er ging schweigend und duldend zum Ort seiner Bestimmung. Ein Glük war es für ihn, daß der Hauptmann unter dessen Kompagnie er kam, ein edler Menschenfreund war. Er hörte seine Geschichte, begegnete ihm liebreich, bemitleidete ihn, und da er Fähigkeiten und Talente bei ihm fand, und ihm seinen Stand minder beschwer- lich machen wollte, so nahm er ihn zu sich -- ge- wis hätte er ihn auch seiner Familie wiederge- schenkt, wenn nicht der Tod plözlich seine Tage verkürzt hätte. Seldau folgte trostlos der Leiche seines Wohlthäters, und wischte grosse Tropfen vom rotgeweinten Auge.
Nun muste er den Dienst seiner Kameraden verrichten, und da er mehr auf sich hielt, als an ihren Mut[w]illen und Thorheiten Teil zu neh- men, so sah er sich oft ihrem Gelächter und Spott ausgesezt. Wie sehr mußte dies ein edles Herz kränken -- wie sehr mußte es gebeugt wer- den! Aber es warteten noch härtere Prüfungen auf ihn. Er kam als Aufwärter bei einem jun- gen Officier des Regiments, dessen Karakter meinen Lesern in all' seiner Abschenlichkeit aufzudekken, mein Pinsel ermattet. Kurz, kein Fünkchen der Menschheit loderte bei ihm auf.
er ging ſchweigend und duldend zum Ort ſeiner Beſtimmung. Ein Gluͤk war es fuͤr ihn, daß der Hauptmann unter deſſen Kompagnie er kam, ein edler Menſchenfreund war. Er hoͤrte ſeine Geſchichte, begegnete ihm liebreich, bemitleidete ihn, und da er Faͤhigkeiten und Talente bei ihm fand, und ihm ſeinen Stand minder beſchwer- lich machen wollte, ſo nahm er ihn zu ſich — ge- wis haͤtte er ihn auch ſeiner Familie wiederge- ſchenkt, wenn nicht der Tod ploͤzlich ſeine Tage verkuͤrzt haͤtte. Seldau folgte troſtlos der Leiche ſeines Wohlthaͤters, und wiſchte groſſe Tropfen vom rotgeweinten Auge.
Nun muſte er den Dienſt ſeiner Kameraden verrichten, und da er mehr auf ſich hielt, als an ihren Mut[w]illen und Thorheiten Teil zu neh- men, ſo ſah er ſich oft ihrem Gelaͤchter und Spott ausgeſezt. Wie ſehr mußte dies ein edles Herz kraͤnken — wie ſehr mußte es gebeugt wer- den! Aber es warteten noch haͤrtere Pruͤfungen auf ihn. Er kam als Aufwaͤrter bei einem jun- gen Officier des Regiments, deſſen Karakter meinen Leſern in all’ ſeiner Abſchenlichkeit aufzudekken, mein Pinſel ermattet. Kurz, kein Fuͤnkchen der Menſchheit loderte bei ihm auf.
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er ging ſchweigend und duldend zum Ort ſeiner
Beſtimmung. Ein Gluͤk war es fuͤr ihn, daß
der Hauptmann unter deſſen Kompagnie er kam,
ein edler Menſchenfreund war. Er hoͤrte ſeine
Geſchichte, begegnete ihm liebreich, bemitleidete
ihn, und da er Faͤhigkeiten und Talente bei ihm
fand, und ihm ſeinen Stand minder beſchwer-
lich machen wollte, ſo nahm er ihn zu ſich — ge-
wis haͤtte er ihn auch ſeiner Familie wiederge-
ſchenkt, wenn nicht der Tod ploͤzlich ſeine Tage
verkuͤrzt haͤtte. Seldau folgte troſtlos der Leiche
ſeines Wohlthaͤters, und wiſchte groſſe Tropfen
vom rotgeweinten Auge.
Nun muſte er den Dienſt ſeiner Kameraden
verrichten, und da er mehr auf ſich hielt, als an
ihren Mutwillen und Thorheiten Teil zu neh-
men, ſo ſah er ſich oft ihrem Gelaͤchter und
Spott ausgeſezt. Wie ſehr mußte dies ein edles
Herz kraͤnken — wie ſehr mußte es gebeugt wer-
den! Aber es warteten noch haͤrtere Pruͤfungen
auf ihn. Er kam als Aufwaͤrter bei einem jun-
gen Officier des Regiments, deſſen Karakter
meinen Leſern in all’ ſeiner Abſchenlichkeit
aufzudekken, mein Pinſel ermattet. Kurz, kein
Fuͤnkchen der Menſchheit loderte bei ihm auf.
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/46>, abgerufen am 23.11.2024.
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