sein Sehnen gerichtet war! -- Dis zu beschrei- ben, vermag die Feder nicht, das kann sie nicht. Und nun denke dir, fühlende Seele! seine Erwartungen getäuscht, seine Hofnungen betro- gen zu sehen, denke dir, sein Herz aufs höchste gespannt, mit zehrendem Enthusiasmus nach einem Jdeal zu ringen, und es nicht zu erreichen, nicht liebevoll in seine Arme zu schließen. Er hatte noch nie geliebt, zwanzig Frülinge waren ihm unter den Händen der Musen hinweg ge- eilet; staune nicht, Geist meines Zeitalters! es war nicht Mangel an Gefühl für Liebe, nein, es war Mangel des Gegenstandes der Liebe. Die Freundschaft hatte die Leere seines Her- zens ausgefüllt, eine Lükke blieb immer, aber wo lebte das Wesen, das diese Lükke ausfüllen konnte. Wie konnte er mit der vollen Bruder- liebe in der liebevollen Natur herum wandeln, und nicht auch Liebe empfinden. Er empfand sie gewis, stärker und glühender als der gewönliche Mensch, der die Stillung eines thierischen Trie- bes für Liebe nimmt. Aber da er nur nach er- habnen Karakteren geizte, nach einem Jdeal weiblicher Vollkommenheit rang, das die Tugend einer Clarisse, und den Geist einer
ſein Sehnen gerichtet war! — Dis zu beſchrei- ben, vermag die Feder nicht, das kann ſie nicht. Und nun denke dir, fuͤhlende Seele! ſeine Erwartungen getaͤuſcht, ſeine Hofnungen betro- gen zu ſehen, denke dir, ſein Herz aufs hoͤchſte geſpannt, mit zehrendem Enthuſiasmus nach einem Jdeal zu ringen, und es nicht zu erreichen, nicht liebevoll in ſeine Arme zu ſchließen. Er hatte noch nie geliebt, zwanzig Fruͤlinge waren ihm unter den Haͤnden der Muſen hinweg ge- eilet; ſtaune nicht, Geiſt meines Zeitalters! es war nicht Mangel an Gefuͤhl fuͤr Liebe, nein, es war Mangel des Gegenſtandes der Liebe. Die Freundſchaft hatte die Leere ſeines Her- zens ausgefuͤllt, eine Luͤkke blieb immer, aber wo lebte das Weſen, das dieſe Luͤkke ausfuͤllen konnte. Wie konnte er mit der vollen Bruder- liebe in der liebevollen Natur herum wandeln, und nicht auch Liebe empfinden. Er empfand ſie gewis, ſtaͤrker und gluͤhender als der gewoͤnliche Menſch, der die Stillung eines thieriſchen Trie- bes fuͤr Liebe nimmt. Aber da er nur nach er- habnen Karakteren geizte, nach einem Jdeal weiblicher Vollkommenheit rang, das die Tugend einer Clariſſe, und den Geiſt einer
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ſein Sehnen gerichtet war! — Dis zu beſchrei-
ben, vermag die Feder nicht, das kann ſie nicht.
Und nun denke dir, fuͤhlende Seele! ſeine
Erwartungen getaͤuſcht, ſeine Hofnungen betro-
gen zu ſehen, denke dir, ſein Herz aufs hoͤchſte
geſpannt, mit zehrendem Enthuſiasmus nach
einem Jdeal zu ringen, und es nicht zu erreichen,
nicht liebevoll in ſeine Arme zu ſchließen. Er
hatte noch nie geliebt, zwanzig Fruͤlinge waren
ihm unter den Haͤnden der Muſen hinweg ge-
eilet; ſtaune nicht, Geiſt meines Zeitalters!
es war nicht Mangel an Gefuͤhl fuͤr Liebe, nein,
es war Mangel des Gegenſtandes der Liebe.
Die Freundſchaft hatte die Leere ſeines Her-
zens ausgefuͤllt, eine Luͤkke blieb immer, aber
wo lebte das Weſen, das dieſe Luͤkke ausfuͤllen
konnte. Wie konnte er mit der vollen Bruder-
liebe in der liebevollen Natur herum wandeln,
und nicht auch Liebe empfinden. Er empfand ſie
gewis, ſtaͤrker und gluͤhender als der gewoͤnliche
Menſch, der die Stillung eines thieriſchen Trie-
bes fuͤr Liebe nimmt. Aber da er nur nach er-
habnen Karakteren geizte, nach einem Jdeal
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/242>, abgerufen am 23.11.2024.
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