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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Neunundzwanzigste Vorlesung.
chen, der Haut und beim Auge speciell auch von der Cornea und
Retina, von welch' letzterer Thiersch in Erlangen namentlich den
grossen Gefässreichthum aufgedeckt hat (s. m. Mikr. Anat. Fig. 423).
So sehen wir, dass auch die ihrer Natur nach als Epidermisgebilde
nothwendig gefässlose Linse behufs ihres Wachsthums eine grosse
Menge von Blutgefässen erhält, die dann später, wenn das Organ
eine gewisse Entwicklung erreicht hat und sein rasches Wachsthum
aufhört, wieder vergehn. Nach Huschke (Eingeweidelehre St. 786)
wiegt die Linse beim sechszehn Wochen alten Kinde 123 Milligramm
und beim Erwachsenen nur 67 Milligr. mehr, nämlich 190 Milligr.,
woraus hinreichend ersichtlich ist, dass nach der Geburt ihr Wachs-
thum ein ungemein langsames ist.

Entwicklung
der gefässreichen
Kapsel.
Die Entwicklung und anatomische Bedeutung der gefässreichen
Kapsel der Linse ist bis jetzt noch kaum ins Auge gefasst worden.
Nach Schöler (l. c. St. 31) ist die Membrana pupillaris und capsulo-
pupillaris
der vordere Theil der Chorioidea, die anfänglich das ganze
Auge und somit auch die Linse umhüllt, dann aber beim Vogel mit
der Bildung der Iris vom Corpus ciliare aus schwindet. Bei dieser
Aufstellung wird jedoch ganz übersehen, dass der hintere Theil der
gefässreichen Linsenkapsel, der in keiner Weise auf die Chorioidea
zurückgeführt werden kann, mit den vorderen Theilen Eins ist, und
ist daher die Hypothese von Schöler von vorne herein als eine un-
genügende zu bezeichnen, ganz abgesehen davon, dass es auch für
die M. pupillaris und capsulo-pupillaris, die ja nirgends mit der Cho-
rioidea
zusammenhängen, ganz unmöglich ist sie auf diese Membran
zu beziehen. Meiner Ueberzeugung nach muss jede Erklärung der Bil-
dung der gefässreichen Linsenkapsel davon ausgehen, dass dieselbe
einen die Linse vollkommen umhüllenden Sack bildet und physio-
logisch zu derselben gehört, gewissermaassen das Ernährungsorgan
derselben bildet. Von diesem Standpuncte aus und gestützt auf die
Entwicklung der Linse und des Glaskörpers von der äusseren Haut
aus habe ich schon vor acht Jahren die Vermuthung ausgesprochen
(Mikr. Anat. II. St. 726, Handb. d. Gewebel. 3. Aufl. St. 653), dass
die gefässreiche Kapsel der Cutis entspreche, welche bei der Bildung
der Linse mit einem Theile der Epidermis von der Haut sich ablöse
und in das Auge gerathe. Der Glaskörper könne dann als modificir-
tes subcutanes Bindegewebe aufgefasst werden, womit seine Be-
schaffenheit bei Embryonen nicht übel stimme. An dieser Aufstel-
lung halte ich auch jetzt noch fest, obschon ich nicht verkenne, dass

Neunundzwanzigste Vorlesung.
chen, der Haut und beim Auge speciell auch von der Cornea und
Retina, von welch’ letzterer Thiersch in Erlangen namentlich den
grossen Gefässreichthum aufgedeckt hat (s. m. Mikr. Anat. Fig. 423).
So sehen wir, dass auch die ihrer Natur nach als Epidermisgebilde
nothwendig gefässlose Linse behufs ihres Wachsthums eine grosse
Menge von Blutgefässen erhält, die dann später, wenn das Organ
eine gewisse Entwicklung erreicht hat und sein rasches Wachsthum
aufhört, wieder vergehn. Nach Huschke (Eingeweidelehre St. 786)
wiegt die Linse beim sechszehn Wochen alten Kinde 123 Milligramm
und beim Erwachsenen nur 67 Milligr. mehr, nämlich 190 Milligr.,
woraus hinreichend ersichtlich ist, dass nach der Geburt ihr Wachs-
thum ein ungemein langsames ist.

Entwicklung
der gefässreichen
Kapsel.
Die Entwicklung und anatomische Bedeutung der gefässreichen
Kapsel der Linse ist bis jetzt noch kaum ins Auge gefasst worden.
Nach Schöler (l. c. St. 31) ist die Membrana pupillaris und capsulo-
pupillaris
der vordere Theil der Chorioidea, die anfänglich das ganze
Auge und somit auch die Linse umhüllt, dann aber beim Vogel mit
der Bildung der Iris vom Corpus ciliare aus schwindet. Bei dieser
Aufstellung wird jedoch ganz übersehen, dass der hintere Theil der
gefässreichen Linsenkapsel, der in keiner Weise auf die Chorioidea
zurückgeführt werden kann, mit den vorderen Theilen Eins ist, und
ist daher die Hypothese von Schöler von vorne herein als eine un-
genügende zu bezeichnen, ganz abgesehen davon, dass es auch für
die M. pupillaris und capsulo-pupillaris, die ja nirgends mit der Cho-
rioidea
zusammenhängen, ganz unmöglich ist sie auf diese Membran
zu beziehen. Meiner Ueberzeugung nach muss jede Erklärung der Bil-
dung der gefässreichen Linsenkapsel davon ausgehen, dass dieselbe
einen die Linse vollkommen umhüllenden Sack bildet und physio-
logisch zu derselben gehört, gewissermaassen das Ernährungsorgan
derselben bildet. Von diesem Standpuncte aus und gestützt auf die
Entwicklung der Linse und des Glaskörpers von der äusseren Haut
aus habe ich schon vor acht Jahren die Vermuthung ausgesprochen
(Mikr. Anat. II. St. 726, Handb. d. Gewebel. 3. Aufl. St. 653), dass
die gefässreiche Kapsel der Cutis entspreche, welche bei der Bildung
der Linse mit einem Theile der Epidermis von der Haut sich ablöse
und in das Auge gerathe. Der Glaskörper könne dann als modificir-
tes subcutanes Bindegewebe aufgefasst werden, womit seine Be-
schaffenheit bei Embryonen nicht übel stimme. An dieser Aufstel-
lung halte ich auch jetzt noch fest, obschon ich nicht verkenne, dass

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[296/0312] Neunundzwanzigste Vorlesung. chen, der Haut und beim Auge speciell auch von der Cornea und Retina, von welch’ letzterer Thiersch in Erlangen namentlich den grossen Gefässreichthum aufgedeckt hat (s. m. Mikr. Anat. Fig. 423). So sehen wir, dass auch die ihrer Natur nach als Epidermisgebilde nothwendig gefässlose Linse behufs ihres Wachsthums eine grosse Menge von Blutgefässen erhält, die dann später, wenn das Organ eine gewisse Entwicklung erreicht hat und sein rasches Wachsthum aufhört, wieder vergehn. Nach Huschke (Eingeweidelehre St. 786) wiegt die Linse beim sechszehn Wochen alten Kinde 123 Milligramm und beim Erwachsenen nur 67 Milligr. mehr, nämlich 190 Milligr., woraus hinreichend ersichtlich ist, dass nach der Geburt ihr Wachs- thum ein ungemein langsames ist. Die Entwicklung und anatomische Bedeutung der gefässreichen Kapsel der Linse ist bis jetzt noch kaum ins Auge gefasst worden. Nach Schöler (l. c. St. 31) ist die Membrana pupillaris und capsulo- pupillaris der vordere Theil der Chorioidea, die anfänglich das ganze Auge und somit auch die Linse umhüllt, dann aber beim Vogel mit der Bildung der Iris vom Corpus ciliare aus schwindet. Bei dieser Aufstellung wird jedoch ganz übersehen, dass der hintere Theil der gefässreichen Linsenkapsel, der in keiner Weise auf die Chorioidea zurückgeführt werden kann, mit den vorderen Theilen Eins ist, und ist daher die Hypothese von Schöler von vorne herein als eine un- genügende zu bezeichnen, ganz abgesehen davon, dass es auch für die M. pupillaris und capsulo-pupillaris, die ja nirgends mit der Cho- rioidea zusammenhängen, ganz unmöglich ist sie auf diese Membran zu beziehen. Meiner Ueberzeugung nach muss jede Erklärung der Bil- dung der gefässreichen Linsenkapsel davon ausgehen, dass dieselbe einen die Linse vollkommen umhüllenden Sack bildet und physio- logisch zu derselben gehört, gewissermaassen das Ernährungsorgan derselben bildet. Von diesem Standpuncte aus und gestützt auf die Entwicklung der Linse und des Glaskörpers von der äusseren Haut aus habe ich schon vor acht Jahren die Vermuthung ausgesprochen (Mikr. Anat. II. St. 726, Handb. d. Gewebel. 3. Aufl. St. 653), dass die gefässreiche Kapsel der Cutis entspreche, welche bei der Bildung der Linse mit einem Theile der Epidermis von der Haut sich ablöse und in das Auge gerathe. Der Glaskörper könne dann als modificir- tes subcutanes Bindegewebe aufgefasst werden, womit seine Be- schaffenheit bei Embryonen nicht übel stimme. An dieser Aufstel- lung halte ich auch jetzt noch fest, obschon ich nicht verkenne, dass Entwicklung der gefässreichen Kapsel.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/312>, abgerufen am 18.05.2024.