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Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897.

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U. Köhler:


sich nicht auf die Formen des Bodens und die Überreste des geschicht-
lichen Lebens auf der Oberfläche; während des mehrjährigen Aufenthaltes
in Griechenland war ihm die Erkenntniss aufgegangen, dass unter dem
Boden Schätze der Erlösung harrten und dass der gelehrten Forschung die
experimentirende, wie er sich ein Mal ausdrückt, zur Seite gehen müsse.
Im Anfang des Jahres 1852 hatte Curtius vor einem auserlesenen
Kreise von Zuhörern seinen Vortrag über Olympia gehalten, in welchem
er am Schlusse, anknüpfend an Winckelmann, die Aufdeckung dieser
alten Feststätte mit der ihm eigenen Beredsamkeit als eine unabweisliche
Forderung der Wissenschaft hinstellte. Seitdem hat er unermüdlich in
diesem Sinne gewirkt. Als am 23. October 1869 der damalige Kronprinz
Friedrich Wilhelm im Strahle der griechischen Morgensonne, selbst strah-
lend in männlicher Schönheit und fürstlicher Würde, vor den Säulen des
Erechtheion stand, äusserte er, nachdem ihm zu Theil geworden sei, die
Akropolis von Athen durch den Augenschein kennen zu lernen, sei in ihm
der Wunsch, Olympia möge ausgegraben werden, aufs Höchste gewachsen;
einer der Begleiter des Prinzen erhielt den Befehl, seinen Herrn nach der
Rückkehr in das königliche Schloss daran zu erinnern, ein Telegramm an
Curtius zu richten. Das bedarf keiner Erläuterung. In Erfüllung gehen
sollte der Wunsch des Kronprinzen erst nach der Aufrichtung des deutschen
Reiches. Dem Sinne Kaiser Wilhelm's I. musste die Motivirung, auf die
Thaten und Errungenschaften des grossen Krieges ein Friedenswerk folgen
zu lassen, an welchem ideell die gebildeten Kreise aller Nationen Theil
hätten, besonders zusagen; der Fürst-Reichskanzler lieh dem Unternehmen
seinen starken Arm und die gewählten Vertreter des deutschen Volkes gaben
einmüthig ihre Zustimmung. Nachdem die erforderlichen Unterhandlungen
mit der griechischen Regierung zu Ende geführt waren, konnten im Herbst
1875 die Ausgrabungen beginnen. Die oberste Leitung des Unternehmens
hatten Curtius und Friedrich Adler übernommen; die Leitung der Ar-
beiten an Ort und Stelle wurde während der sechsjährigen Dauer von einer
Reihe von wissenschaftlich oder technisch geschulten jüngeren Männern,
meist Schüler des einen oder des anderen der beiden obersten Leiter, ver-
sehen. Das harmonische Zusammenwirken der in Olympia versammelten
Arbeitsgenossen gereichte Curtius zu besonderer Freude. Von den Ergeb-
nissen der Ausgrabungen brauche ich nicht zu sprechen; nicht mit Unrecht
ist gesagt worden, die Auffindung des Hermes des Praxiteles allein habe


U. Köhler:


sich nicht auf die Formen des Bodens und die Überreste des geschicht-
lichen Lebens auf der Oberfläche; während des mehrjährigen Aufenthaltes
in Griechenland war ihm die Erkenntniſs aufgegangen, daſs unter dem
Boden Schätze der Erlösung harrten und daſs der gelehrten Forschung die
experimentirende, wie er sich ein Mal ausdrückt, zur Seite gehen müsse.
Im Anfang des Jahres 1852 hatte Curtius vor einem auserlesenen
Kreise von Zuhörern seinen Vortrag über Olympia gehalten, in welchem
er am Schlusse, anknüpfend an Winckelmann, die Aufdeckung dieser
alten Feststätte mit der ihm eigenen Beredsamkeit als eine unabweisliche
Forderung der Wissenschaft hinstellte. Seitdem hat er unermüdlich in
diesem Sinne gewirkt. Als am 23. October 1869 der damalige Kronprinz
Friedrich Wilhelm im Strahle der griechischen Morgensonne, selbst strah-
lend in männlicher Schönheit und fürstlicher Würde, vor den Säulen des
Erechtheion stand, äuſserte er, nachdem ihm zu Theil geworden sei, die
Akropolis von Athen durch den Augenschein kennen zu lernen, sei in ihm
der Wunsch, Olympia möge ausgegraben werden, aufs Höchste gewachsen;
einer der Begleiter des Prinzen erhielt den Befehl, seinen Herrn nach der
Rückkehr in das königliche Schloſs daran zu erinnern, ein Telegramm an
Curtius zu richten. Das bedarf keiner Erläuterung. In Erfüllung gehen
sollte der Wunsch des Kronprinzen erst nach der Aufrichtung des deutschen
Reiches. Dem Sinne Kaiser Wilhelm’s I. muſste die Motivirung, auf die
Thaten und Errungenschaften des groſsen Krieges ein Friedenswerk folgen
zu lassen, an welchem ideell die gebildeten Kreise aller Nationen Theil
hätten, besonders zusagen; der Fürst-Reichskanzler lieh dem Unternehmen
seinen starken Arm und die gewählten Vertreter des deutschen Volkes gaben
einmüthig ihre Zustimmung. Nachdem die erforderlichen Unterhandlungen
mit der griechischen Regierung zu Ende geführt waren, konnten im Herbst
1875 die Ausgrabungen beginnen. Die oberste Leitung des Unternehmens
hatten Curtius und Friedrich Adler übernommen; die Leitung der Ar-
beiten an Ort und Stelle wurde während der sechsjährigen Dauer von einer
Reihe von wissenschaftlich oder technisch geschulten jüngeren Männern,
meist Schüler des einen oder des anderen der beiden obersten Leiter, ver-
sehen. Das harmonische Zusammenwirken der in Olympia versammelten
Arbeitsgenossen gereichte Curtius zu besonderer Freude. Von den Ergeb-
nissen der Ausgrabungen brauche ich nicht zu sprechen; nicht mit Unrecht
ist gesagt worden, die Auffindung des Hermes des Praxiteles allein habe

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[14/0014] U. Köhler: 12 sich nicht auf die Formen des Bodens und die Überreste des geschicht- lichen Lebens auf der Oberfläche; während des mehrjährigen Aufenthaltes in Griechenland war ihm die Erkenntniſs aufgegangen, daſs unter dem Boden Schätze der Erlösung harrten und daſs der gelehrten Forschung die experimentirende, wie er sich ein Mal ausdrückt, zur Seite gehen müsse. Im Anfang des Jahres 1852 hatte Curtius vor einem auserlesenen Kreise von Zuhörern seinen Vortrag über Olympia gehalten, in welchem er am Schlusse, anknüpfend an Winckelmann, die Aufdeckung dieser alten Feststätte mit der ihm eigenen Beredsamkeit als eine unabweisliche Forderung der Wissenschaft hinstellte. Seitdem hat er unermüdlich in diesem Sinne gewirkt. Als am 23. October 1869 der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm im Strahle der griechischen Morgensonne, selbst strah- lend in männlicher Schönheit und fürstlicher Würde, vor den Säulen des Erechtheion stand, äuſserte er, nachdem ihm zu Theil geworden sei, die Akropolis von Athen durch den Augenschein kennen zu lernen, sei in ihm der Wunsch, Olympia möge ausgegraben werden, aufs Höchste gewachsen; einer der Begleiter des Prinzen erhielt den Befehl, seinen Herrn nach der Rückkehr in das königliche Schloſs daran zu erinnern, ein Telegramm an Curtius zu richten. Das bedarf keiner Erläuterung. In Erfüllung gehen sollte der Wunsch des Kronprinzen erst nach der Aufrichtung des deutschen Reiches. Dem Sinne Kaiser Wilhelm’s I. muſste die Motivirung, auf die Thaten und Errungenschaften des groſsen Krieges ein Friedenswerk folgen zu lassen, an welchem ideell die gebildeten Kreise aller Nationen Theil hätten, besonders zusagen; der Fürst-Reichskanzler lieh dem Unternehmen seinen starken Arm und die gewählten Vertreter des deutschen Volkes gaben einmüthig ihre Zustimmung. Nachdem die erforderlichen Unterhandlungen mit der griechischen Regierung zu Ende geführt waren, konnten im Herbst 1875 die Ausgrabungen beginnen. Die oberste Leitung des Unternehmens hatten Curtius und Friedrich Adler übernommen; die Leitung der Ar- beiten an Ort und Stelle wurde während der sechsjährigen Dauer von einer Reihe von wissenschaftlich oder technisch geschulten jüngeren Männern, meist Schüler des einen oder des anderen der beiden obersten Leiter, ver- sehen. Das harmonische Zusammenwirken der in Olympia versammelten Arbeitsgenossen gereichte Curtius zu besonderer Freude. Von den Ergeb- nissen der Ausgrabungen brauche ich nicht zu sprechen; nicht mit Unrecht ist gesagt worden, die Auffindung des Hermes des Praxiteles allein habe

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Zitationshilfe: Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koehler_curtius_1897/14>, abgerufen am 28.04.2024.