schuld und Friede verlebt -- Eine gute Beute für den Werber. Man suchte ihn mit List zu über- reden, und da man ihn ins Garn gelokt, so daß er sich aus den Schlingen nicht mehr heraus- wikkeln konnte, so gab man ihm sechzig Tha- ler Handgeld, um seinen Vater zu retten. Er nahm dies Blutgeld -- befriedigte den Gläu- biger, und sein Vater ward seines Gefängnisses entlassen. Aber wie entsezte sich der Greis, da er sahe, wie theuer das Lösegeld war! Was half ihm die Freiheit, da er die einzige Stüzze seines Alters verlor -- da man ihm den Trost seiner Jahre, sein liebstes Kind entriß? -- Noch lag er schluchzend an seinem Halse, und fühlte die Weh- mut des Scheidens, wie sie ein solcher Vater fühlen konnte; man riß ihn fort -- Er jam- merte laut, gebt mir meinen Sohn wieder, man stieß ihn zurük und schlepte den Jüngling mehr tod als lebendig weg.
Seinen Geschwistern ein Lebewol zu stam- meln -- den Ort, wo er seine Tage in Unschuld und Freude verlebt, noch einmal zu sehen, und zu segnen, auch dies ward ihm nicht einmal. Man begegnete ihm hart und grausam, lachte sei- ner Tränen, verspottete und höhnte ihn, und
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ſchuld und Friede verlebt — Eine gute Beute fuͤr den Werber. Man ſuchte ihn mit Liſt zu uͤber- reden, und da man ihn ins Garn gelokt, ſo daß er ſich aus den Schlingen nicht mehr heraus- wikkeln konnte, ſo gab man ihm ſechzig Tha- ler Handgeld, um ſeinen Vater zu retten. Er nahm dies Blutgeld — befriedigte den Glaͤu- biger, und ſein Vater ward ſeines Gefaͤngniſſes entlaſſen. Aber wie entſezte ſich der Greis, da er ſahe, wie theuer das Loͤſegeld war! Was half ihm die Freiheit, da er die einzige Stuͤzze ſeines Alters verlor — da man ihm den Troſt ſeiner Jahre, ſein liebſtes Kind entriß? — Noch lag er ſchluchzend an ſeinem Halſe, und fuͤhlte die Weh- mut des Scheidens, wie ſie ein ſolcher Vater fuͤhlen konnte; man riß ihn fort — Er jam- merte laut, gebt mir meinen Sohn wieder, man ſtieß ihn zuruͤk und ſchlepte den Juͤngling mehr tod als lebendig weg.
Seinen Geſchwiſtern ein Lebewol zu ſtam- meln — den Ort, wo er ſeine Tage in Unſchuld und Freude verlebt, noch einmal zu ſehen, und zu ſegnen, auch dies ward ihm nicht einmal. Man begegnete ihm hart und grauſam, lachte ſei- ner Traͤnen, verſpottete und hoͤhnte ihn, und
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ſchuld und Friede verlebt — Eine gute Beute fuͤr
den Werber. Man ſuchte ihn mit Liſt zu uͤber-
reden, und da man ihn ins Garn gelokt, ſo
daß er ſich aus den Schlingen nicht mehr heraus-
wikkeln konnte, ſo gab man ihm ſechzig Tha-
ler Handgeld, um ſeinen Vater zu retten. Er
nahm dies Blutgeld — befriedigte den Glaͤu-
biger, und ſein Vater ward ſeines Gefaͤngniſſes
entlaſſen. Aber wie entſezte ſich der Greis, da
er ſahe, wie theuer das Loͤſegeld war! Was half
ihm die Freiheit, da er die einzige Stuͤzze ſeines
Alters verlor — da man ihm den Troſt ſeiner
Jahre, ſein liebſtes Kind entriß? — Noch lag er
ſchluchzend an ſeinem Halſe, und fuͤhlte die Weh-
mut des Scheidens, wie ſie ein ſolcher Vater
fuͤhlen konnte; man riß ihn fort — Er jam-
merte laut, gebt mir meinen Sohn wieder,
man ſtieß ihn zuruͤk und ſchlepte den Juͤngling
mehr tod als lebendig weg.
Seinen Geſchwiſtern ein Lebewol zu ſtam-
meln — den Ort, wo er ſeine Tage in Unſchuld
und Freude verlebt, noch einmal zu ſehen, und
zu ſegnen, auch dies ward ihm nicht einmal.
Man begegnete ihm hart und grauſam, lachte ſei-
ner Traͤnen, verſpottete und hoͤhnte ihn, und
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/45>, abgerufen am 23.11.2024.
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