Flammenspruch ins Herz schreiben: Liebe dei- nen Nebenmenschen als dich selbst. Denn es sind alles deine Brüder, wenn sie gleich in Strohhütten wohnen, unter der Last der Arbeit keuchen, und im leinenen zerrissenen Gewande dein Mitleid erflehen. --
O Weltweisheit! berufen von der Weis- heit des Ewigen zum Glük der Welt und ihrer Bewoner; die du die Herzen der Könige er- wärmst, und Menschen zu Menschen bildest, die du einst Rom zur Beherrscherinn der Welt, und Athen zum Siz der Gelehrsamkeit machtest: die du ein finsteres Reich aus dem Chaos ent- winktest, nnd dessen wilde Bewoner zu Men- schen, und ihre Besizzungen zu Paradiesen um- schufst. O, senke einen Stral des Lichts herab auf jene Fluren meines Vaterlandes, wo Be- drükkung und Elend schleicht, wo der Greis die Hände ringt, und die Matrone schluchzt, wo der Mann unter der Last des Kummers keucht, und das Weib heisse Zähren weint, wo der Jüngling frühe seinen Nakken unter das eiserne Joch der Knechtschaft schmieget, und das Mäd- gen den Lüsten ihres Despoten fröhnen muß, wo der Säugling schon Sklave ist, wenn er
Flammenſpruch ins Herz ſchreiben: Liebe dei- nen Nebenmenſchen als dich ſelbſt. Denn es ſind alles deine Bruͤder, wenn ſie gleich in Strohhuͤtten wohnen, unter der Laſt der Arbeit keuchen, und im leinenen zerriſſenen Gewande dein Mitleid erflehen. —
O Weltweisheit! berufen von der Weis- heit des Ewigen zum Gluͤk der Welt und ihrer Bewoner; die du die Herzen der Koͤnige er- waͤrmſt, und Menſchen zu Menſchen bildeſt, die du einſt Rom zur Beherrſcherinn der Welt, und Athen zum Siz der Gelehrſamkeit machteſt: die du ein finſteres Reich aus dem Chaos ent- winkteſt, nnd deſſen wilde Bewoner zu Men- ſchen, und ihre Beſizzungen zu Paradieſen um- ſchufſt. O, ſenke einen Stral des Lichts herab auf jene Fluren meines Vaterlandes, wo Be- druͤkkung und Elend ſchleicht, wo der Greis die Haͤnde ringt, und die Matrone ſchluchzt, wo der Mann unter der Laſt des Kummers keucht, und das Weib heiſſe Zaͤhren weint, wo der Juͤngling fruͤhe ſeinen Nakken unter das eiſerne Joch der Knechtſchaft ſchmieget, und das Maͤd- gen den Luͤſten ihres Despoten froͤhnen muß, wo der Saͤugling ſchon Sklave iſt, wenn er
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Flammenſpruch ins Herz ſchreiben: Liebe dei-
nen Nebenmenſchen als dich ſelbſt. Denn
es ſind alles deine Bruͤder, wenn ſie gleich in
Strohhuͤtten wohnen, unter der Laſt der Arbeit
keuchen, und im leinenen zerriſſenen Gewande
dein Mitleid erflehen. —
O Weltweisheit! berufen von der Weis-
heit des Ewigen zum Gluͤk der Welt und ihrer
Bewoner; die du die Herzen der Koͤnige er-
waͤrmſt, und Menſchen zu Menſchen bildeſt,
die du einſt Rom zur Beherrſcherinn der Welt,
und Athen zum Siz der Gelehrſamkeit machteſt:
die du ein finſteres Reich aus dem Chaos ent-
winkteſt, nnd deſſen wilde Bewoner zu Men-
ſchen, und ihre Beſizzungen zu Paradieſen um-
ſchufſt. O, ſenke einen Stral des Lichts herab
auf jene Fluren meines Vaterlandes, wo Be-
druͤkkung und Elend ſchleicht, wo der Greis die
Haͤnde ringt, und die Matrone ſchluchzt, wo
der Mann unter der Laſt des Kummers keucht,
und das Weib heiſſe Zaͤhren weint, wo der
Juͤngling fruͤhe ſeinen Nakken unter das eiſerne
Joch der Knechtſchaft ſchmieget, und das Maͤd-
gen den Luͤſten ihres Despoten froͤhnen muß,
wo der Saͤugling ſchon Sklave iſt, wenn er
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/166>, abgerufen am 17.02.2025.
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