Die gesunkene Seele hascht Träume für Würklichkeit, und in der gänzlichen Zerrüttung der Vernunft, träumt sie noch den süssen Traum ihrer Grösse, und der Stolz bleibt ihr die süsseste Narung für das kranke Gehirn. -- Schau her, du Thor! der du dich deiner Ge- burt, deiner Reichtümer erhebest, dich Gott gleich sezzest; sieh, so verlassen ist der Mensch, wenn die Vorsicht ihn in den Staub legt! Aber kann Liebe, sie, die Schöpferinn so vieler Freuden, uns in so grenzenlofes Elend stürzen? kann der seligste aller Triebe, der das Herz erweitert, und die Seele füllt, zum Wahnsinn, zur Raserei aus- arten? trauriger Gedanke! sie kann's, sie liefert uns die traurigsten Szenen, für deren erschüt- ternden Anblik die Menschheit keinen Ausdruk, keine Tränen findet.
Liebe glüht heftig und stark, sie ist eine Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu Asche brennt, was ihr Widerstand leistet; so lange dis reine Feuer unsere Herzen erwärmet, und gemässigt in unsern Adern lodert, so ist Seligkeit und Freude unser Loos: aber laß es wütend unsere Nerven durchglühen, ein wallen- des Blut unsere Adern durchkreisen, wo ist Was-
Die geſunkene Seele haſcht Traͤume fuͤr Wuͤrklichkeit, und in der gaͤnzlichen Zerruͤttung der Vernunft, traͤumt ſie noch den ſuͤſſen Traum ihrer Groͤſſe, und der Stolz bleibt ihr die ſuͤſſeſte Narung fuͤr das kranke Gehirn. — Schau her, du Thor! der du dich deiner Ge- burt, deiner Reichtuͤmer erhebeſt, dich Gott gleich ſezzeſt; ſieh, ſo verlaſſen iſt der Menſch, wenn die Vorſicht ihn in den Staub legt! Aber kann Liebe, ſie, die Schoͤpferinn ſo vieler Freuden, uns in ſo grenzenlofes Elend ſtuͤrzen? kann der ſeligſte aller Triebe, der das Herz erweitert, und die Seele fuͤllt, zum Wahnſinn, zur Raſerei aus- arten? trauriger Gedanke! ſie kann’s, ſie liefert uns die traurigſten Szenen, fuͤr deren erſchuͤt- ternden Anblik die Menſchheit keinen Ausdruk, keine Traͤnen findet.
Liebe gluͤht heftig und ſtark, ſie iſt eine Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu Aſche brennt, was ihr Widerſtand leiſtet; ſo lange dis reine Feuer unſere Herzen erwaͤrmet, und gemaͤſſigt in unſern Adern lodert, ſo iſt Seligkeit und Freude unſer Loos: aber laß es wuͤtend unſere Nerven durchgluͤhen, ein wallen- des Blut unſere Adern durchkreiſen, wo iſt Waſ-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0204"n="196"/><p>Die geſunkene Seele haſcht Traͤume fuͤr<lb/>
Wuͤrklichkeit, und in der gaͤnzlichen Zerruͤttung<lb/>
der Vernunft, traͤumt ſie noch den ſuͤſſen<lb/>
Traum ihrer Groͤſſe, und der Stolz bleibt<lb/>
ihr die ſuͤſſeſte Narung fuͤr das kranke Gehirn. —<lb/>
Schau her, <hirendition="#fr">du Thor!</hi> der du dich deiner Ge-<lb/>
burt, deiner Reichtuͤmer erhebeſt, dich Gott gleich<lb/>ſezzeſt; ſieh, ſo verlaſſen iſt der Menſch, wenn<lb/>
die Vorſicht ihn in den Staub legt! Aber kann<lb/><hirendition="#fr">Liebe,</hi>ſie, die Schoͤpferinn ſo vieler Freuden,<lb/>
uns in ſo grenzenlofes Elend ſtuͤrzen? kann der<lb/>ſeligſte aller Triebe, der das Herz erweitert, und<lb/>
die Seele fuͤllt, zum Wahnſinn, zur Raſerei aus-<lb/>
arten? trauriger Gedanke! ſie kann’s, ſie liefert<lb/>
uns die traurigſten Szenen, fuͤr deren erſchuͤt-<lb/>
ternden Anblik die Menſchheit keinen Ausdruk,<lb/>
keine Traͤnen findet.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Liebe</hi> gluͤht heftig und ſtark, ſie iſt eine<lb/>
Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu<lb/>
Aſche brennt, was ihr Widerſtand leiſtet; ſo<lb/>
lange dis reine Feuer unſere Herzen erwaͤrmet,<lb/>
und gemaͤſſigt in unſern Adern lodert, ſo iſt<lb/>
Seligkeit und Freude unſer Loos: aber laß es<lb/>
wuͤtend unſere Nerven durchgluͤhen, ein wallen-<lb/>
des Blut unſere Adern durchkreiſen, wo iſt Waſ-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[196/0204]
Die geſunkene Seele haſcht Traͤume fuͤr
Wuͤrklichkeit, und in der gaͤnzlichen Zerruͤttung
der Vernunft, traͤumt ſie noch den ſuͤſſen
Traum ihrer Groͤſſe, und der Stolz bleibt
ihr die ſuͤſſeſte Narung fuͤr das kranke Gehirn. —
Schau her, du Thor! der du dich deiner Ge-
burt, deiner Reichtuͤmer erhebeſt, dich Gott gleich
ſezzeſt; ſieh, ſo verlaſſen iſt der Menſch, wenn
die Vorſicht ihn in den Staub legt! Aber kann
Liebe, ſie, die Schoͤpferinn ſo vieler Freuden,
uns in ſo grenzenlofes Elend ſtuͤrzen? kann der
ſeligſte aller Triebe, der das Herz erweitert, und
die Seele fuͤllt, zum Wahnſinn, zur Raſerei aus-
arten? trauriger Gedanke! ſie kann’s, ſie liefert
uns die traurigſten Szenen, fuͤr deren erſchuͤt-
ternden Anblik die Menſchheit keinen Ausdruk,
keine Traͤnen findet.
Liebe gluͤht heftig und ſtark, ſie iſt eine
Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu
Aſche brennt, was ihr Widerſtand leiſtet; ſo
lange dis reine Feuer unſere Herzen erwaͤrmet,
und gemaͤſſigt in unſern Adern lodert, ſo iſt
Seligkeit und Freude unſer Loos: aber laß es
wuͤtend unſere Nerven durchgluͤhen, ein wallen-
des Blut unſere Adern durchkreiſen, wo iſt Waſ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/204>, abgerufen am 05.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.