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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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nicht meine Liebe erwiedert, und erwiedern kann,
so habt ihr das beisammen, was den Wahnsinn
erzeugen kann, so kann man sich die innern Lei-
den eines in die Enge gepreßten Herzens erklä-
ren, und nicht starr und kalt drein blikken, wenn
man hört, es habe jemand den Gebrauch seines
Verstandes aus überspannter Leidenschaft ver-
loren, oder sich selbst den Faden seines Lebens
gekürzet.

O ihr kalten Moralisten und Heuchler!
Greise
und Matronen! die ihr der Mensch-
heit Gesezze geben, und ihr Schranken bestim-
men wollt, wie weit sie gehen soll; ihr kennt die
Menschheit nicht, und euer Gewäsch ist Unsinn,
ihr wollt bauen und ebnen, und reisset ein, macht
wüste und unzugangbar, was sonst glatt und
eben war. Da sizt ihr hinterm Ofen bei der
Weinflasche, und wollt der Liebe Gesezze geben,
und kennt sie nicht, denn sie hat niemals in
eurem Herzen, dem Sammelplaz der Lüste und
feindseligen Begierden, Wonung gemacht. Da ta-
delt und brandmarkt ihr den edlen Jüngling,
der in der entsezlichen Angst seines Herzens, die
freilich eurem Felsenherzen ein Rätsel ist, zerris-
sen und gefoltert von tausend unnennbaren Qua-

nicht meine Liebe erwiedert, und erwiedern kann,
ſo habt ihr das beiſammen, was den Wahnſinn
erzeugen kann, ſo kann man ſich die innern Lei-
den eines in die Enge gepreßten Herzens erklaͤ-
ren, und nicht ſtarr und kalt drein blikken, wenn
man hoͤrt, es habe jemand den Gebrauch ſeines
Verſtandes aus uͤberſpannter Leidenſchaft ver-
loren, oder ſich ſelbſt den Faden ſeines Lebens
gekuͤrzet.

O ihr kalten Moraliſten und Heuchler!
Greiſe
und Matronen! die ihr der Menſch-
heit Geſezze geben, und ihr Schranken beſtim-
men wollt, wie weit ſie gehen ſoll; ihr kennt die
Menſchheit nicht, und euer Gewaͤſch iſt Unſinn,
ihr wollt bauen und ebnen, und reiſſet ein, macht
wuͤſte und unzugangbar, was ſonſt glatt und
eben war. Da ſizt ihr hinterm Ofen bei der
Weinflaſche, und wollt der Liebe Geſezze geben,
und kennt ſie nicht, denn ſie hat niemals in
eurem Herzen, dem Sammelplaz der Luͤſte und
feindſeligen Begierden, Wonung gemacht. Da ta-
delt und brandmarkt ihr den edlen Juͤngling,
der in der entſezlichen Angſt ſeines Herzens, die
freilich eurem Felſenherzen ein Raͤtſel iſt, zerriſ-
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[200/0208] nicht meine Liebe erwiedert, und erwiedern kann, ſo habt ihr das beiſammen, was den Wahnſinn erzeugen kann, ſo kann man ſich die innern Lei- den eines in die Enge gepreßten Herzens erklaͤ- ren, und nicht ſtarr und kalt drein blikken, wenn man hoͤrt, es habe jemand den Gebrauch ſeines Verſtandes aus uͤberſpannter Leidenſchaft ver- loren, oder ſich ſelbſt den Faden ſeines Lebens gekuͤrzet. O ihr kalten Moraliſten und Heuchler! Greiſe und Matronen! die ihr der Menſch- heit Geſezze geben, und ihr Schranken beſtim- men wollt, wie weit ſie gehen ſoll; ihr kennt die Menſchheit nicht, und euer Gewaͤſch iſt Unſinn, ihr wollt bauen und ebnen, und reiſſet ein, macht wuͤſte und unzugangbar, was ſonſt glatt und eben war. Da ſizt ihr hinterm Ofen bei der Weinflaſche, und wollt der Liebe Geſezze geben, und kennt ſie nicht, denn ſie hat niemals in eurem Herzen, dem Sammelplaz der Luͤſte und feindſeligen Begierden, Wonung gemacht. Da ta- delt und brandmarkt ihr den edlen Juͤngling, der in der entſezlichen Angſt ſeines Herzens, die freilich eurem Felſenherzen ein Raͤtſel iſt, zerriſ- ſen und gefoltert von tauſend unnennbaren Qua-

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/208>, abgerufen am 23.11.2024.