tun.</p> <p><lb n="pko_008.011"/> Die psychologische Wissenschaft hat erkannt, daß in der dichterischen <lb n="pko_008.012"/> Veranlagung keinerlei ursachloses Wunder zutage tritt, sondern nur die <lb n="pko_008.013"/> besondere Steigerung allgemein-menschlicher Fähigkeiten; nur ein Gradunterschied, <lb n="pko_008.014"/> kein Wesensunterschied scheidet den Dichter vom Nichtdichter, <lb n="pko_008.015"/> die poetische Sprache von der Sprache überhaupt. Dichterische <lb n="pko_008.016"/> Sprache ist gesteigerte Sprache; also findet sich in ihr nur verstärkt, <lb n="pko_008.017"/> veredelt und vermehrt, was schon in der gewöhnlichsten Umgangsrede <lb n="pko_008.018"/> angelegt erscheint. Sämtliche Formen der bildlichen und figürlichen <lb n="pko_008.019"/> Redeweise des Dichters begegnen von Fall zu Fall auch im anspruchslosen <lb n="pko_008.020"/> Sprachverkehr des Alltags.<note xml:id="PKO_008_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_008.025"/> Das gilt vom einzelnen Wort wie von der mehrere Worte zusammenfassenden <lb n="pko_008.026"/> Wendung. Poesie als kunstvolle Handhabung des Sprachmaterials nimmt diesen <lb n="pko_008.027"/> Stoff jedoch nicht unbesehen auf, sondern wählt daraus, was künstlerischer Arbeit <lb n="pko_008.028"/> besonders taugt. So betätigt sich dichterische Kunst vorzugsweise in der Wahl <lb n="pko_008.029"/> des Ausdrucks. 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BESONDERER TEIL. pko_008.002
I. STILISTIK. pko_008.003
Die Stilistik als Lehre von den schriftmäßigen Kunstformen der pko_008.004
Sprache stellt sich eine doppelte Aufgabe; sie kann sein Stilschule, d. i. pko_008.005
praktische Unterweisung in der Stilkunst zur Ausbildung des technischen pko_008.006
Vermögens (Erziehung zum Schriftsteller), oder theoretische pko_008.007
Stilkunde, d. i. systematische Beschreibung der im (nationalen wie weltliterarischen) pko_008.008
Schrifttum entfalteten sprachkünstlerischen Formen, ihrer pko_008.009
seelischen Ursachen und ästhetischen Wirkungen. Nur mit dieser hat es pko_008.010
die Poetik zu tun.
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Die psychologische Wissenschaft hat erkannt, daß in der dichterischen pko_008.012
Veranlagung keinerlei ursachloses Wunder zutage tritt, sondern nur die pko_008.013
besondere Steigerung allgemein-menschlicher Fähigkeiten; nur ein Gradunterschied, pko_008.014
kein Wesensunterschied scheidet den Dichter vom Nichtdichter, pko_008.015
die poetische Sprache von der Sprache überhaupt. Dichterische pko_008.016
Sprache ist gesteigerte Sprache; also findet sich in ihr nur verstärkt, pko_008.017
veredelt und vermehrt, was schon in der gewöhnlichsten Umgangsrede pko_008.018
angelegt erscheint. Sämtliche Formen der bildlichen und figürlichen pko_008.019
Redeweise des Dichters begegnen von Fall zu Fall auch im anspruchslosen pko_008.020
Sprachverkehr des Alltags. 1)
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Bilder und Figuren.
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A. BILDER.Das Bild ist der Ursprung wie aller Sprache so auch pko_008.023
aller Dichtung; noch heute strotzt die gemeinste Verkehrssprache von pko_008.024
deutlichen Bildern, und jene Wörter, die unbildlich zu sein scheinen,
1) pko_008.025
Das gilt vom einzelnen Wort wie von der mehrere Worte zusammenfassenden pko_008.026
Wendung. Poesie als kunstvolle Handhabung des Sprachmaterials nimmt diesen pko_008.027
Stoff jedoch nicht unbesehen auf, sondern wählt daraus, was künstlerischer Arbeit pko_008.028
besonders taugt. So betätigt sich dichterische Kunst vorzugsweise in der Wahl pko_008.029
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(unhöfische), abgegriffene und überfeine — Ausdrücke meidet (ebenso Fremdworte, pko_008.031
die aber bei mhd. und klassizistischen Poeten sogar beliebt sind), oder pko_008.032
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von der abgebrauchten, glanz- und kraftlosen Alltagssprache abzuheben vermögen. pko_008.034
Man distanziert sich von ihr durch Wiederaufnahme schon außer pko_008.035
Gebrauch gesetzter Worte und Wortformen vergangener Sprachperioden (Archaismen), pko_008.036
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Zusammensetzungen des gängigen Sprachmaterials, teils aus (der Schriftsprache pko_008.039
bisher noch fremden) Ausdrücken lokaler Mundart oder aus wirklich pko_008.040
neutönenden sprachschöpferischen Einfällen.
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