des Wanderers, und kehrt den Stachel wider sei- nen Verderber. Und der Mensch, der Herr der Schöpfung, sollte dieses Vorrecht nicht haben?
Jch will euch eine Geschichte niederschrei- ben, die eure Stirne röthen soll, nicht ein Spiel der Fantasie, nein Warheit, wie man sie immer noch auf deutschem Boden findet.
Friedrich Seldau war der Sohn eines be- güterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine solche zwekmässige Erziehung gab, wie er in dem engen Kreise seines Lebens bedurfte. Eine un- glükliche Feuersbrunst legte den Wohnsiz des Grei- ses in die Asche, und er sah sich mit sechs zum Teil unerzogenen Kindern in die äusserste Armut versezt, ja was noch mehr, ein harter Gläubi- ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefängnis werfen. Friedrich Seldau fühlte die Pflichten eines Sohnes, warf sich zu den Füssen des Gläubigers, und flehte um Erbarmen für seinen alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte nicht in dem Herzen dieses Unmenschen, sondern er war tükkisch genug den jungen Menschen in die Hände der Werber zu überliefern. Sel- dau war wolgewachsen, in der Blüte der Ju- gend -- Zwanzig Frühlinge hatte er erst in Un-
des Wanderers, und kehrt den Stachel wider ſei- nen Verderber. Und der Menſch, der Herr der Schoͤpfung, ſollte dieſes Vorrecht nicht haben?
Jch will euch eine Geſchichte niederſchrei- ben, die eure Stirne roͤthen ſoll, nicht ein Spiel der Fantaſie, nein Warheit, wie man ſie immer noch auf deutſchem Boden findet.
Friedrich Seldau war der Sohn eines be- guͤterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine ſolche zwekmaͤſſige Erziehung gab, wie er in dem engen Kreiſe ſeines Lebens bedurfte. Eine un- gluͤkliche Feuersbrunſt legte den Wohnſiz des Grei- ſes in die Aſche, und er ſah ſich mit ſechs zum Teil unerzogenen Kindern in die aͤuſſerſte Armut verſezt, ja was noch mehr, ein harter Glaͤubi- ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefaͤngnis werfen. Friedrich Seldau fuͤhlte die Pflichten eines Sohnes, warf ſich zu den Fuͤſſen des Glaͤubigers, und flehte um Erbarmen fuͤr ſeinen alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte nicht in dem Herzen dieſes Unmenſchen, ſondern er war tuͤkkiſch genug den jungen Menſchen in die Haͤnde der Werber zu uͤberliefern. Sel- dau war wolgewachſen, in der Bluͤte der Ju- gend — Zwanzig Fruͤhlinge hatte er erſt in Un-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0044"n="36"/>
des Wanderers, und kehrt den Stachel wider ſei-<lb/>
nen Verderber. Und der Menſch, der Herr der<lb/>
Schoͤpfung, ſollte dieſes Vorrecht nicht haben?</p><lb/><p>Jch will <hirendition="#fr">euch</hi> eine Geſchichte niederſchrei-<lb/>
ben, die eure Stirne roͤthen ſoll, nicht ein Spiel<lb/>
der Fantaſie, nein Warheit, wie man ſie immer<lb/>
noch auf deutſchem Boden findet.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Friedrich Seldau</hi> war der Sohn eines be-<lb/>
guͤterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine<lb/>ſolche zwekmaͤſſige Erziehung gab, wie er in dem<lb/>
engen Kreiſe ſeines Lebens bedurfte. Eine un-<lb/>
gluͤkliche Feuersbrunſt legte den Wohnſiz des Grei-<lb/>ſes in die Aſche, und er ſah ſich mit ſechs zum<lb/>
Teil unerzogenen Kindern in die aͤuſſerſte Armut<lb/>
verſezt, ja was noch mehr, ein harter Glaͤubi-<lb/>
ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefaͤngnis<lb/>
werfen. <hirendition="#fr">Friedrich Seldau</hi> fuͤhlte die Pflichten<lb/>
eines Sohnes, warf ſich zu den Fuͤſſen des<lb/>
Glaͤubigers, und flehte um Erbarmen fuͤr ſeinen<lb/>
alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte<lb/>
nicht in dem Herzen dieſes Unmenſchen, ſondern<lb/>
er war tuͤkkiſch genug den jungen Menſchen in<lb/>
die Haͤnde der Werber zu uͤberliefern. <hirendition="#fr">Sel-<lb/>
dau</hi> war wolgewachſen, in der Bluͤte der Ju-<lb/>
gend — Zwanzig Fruͤhlinge hatte er erſt in Un-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[36/0044]
des Wanderers, und kehrt den Stachel wider ſei-
nen Verderber. Und der Menſch, der Herr der
Schoͤpfung, ſollte dieſes Vorrecht nicht haben?
Jch will euch eine Geſchichte niederſchrei-
ben, die eure Stirne roͤthen ſoll, nicht ein Spiel
der Fantaſie, nein Warheit, wie man ſie immer
noch auf deutſchem Boden findet.
Friedrich Seldau war der Sohn eines be-
guͤterten Landmanns in Schwaben, der ihm eine
ſolche zwekmaͤſſige Erziehung gab, wie er in dem
engen Kreiſe ſeines Lebens bedurfte. Eine un-
gluͤkliche Feuersbrunſt legte den Wohnſiz des Grei-
ſes in die Aſche, und er ſah ſich mit ſechs zum
Teil unerzogenen Kindern in die aͤuſſerſte Armut
verſezt, ja was noch mehr, ein harter Glaͤubi-
ger lies ihn um funfzig Thaler ins Gefaͤngnis
werfen. Friedrich Seldau fuͤhlte die Pflichten
eines Sohnes, warf ſich zu den Fuͤſſen des
Glaͤubigers, und flehte um Erbarmen fuͤr ſeinen
alten kranken Vater; aber das Mitleid wohnte
nicht in dem Herzen dieſes Unmenſchen, ſondern
er war tuͤkkiſch genug den jungen Menſchen in
die Haͤnde der Werber zu uͤberliefern. Sel-
dau war wolgewachſen, in der Bluͤte der Ju-
gend — Zwanzig Fruͤhlinge hatte er erſt in Un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/44>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.