neigte, uud den Gegenständen um sich her Schimmer und Glanz lieh -- wie tausend ge- fiederte Sänger sich an ihren lezten Stralen lechzten -- auch er lechzte sich an ihrer allbeleben- den Fülle, sein Herz ward zu einem unnennbaren Gefühl hingerissen, grosse Thautropfen entstürz- ten dem trunknen Auge, fielen aufs zitternde Gras, und geleiteten ihren Niedergang. Dann besuchte er stille Haine, durchirrte Wald und Wiese, und that heisse Gelübde für Tugend und Rechtschaffenheit. Der Urquell der Natur, aus dem alles strömt, lebt und ist, sah ihn wan- deln, sah ihn hingeworfen auf grünenden Ra- sen, und gos Freuden in sein Herz, Freuden, die kein Pinsel schildern, die keine Sprache aus- drükken kann, die dem Alltags-Menschen ein Rätsel, dem Fühllosen ein Märchen sind.
So war mein Freund, nur eine schwache Kopie seines Selbsts -- nur Schatten, und hin- term Schatten volle lichte Klarheit, die das schwache ungewonte Auge blendet.
Wie muste er mit diesem offnen Herzen al- les umfassen, mit welcher Wärme und Drang muste er sich an das schmiegen, wo ihn sein Ge- fühl hinzog, worauf alle seine Erwartungen,
P 5
neigte, uud den Gegenſtaͤnden um ſich her Schimmer und Glanz lieh — wie tauſend ge- fiederte Saͤnger ſich an ihren lezten Stralen lechzten — auch er lechzte ſich an ihrer allbeleben- den Fuͤlle, ſein Herz ward zu einem unnennbaren Gefuͤhl hingeriſſen, groſſe Thautropfen entſtuͤrz- ten dem trunknen Auge, fielen aufs zitternde Gras, und geleiteten ihren Niedergang. Dann beſuchte er ſtille Haine, durchirrte Wald und Wieſe, und that heiſſe Geluͤbde fuͤr Tugend und Rechtſchaffenheit. Der Urquell der Natur, aus dem alles ſtroͤmt, lebt und iſt, ſah ihn wan- deln, ſah ihn hingeworfen auf gruͤnenden Ra- ſen, und gos Freuden in ſein Herz, Freuden, die kein Pinſel ſchildern, die keine Sprache aus- druͤkken kann, die dem Alltags-Menſchen ein Raͤtſel, dem Fuͤhlloſen ein Maͤrchen ſind.
So war mein Freund, nur eine ſchwache Kopie ſeines Selbſts — nur Schatten, und hin- term Schatten volle lichte Klarheit, die das ſchwache ungewonte Auge blendet.
Wie muſte er mit dieſem offnen Herzen al- les umfaſſen, mit welcher Waͤrme und Drang muſte er ſich an das ſchmiegen, wo ihn ſein Ge- fuͤhl hinzog, worauf alle ſeine Erwartungen,
P 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0241"n="233"/>
neigte, uud den Gegenſtaͤnden um ſich her<lb/>
Schimmer und Glanz lieh — wie tauſend ge-<lb/>
fiederte Saͤnger ſich an ihren lezten Stralen<lb/>
lechzten — auch er lechzte ſich an ihrer allbeleben-<lb/>
den Fuͤlle, ſein Herz ward zu einem unnennbaren<lb/>
Gefuͤhl hingeriſſen, groſſe Thautropfen entſtuͤrz-<lb/>
ten dem trunknen Auge, fielen aufs zitternde<lb/>
Gras, und geleiteten ihren Niedergang. Dann<lb/>
beſuchte er ſtille Haine, durchirrte Wald und<lb/>
Wieſe, und that heiſſe Geluͤbde fuͤr Tugend und<lb/>
Rechtſchaffenheit. Der <hirendition="#fr">Urquell der Natur,</hi><lb/>
aus dem alles ſtroͤmt, lebt und iſt, ſah ihn wan-<lb/>
deln, ſah ihn hingeworfen auf gruͤnenden Ra-<lb/>ſen, und gos <hirendition="#fr">Freuden</hi> in ſein Herz, <hirendition="#fr">Freuden,</hi><lb/>
die kein Pinſel ſchildern, die keine Sprache aus-<lb/>
druͤkken kann, die dem <hirendition="#fr">Alltags-Menſchen ein<lb/>
Raͤtſel,</hi> dem <hirendition="#fr">Fuͤhlloſen ein Maͤrchen</hi>ſind.</p><lb/><p>So war mein <hirendition="#fr">Freund,</hi> nur eine ſchwache<lb/>
Kopie ſeines Selbſts — nur Schatten, und hin-<lb/>
term Schatten volle lichte Klarheit, die das<lb/>ſchwache ungewonte Auge blendet.</p><lb/><p>Wie muſte er mit dieſem offnen Herzen al-<lb/>
les umfaſſen, mit welcher Waͤrme und Drang<lb/>
muſte er ſich an das ſchmiegen, wo ihn ſein Ge-<lb/>
fuͤhl hinzog, worauf alle ſeine Erwartungen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P 5</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[233/0241]
neigte, uud den Gegenſtaͤnden um ſich her
Schimmer und Glanz lieh — wie tauſend ge-
fiederte Saͤnger ſich an ihren lezten Stralen
lechzten — auch er lechzte ſich an ihrer allbeleben-
den Fuͤlle, ſein Herz ward zu einem unnennbaren
Gefuͤhl hingeriſſen, groſſe Thautropfen entſtuͤrz-
ten dem trunknen Auge, fielen aufs zitternde
Gras, und geleiteten ihren Niedergang. Dann
beſuchte er ſtille Haine, durchirrte Wald und
Wieſe, und that heiſſe Geluͤbde fuͤr Tugend und
Rechtſchaffenheit. Der Urquell der Natur,
aus dem alles ſtroͤmt, lebt und iſt, ſah ihn wan-
deln, ſah ihn hingeworfen auf gruͤnenden Ra-
ſen, und gos Freuden in ſein Herz, Freuden,
die kein Pinſel ſchildern, die keine Sprache aus-
druͤkken kann, die dem Alltags-Menſchen ein
Raͤtſel, dem Fuͤhlloſen ein Maͤrchen ſind.
So war mein Freund, nur eine ſchwache
Kopie ſeines Selbſts — nur Schatten, und hin-
term Schatten volle lichte Klarheit, die das
ſchwache ungewonte Auge blendet.
Wie muſte er mit dieſem offnen Herzen al-
les umfaſſen, mit welcher Waͤrme und Drang
muſte er ſich an das ſchmiegen, wo ihn ſein Ge-
fuͤhl hinzog, worauf alle ſeine Erwartungen,
P 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/241>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.