Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

der sich vom Aberglauben unterjochen, und von
Heuchlern beherrschen läßt -- --

Doch laßt uns noch eine anderere Szene be-
trachten. Unsere biedere Ahnherren waren keusch
und züchtig, und sezten in Ausübung der Keusch-
heit ihren Ruhm und Grösse; wir aber, mit hel-
len aufgeklärten Begriffen, kennen das Wort
nicht mehr, und haben die Keuschheit aus unsern
Grenzen verbannt. Eheliche Treue ist zum Mär-
chen bei uns herabgesunken, an das nur noch der
Pöbel in Hütten glaubt, wir sezzen uns über
die seichten Begriffe der Treue weg, und suchen
jezt sogar Polygamien einzuführen, und Ehe-
verbindungen zu blossen Verträgen her-
abzusezzen, die ohne Mitwürkung der
Religion sancirt werden sollen.

Unsere Jugend rühmt sich der unrühmlichen
Siege, die sie auf dem Pfade der Wollust er-
kämpfet, errötet nicht, Töne zu stammeln, dafür
der Tahitische Bewoner sich entsezzen würde.
Ohne Grundsäzze in die Welt gesezt, wälzt sie
sich auf dem üppigen Lager der Wollust und Un-
zucht, schwelgt am Male der Ueppigkeit und
Völlerei, bis der entnervte Bau des Körpers
sinkt, und das wankende Skelet siech und athem-

B 4

der ſich vom Aberglauben unterjochen, und von
Heuchlern beherrſchen laͤßt — —

Doch laßt uns noch eine anderere Szene be-
trachten. Unſere biedere Ahnherren waren keuſch
und zuͤchtig, und ſezten in Ausuͤbung der Keuſch-
heit ihren Ruhm und Groͤſſe; wir aber, mit hel-
len aufgeklaͤrten Begriffen, kennen das Wort
nicht mehr, und haben die Keuſchheit aus unſern
Grenzen verbannt. Eheliche Treue iſt zum Maͤr-
chen bei uns herabgeſunken, an das nur noch der
Poͤbel in Huͤtten glaubt, wir ſezzen uns uͤber
die ſeichten Begriffe der Treue weg, und ſuchen
jezt ſogar Polygamien einzufuͤhren, und Ehe-
verbindungen zu bloſſen Vertraͤgen her-
abzuſezzen, die ohne Mitwuͤrkung der
Religion ſancirt werden ſollen.

Unſere Jugend ruͤhmt ſich der unruͤhmlichen
Siege, die ſie auf dem Pfade der Wolluſt er-
kaͤmpfet, erroͤtet nicht, Toͤne zu ſtammeln, dafuͤr
der Tahitiſche Bewoner ſich entſezzen wuͤrde.
Ohne Grundſaͤzze in die Welt geſezt, waͤlzt ſie
ſich auf dem uͤppigen Lager der Wolluſt und Un-
zucht, ſchwelgt am Male der Ueppigkeit und
Voͤllerei, bis der entnervte Bau des Koͤrpers
ſinkt, und das wankende Skelet ſiech und athem-

B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="23"/>
der &#x017F;ich vom Aberglauben unterjochen, und von<lb/>
Heuchlern beherr&#x017F;chen la&#x0364;ßt &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Doch laßt uns noch eine anderere Szene be-<lb/>
trachten. Un&#x017F;ere biedere Ahnherren waren keu&#x017F;ch<lb/>
und zu&#x0364;chtig, und &#x017F;ezten in Ausu&#x0364;bung der Keu&#x017F;ch-<lb/>
heit ihren Ruhm und Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; wir aber, mit hel-<lb/>
len aufgekla&#x0364;rten Begriffen, kennen das Wort<lb/>
nicht mehr, und haben die Keu&#x017F;chheit aus un&#x017F;ern<lb/>
Grenzen verbannt. Eheliche Treue i&#x017F;t zum Ma&#x0364;r-<lb/>
chen bei uns herabge&#x017F;unken, an das nur noch der<lb/>
Po&#x0364;bel in Hu&#x0364;tten glaubt, wir &#x017F;ezzen uns u&#x0364;ber<lb/>
die &#x017F;eichten Begriffe der Treue weg, und &#x017F;uchen<lb/>
jezt &#x017F;ogar <hi rendition="#fr">Polygamien</hi> einzufu&#x0364;hren, und <hi rendition="#fr">Ehe-<lb/>
verbindungen zu blo&#x017F;&#x017F;en Vertra&#x0364;gen her-<lb/>
abzu&#x017F;ezzen, die ohne Mitwu&#x0364;rkung der<lb/>
Religion &#x017F;ancirt werden &#x017F;ollen.</hi></p><lb/>
        <p>Un&#x017F;ere <hi rendition="#fr">Jugend</hi> ru&#x0364;hmt &#x017F;ich der unru&#x0364;hmlichen<lb/>
Siege, die &#x017F;ie auf dem Pfade der Wollu&#x017F;t er-<lb/>
ka&#x0364;mpfet, erro&#x0364;tet nicht, To&#x0364;ne zu &#x017F;tammeln, dafu&#x0364;r<lb/>
der Tahiti&#x017F;che Bewoner &#x017F;ich ent&#x017F;ezzen wu&#x0364;rde.<lb/>
Ohne Grund&#x017F;a&#x0364;zze in die Welt ge&#x017F;ezt, wa&#x0364;lzt &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich auf dem u&#x0364;ppigen Lager der Wollu&#x017F;t und Un-<lb/>
zucht, &#x017F;chwelgt am Male der Ueppigkeit und<lb/>
Vo&#x0364;llerei, bis der entnervte Bau des Ko&#x0364;rpers<lb/>
&#x017F;inkt, und das wankende Skelet &#x017F;iech und athem-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0031] der ſich vom Aberglauben unterjochen, und von Heuchlern beherrſchen laͤßt — — Doch laßt uns noch eine anderere Szene be- trachten. Unſere biedere Ahnherren waren keuſch und zuͤchtig, und ſezten in Ausuͤbung der Keuſch- heit ihren Ruhm und Groͤſſe; wir aber, mit hel- len aufgeklaͤrten Begriffen, kennen das Wort nicht mehr, und haben die Keuſchheit aus unſern Grenzen verbannt. Eheliche Treue iſt zum Maͤr- chen bei uns herabgeſunken, an das nur noch der Poͤbel in Huͤtten glaubt, wir ſezzen uns uͤber die ſeichten Begriffe der Treue weg, und ſuchen jezt ſogar Polygamien einzufuͤhren, und Ehe- verbindungen zu bloſſen Vertraͤgen her- abzuſezzen, die ohne Mitwuͤrkung der Religion ſancirt werden ſollen. Unſere Jugend ruͤhmt ſich der unruͤhmlichen Siege, die ſie auf dem Pfade der Wolluſt er- kaͤmpfet, erroͤtet nicht, Toͤne zu ſtammeln, dafuͤr der Tahitiſche Bewoner ſich entſezzen wuͤrde. Ohne Grundſaͤzze in die Welt geſezt, waͤlzt ſie ſich auf dem uͤppigen Lager der Wolluſt und Un- zucht, ſchwelgt am Male der Ueppigkeit und Voͤllerei, bis der entnervte Bau des Koͤrpers ſinkt, und das wankende Skelet ſiech und athem- B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/31
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/31>, abgerufen am 23.11.2024.