len den Dolch gegen sich zukte, und ohne Be- wustsein, in die kalten Arme des Todes sank; da nennt ihr ihn einen Thoren und Unsinni- gen, wollt bestimmen, wie er anders hätte han- deln, wie er seine Leidenschaft unter der Ver- nunft hätte gefangen nehmen sollen. O ihr Wei- sen! fragt den Steuermann, dem seine Barke an einer Klippe scheitert, warum er die Klippe nicht vermieden, und sein Ruder nach einer sichern Seite gelenket habe.
Nichts muß einen edlen fühlenden Mann so aus seiner Fassung bringen, als solche kalte stumpfe Seelen, die Tugend heucheln, und Tu- gend lügen, und die Tugend nicht kennen, die aus dem Herzen quillt, die nicht im leeren Schalle der Worte, sondern im handeln und wirken be- steht. Es muß seinem Herzen wehe thun, wann er hört, daß Menschen die Handlungen anderer beurteilen wollen, dazu sie weder Beruf und Aufforderung, noch auch Fähigkeiten, sie zu durchschauen, haben, die ohne Kenntniß des Menschen, ohne Kenntniß seiner innern Triebe, alles für Sünde und Unrecht halten, was nicht mit ihrem Eigennuz und Stolz bestehen kann, die mit tükkischer Schadenfreude, die Fehler ihrer
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len den Dolch gegen ſich zukte, und ohne Be- wuſtſein, in die kalten Arme des Todes ſank; da nennt ihr ihn einen Thoren und Unſinni- gen, wollt beſtimmen, wie er anders haͤtte han- deln, wie er ſeine Leidenſchaft unter der Ver- nunft haͤtte gefangen nehmen ſollen. O ihr Wei- ſen! fragt den Steuermann, dem ſeine Barke an einer Klippe ſcheitert, warum er die Klippe nicht vermieden, und ſein Ruder nach einer ſichern Seite gelenket habe.
Nichts muß einen edlen fuͤhlenden Mann ſo aus ſeiner Faſſung bringen, als ſolche kalte ſtumpfe Seelen, die Tugend heucheln, und Tu- gend luͤgen, und die Tugend nicht kennen, die aus dem Herzen quillt, die nicht im leeren Schalle der Worte, ſondern im handeln und wirken be- ſteht. Es muß ſeinem Herzen wehe thun, wann er hoͤrt, daß Menſchen die Handlungen anderer beurteilen wollen, dazu ſie weder Beruf und Aufforderung, noch auch Faͤhigkeiten, ſie zu durchſchauen, haben, die ohne Kenntniß des Menſchen, ohne Kenntniß ſeiner innern Triebe, alles fuͤr Suͤnde und Unrecht halten, was nicht mit ihrem Eigennuz und Stolz beſtehen kann, die mit tuͤkkiſcher Schadenfreude, die Fehler ihrer
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len den Dolch gegen ſich zukte, und ohne Be-
wuſtſein, in die kalten Arme des Todes ſank;
da nennt ihr ihn einen Thoren und Unſinni-
gen, wollt beſtimmen, wie er anders haͤtte han-
deln, wie er ſeine Leidenſchaft unter der Ver-
nunft haͤtte gefangen nehmen ſollen. O ihr Wei-
ſen! fragt den Steuermann, dem ſeine Barke
an einer Klippe ſcheitert, warum er die Klippe
nicht vermieden, und ſein Ruder nach einer
ſichern Seite gelenket habe.
Nichts muß einen edlen fuͤhlenden Mann
ſo aus ſeiner Faſſung bringen, als ſolche kalte
ſtumpfe Seelen, die Tugend heucheln, und Tu-
gend luͤgen, und die Tugend nicht kennen, die
aus dem Herzen quillt, die nicht im leeren Schalle
der Worte, ſondern im handeln und wirken be-
ſteht. Es muß ſeinem Herzen wehe thun, wann
er hoͤrt, daß Menſchen die Handlungen anderer
beurteilen wollen, dazu ſie weder Beruf und
Aufforderung, noch auch Faͤhigkeiten, ſie zu
durchſchauen, haben, die ohne Kenntniß des
Menſchen, ohne Kenntniß ſeiner innern Triebe,
alles fuͤr Suͤnde und Unrecht halten, was nicht
mit ihrem Eigennuz und Stolz beſtehen kann,
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/209>, abgerufen am 23.11.2024.
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