Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Die gesunkene Seele hascht Träume für
Würklichkeit, und in der gänzlichen Zerrüttung
der Vernunft, träumt sie noch den süssen
Traum ihrer Grösse, und der Stolz bleibt
ihr die süsseste Narung für das kranke Gehirn. --
Schau her, du Thor! der du dich deiner Ge-
burt, deiner Reichtümer erhebest, dich Gott gleich
sezzest; sieh, so verlassen ist der Mensch, wenn
die Vorsicht ihn in den Staub legt! Aber kann
Liebe, sie, die Schöpferinn so vieler Freuden,
uns in so grenzenlofes Elend stürzen? kann der
seligste aller Triebe, der das Herz erweitert, und
die Seele füllt, zum Wahnsinn, zur Raserei aus-
arten? trauriger Gedanke! sie kann's, sie liefert
uns die traurigsten Szenen, für deren erschüt-
ternden Anblik die Menschheit keinen Ausdruk,
keine Tränen findet.

Liebe glüht heftig und stark, sie ist eine
Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu
Asche brennt, was ihr Widerstand leistet; so
lange dis reine Feuer unsere Herzen erwärmet,
und gemässigt in unsern Adern lodert, so ist
Seligkeit und Freude unser Loos: aber laß es
wütend unsere Nerven durchglühen, ein wallen-
des Blut unsere Adern durchkreisen, wo ist Was-

Die geſunkene Seele haſcht Traͤume fuͤr
Wuͤrklichkeit, und in der gaͤnzlichen Zerruͤttung
der Vernunft, traͤumt ſie noch den ſuͤſſen
Traum ihrer Groͤſſe, und der Stolz bleibt
ihr die ſuͤſſeſte Narung fuͤr das kranke Gehirn. —
Schau her, du Thor! der du dich deiner Ge-
burt, deiner Reichtuͤmer erhebeſt, dich Gott gleich
ſezzeſt; ſieh, ſo verlaſſen iſt der Menſch, wenn
die Vorſicht ihn in den Staub legt! Aber kann
Liebe, ſie, die Schoͤpferinn ſo vieler Freuden,
uns in ſo grenzenlofes Elend ſtuͤrzen? kann der
ſeligſte aller Triebe, der das Herz erweitert, und
die Seele fuͤllt, zum Wahnſinn, zur Raſerei aus-
arten? trauriger Gedanke! ſie kann’s, ſie liefert
uns die traurigſten Szenen, fuͤr deren erſchuͤt-
ternden Anblik die Menſchheit keinen Ausdruk,
keine Traͤnen findet.

Liebe gluͤht heftig und ſtark, ſie iſt eine
Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu
Aſche brennt, was ihr Widerſtand leiſtet; ſo
lange dis reine Feuer unſere Herzen erwaͤrmet,
und gemaͤſſigt in unſern Adern lodert, ſo iſt
Seligkeit und Freude unſer Loos: aber laß es
wuͤtend unſere Nerven durchgluͤhen, ein wallen-
des Blut unſere Adern durchkreiſen, wo iſt Waſ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0204" n="196"/>
        <p>Die ge&#x017F;unkene Seele ha&#x017F;cht Tra&#x0364;ume fu&#x0364;r<lb/>
Wu&#x0364;rklichkeit, und in der ga&#x0364;nzlichen Zerru&#x0364;ttung<lb/>
der Vernunft, tra&#x0364;umt &#x017F;ie noch den &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Traum ihrer Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, und der Stolz bleibt<lb/>
ihr die &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te Narung fu&#x0364;r das kranke Gehirn. &#x2014;<lb/>
Schau her, <hi rendition="#fr">du Thor!</hi> der du dich deiner Ge-<lb/>
burt, deiner Reichtu&#x0364;mer erhebe&#x017F;t, dich Gott gleich<lb/>
&#x017F;ezze&#x017F;t; &#x017F;ieh, &#x017F;o verla&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t der Men&#x017F;ch, wenn<lb/>
die Vor&#x017F;icht ihn in den Staub legt! Aber kann<lb/><hi rendition="#fr">Liebe,</hi> &#x017F;ie, die Scho&#x0364;pferinn &#x017F;o vieler Freuden,<lb/>
uns in &#x017F;o grenzenlofes Elend &#x017F;tu&#x0364;rzen? kann der<lb/>
&#x017F;elig&#x017F;te aller Triebe, der das Herz erweitert, und<lb/>
die Seele fu&#x0364;llt, zum Wahn&#x017F;inn, zur Ra&#x017F;erei aus-<lb/>
arten? trauriger Gedanke! &#x017F;ie kann&#x2019;s, &#x017F;ie liefert<lb/>
uns die traurig&#x017F;ten Szenen, fu&#x0364;r deren er&#x017F;chu&#x0364;t-<lb/>
ternden Anblik die Men&#x017F;chheit keinen Ausdruk,<lb/>
keine Tra&#x0364;nen findet.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Liebe</hi> glu&#x0364;ht heftig und &#x017F;tark, &#x017F;ie i&#x017F;t eine<lb/>
Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu<lb/>
A&#x017F;che brennt, was ihr Wider&#x017F;tand lei&#x017F;tet; &#x017F;o<lb/>
lange dis reine Feuer un&#x017F;ere Herzen erwa&#x0364;rmet,<lb/>
und gema&#x0364;&#x017F;&#x017F;igt in un&#x017F;ern Adern lodert, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
Seligkeit und Freude un&#x017F;er Loos: aber laß es<lb/>
wu&#x0364;tend un&#x017F;ere Nerven durchglu&#x0364;hen, ein wallen-<lb/>
des Blut un&#x017F;ere Adern durchkrei&#x017F;en, wo i&#x017F;t Wa&#x017F;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0204] Die geſunkene Seele haſcht Traͤume fuͤr Wuͤrklichkeit, und in der gaͤnzlichen Zerruͤttung der Vernunft, traͤumt ſie noch den ſuͤſſen Traum ihrer Groͤſſe, und der Stolz bleibt ihr die ſuͤſſeſte Narung fuͤr das kranke Gehirn. — Schau her, du Thor! der du dich deiner Ge- burt, deiner Reichtuͤmer erhebeſt, dich Gott gleich ſezzeſt; ſieh, ſo verlaſſen iſt der Menſch, wenn die Vorſicht ihn in den Staub legt! Aber kann Liebe, ſie, die Schoͤpferinn ſo vieler Freuden, uns in ſo grenzenlofes Elend ſtuͤrzen? kann der ſeligſte aller Triebe, der das Herz erweitert, und die Seele fuͤllt, zum Wahnſinn, zur Raſerei aus- arten? trauriger Gedanke! ſie kann’s, ſie liefert uns die traurigſten Szenen, fuͤr deren erſchuͤt- ternden Anblik die Menſchheit keinen Ausdruk, keine Traͤnen findet. Liebe gluͤht heftig und ſtark, ſie iſt eine Flamme, die hoch empor lodert, und alles zu Aſche brennt, was ihr Widerſtand leiſtet; ſo lange dis reine Feuer unſere Herzen erwaͤrmet, und gemaͤſſigt in unſern Adern lodert, ſo iſt Seligkeit und Freude unſer Loos: aber laß es wuͤtend unſere Nerven durchgluͤhen, ein wallen- des Blut unſere Adern durchkreiſen, wo iſt Waſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/204
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/204>, abgerufen am 23.11.2024.