drei höheren Sinnesorganen eine Einstülpung des Hornblattes eine Hauptrolle spielt.
Mit der Vereinigung der Mundbucht mit dem Vorderdarme sind die Veränderungen der Mundhöhle noch lange nicht beendet, viel- mehr erleidet dieselbe, die wir in diesem Stadium die "primitive Mundhöhle" heissen wollen, sowohl an der Mundöffnung bei der Bil- dung des Oberkieferrandes, als auch im Innern bei der Entwicklung des Gaumens noch namhafte Umwandlungen, welche jedoch alle in früheren Stunden schon besprochen wurden, auf welche ich Sie ver- weise (Vorl. XXIV und XXXI). Nur das sei hier noch bemerkt, dass mit dem die Mundhöhle auskleidenden Hornblatte bald auch eine oberflächliche Lage des mittleren Keimblattes innig sich vereint, welche dann beide zusammen die Schleimhaut der Mundhöhle dar- stellen.
In der Mundhöhle entwickeln sich die Zunge, die Zähne, die Speicheldrüsen nebst den kleinen drüsigen Organen, die man in den Zunge.Wänden der Schleimhaut findet. Was zuerst die Zunge anlangt, so wuchert dieselbe nach den Angaben von Reichert von den ver- einten Enden der Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens her- vor und erscheint beim Menschen in der sechsten Woche (s. Fig. 72 St. 134). Man beobachtet zunächst an der Mittellinie der inneren Fläche des ersten Kiemenbogens einen kleinen Wulst, die erste An- deutung der Zunge. Dieser Wulst wird immer grösser und breiter, so dass bald die Spitze desselben, der während seiner Wucherung allmälig auch die Form der Zunge annimmt, über den Rand des Unterkiefers hervorragt. Später bleibt die Zunge relativ im Wachs- thume zurück und zeigt dann überhaupt bald die bleibenden Ver- hältnisse, mit Bezug worauf ich Ihnen nur noch das mittheile, dass die Papillen schon im dritten Monate sich zu entwickeln beginnen, so jedoch, dass zuerst die Conicae und Circumvallatae deutlich werden.
Wenn ich Ihnen vorhin angab, dass die Zunge vom ersten Kie- menbogen aus sich entwickle, so versteht es sich von selbst, dass hiermit nicht der später verknorpelnde Theil desselben oder der Meckel'sche Knorpel, sondern ein nach innen von diesem gelegenes Blastem gemeint war, das später vorzüglich zum Genioglossus sich umbildet. Durch die Wucherung dieses Blastems, mit dem übrigens noch ein zweites vom Zungenbeine oder dem zweiten Kiemenbogen stammendes (der spätere Hyoglossus) sich verbindet, entsteht der Muskelkörper der Zunge, während der Ueberzug von der Schleimhaut
Vierunddreissigste Vorlesung.
drei höheren Sinnesorganen eine Einstülpung des Hornblattes eine Hauptrolle spielt.
Mit der Vereinigung der Mundbucht mit dem Vorderdarme sind die Veränderungen der Mundhöhle noch lange nicht beendet, viel- mehr erleidet dieselbe, die wir in diesem Stadium die «primitive Mundhöhle» heissen wollen, sowohl an der Mundöffnung bei der Bil- dung des Oberkieferrandes, als auch im Innern bei der Entwicklung des Gaumens noch namhafte Umwandlungen, welche jedoch alle in früheren Stunden schon besprochen wurden, auf welche ich Sie ver- weise (Vorl. XXIV und XXXI). Nur das sei hier noch bemerkt, dass mit dem die Mundhöhle auskleidenden Hornblatte bald auch eine oberflächliche Lage des mittleren Keimblattes innig sich vereint, welche dann beide zusammen die Schleimhaut der Mundhöhle dar- stellen.
In der Mundhöhle entwickeln sich die Zunge, die Zähne, die Speicheldrüsen nebst den kleinen drüsigen Organen, die man in den Zunge.Wänden der Schleimhaut findet. Was zuerst die Zunge anlangt, so wuchert dieselbe nach den Angaben von Reichert von den ver- einten Enden der Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens her- vor und erscheint beim Menschen in der sechsten Woche (s. Fig. 72 St. 134). Man beobachtet zunächst an der Mittellinie der inneren Fläche des ersten Kiemenbogens einen kleinen Wulst, die erste An- deutung der Zunge. Dieser Wulst wird immer grösser und breiter, so dass bald die Spitze desselben, der während seiner Wucherung allmälig auch die Form der Zunge annimmt, über den Rand des Unterkiefers hervorragt. Später bleibt die Zunge relativ im Wachs- thume zurück und zeigt dann überhaupt bald die bleibenden Ver- hältnisse, mit Bezug worauf ich Ihnen nur noch das mittheile, dass die Papillen schon im dritten Monate sich zu entwickeln beginnen, so jedoch, dass zuerst die Conicae und Circumvallatae deutlich werden.
Wenn ich Ihnen vorhin angab, dass die Zunge vom ersten Kie- menbogen aus sich entwickle, so versteht es sich von selbst, dass hiermit nicht der später verknorpelnde Theil desselben oder der Meckel’sche Knorpel, sondern ein nach innen von diesem gelegenes Blastem gemeint war, das später vorzüglich zum Genioglossus sich umbildet. Durch die Wucherung dieses Blastems, mit dem übrigens noch ein zweites vom Zungenbeine oder dem zweiten Kiemenbogen stammendes (der spätere Hyoglossus) sich verbindet, entsteht der Muskelkörper der Zunge, während der Ueberzug von der Schleimhaut
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Vierunddreissigste Vorlesung.
drei höheren Sinnesorganen eine Einstülpung des Hornblattes eine
Hauptrolle spielt.
Mit der Vereinigung der Mundbucht mit dem Vorderdarme sind
die Veränderungen der Mundhöhle noch lange nicht beendet, viel-
mehr erleidet dieselbe, die wir in diesem Stadium die «primitive
Mundhöhle» heissen wollen, sowohl an der Mundöffnung bei der Bil-
dung des Oberkieferrandes, als auch im Innern bei der Entwicklung
des Gaumens noch namhafte Umwandlungen, welche jedoch alle in
früheren Stunden schon besprochen wurden, auf welche ich Sie ver-
weise (Vorl. XXIV und XXXI). Nur das sei hier noch bemerkt, dass
mit dem die Mundhöhle auskleidenden Hornblatte bald auch eine
oberflächliche Lage des mittleren Keimblattes innig sich vereint,
welche dann beide zusammen die Schleimhaut der Mundhöhle dar-
stellen.
In der Mundhöhle entwickeln sich die Zunge, die Zähne, die
Speicheldrüsen nebst den kleinen drüsigen Organen, die man in den
Wänden der Schleimhaut findet. Was zuerst die Zunge anlangt,
so wuchert dieselbe nach den Angaben von Reichert von den ver-
einten Enden der Unterkieferfortsätze des ersten Kiemenbogens her-
vor und erscheint beim Menschen in der sechsten Woche (s. Fig. 72
St. 134). Man beobachtet zunächst an der Mittellinie der inneren
Fläche des ersten Kiemenbogens einen kleinen Wulst, die erste An-
deutung der Zunge. Dieser Wulst wird immer grösser und breiter,
so dass bald die Spitze desselben, der während seiner Wucherung
allmälig auch die Form der Zunge annimmt, über den Rand des
Unterkiefers hervorragt. Später bleibt die Zunge relativ im Wachs-
thume zurück und zeigt dann überhaupt bald die bleibenden Ver-
hältnisse, mit Bezug worauf ich Ihnen nur noch das mittheile, dass
die Papillen schon im dritten Monate sich zu entwickeln beginnen, so
jedoch, dass zuerst die Conicae und Circumvallatae deutlich werden.
Zunge.
Wenn ich Ihnen vorhin angab, dass die Zunge vom ersten Kie-
menbogen aus sich entwickle, so versteht es sich von selbst, dass
hiermit nicht der später verknorpelnde Theil desselben oder der
Meckel’sche Knorpel, sondern ein nach innen von diesem gelegenes
Blastem gemeint war, das später vorzüglich zum Genioglossus sich
umbildet. Durch die Wucherung dieses Blastems, mit dem übrigens
noch ein zweites vom Zungenbeine oder dem zweiten Kiemenbogen
stammendes (der spätere Hyoglossus) sich verbindet, entsteht der
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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/370>, abgerufen am 25.11.2024.
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